"In Deutschland gilt deutsches Recht", betonte die CDU-Politikerin. Ein starker Staat diene auch dem Schutz der Schwächeren. Klöckner betonte, es dürfe nicht zweierlei Recht geben, "ein abgespecktes für Flüchtlingskinder". In dieser Frage müsse die Politik ein klares Signal senden. "Es gibt nur ein Recht auf unserem Boden!" Es gehe nicht nur um Zwangsehen, sondern auch um das Kindeswohl an sich.
Klöckner betonte, es sei in der Koalition schon lange besprochen, das man hier eine Regelung brauche. Durch die Zuwanderung der Flüchtlinge gebe es "Regelungsbedarf". Klöckner zeigte sich erstaunt, dass sich Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) Zeit lasse. Ein erster Gesetzentwurf habe der SPD-Politiker wieder zurückgezogen. Die CDU-Politikerin mahnte zur Eile. "Bei Flüchtlingsfamilien hätten Frauen und Mädchen oftmals die wenigsten Rechte".
Klöckner bezweifelt, dass Minderjährige ihre Rechte vor Gericht - "ohne Geld und Sprachkenntnisse" gegenüber ihrer Familie durchsetzen könnten. Mit Blick auf die Kinderehen meinte Klöckner: "Wir müssen aufpassen, dass Ausnahmen nicht zum Regelfall werden." Deshalb sollte die "Aufhebung der Ehen von Minderjährigen zum Normalfall gemacht werden." Kinder, die mit einem älteren Mann verheiratet seien, stünden im sozialen Abseits.
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Die Zahlen sind alles andere als verlässlich und also auch mit Vorsicht zu genießen, fest steht allerdings, dass gerade unter den Zuwanderern auch verheiratete Kinder und Jugendliche sind, rund 1.500 Fälle verzeichnet das Ausländerzentralregister im Juli. Manche der jungen Ehefrauen sind erst 13 Jahre alt, die meisten kommen aus Syrien, aus dem Irak, aus Afghanistan. Schon eine Weile beraten Bund und Länder, Justizminister Heiko Maas peilt an, es den Gerichten künftig leichter zu machen, solche Kinderehen aufzuheben. Vielen in der Union aber gehen die Überlegungen des Sozialdemokraten nicht weit genug. Und am Telefon mitgehört hat die CDU-Landeschefin von Rheinland-Pfalz und stellvertretende Bundesvorsitzende, guten Morgen, Julia Klöckner!
Julia Klöckner: Hallo, guten Morgen, Herr Barenberg!
Barenberg: Wir haben es gerade ein bisschen versucht, ein paar Schattierungen in die Diskussion reinzubringen. Warum plädieren Sie dennoch so vehement für ein generelles Verbot?
Klöckner: In Deutschland herrscht deutsches Recht, herrschen unsere Maßstäbe des Grundgesetzes. Und die besagen, dass ein starker Staat vor allen Dingen auch dem Schutz der Schwächeren dient. Und unabhängig von Herkunft und Nation. Und es darf kein zweierlei Recht geben, ein abgespecktes zum Beispiel für Flüchtlingskinder. Denn Kinder sind sehr zu beeinflussen, sie stehen auch unter dem Druck des Lebens und sind dem häufig nicht gewachsen. Und deshalb brauchen sie Schutz. Und wir sollten hier klar sein, ein klares Signal auch senden und es gibt nur ein Recht auf unserem Boden und das sollten wir deutlich machen. Übrigens unabhängig auch der Zahl. Denn jedes einzelne Kind zählt. Und in der Tat, Ihre Korrespondentin sprach gerade davon, dass man immer diese Zwangsehen vor Augen hat, aber es geht auch um etwas anderes, es geht um das Kindeswohl und um das Wohl der Minderjährigen. Und eine Heirat unter Kindern oder mit einem Kind als Teil oder als Paarteil, das widerspricht immer dem Kindeswohl. Und das ist unsere Sichtweise und daraus entspricht auch unsere Rechtspraxis seit vielen Jahrzehnten.
"Kinder brauchen Schutz und unabhängig von Herkunft und Nation"
Barenberg: Und Ihnen wäre auch recht, wenn dieses generelle Verbot dann im Einzelfall auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen würde?
Klöckner: Jetzt wird ja gezögert auf dem Rücken der Betroffenen. Es ist ja schon lange besprochen in der Koalition, dass wir hier eine klare Regelung brauchen. Denn die Praxis zeigt ja durch die Zuwanderung, durch viele Flüchtlinge, dass es hier gerade Regelungsbedarf gibt. Und das Kindeswohl und der Schutz von Minderjährigen muss Vorrang haben, ganz klar. Und ich bin erstaunt, dass Justizminister Maas ganz schnell zum Beispiel einen Gesetzentwurf hatte für das Verbot von sexistischer Werbung, aber hier sich sehr lange Zeit lässt. Also, er hat ja selbst den ersten Entwurf oder einen seiner Entwürfe an die Presse lancieren lassen, dann wieder zurückgezogen, dann sich wieder gedreht. Also, ich finde, gerade weil es um die Kinder geht, brauchen wir Klarheit. Und die Klarheit heißt, dass er Staat für die Schwächeren da ist und dass es eben kein zweierlei Maß geben darf bei Kindern. Kinder brauchen Schutz und unabhängig von Herkunft und Nation.
Barenberg: Nehmen wir den Fall, den die Korrespondentin skizziert hat, eine 17-Jährige, verheiratet mit einem älteren Mann, die haben zusammen ein Kind. Und würde diese Ehe jetzt nur nach dem Alter, wie Sie es vorschlagen, getrennt, aufgehoben, dann verliert sie Unterhaltsansprüche, sie verliert möglicherweise das Umgangsrecht mit ihrem Kind, sie verliert Erbansprüche, all das wären Sie bereit hinzunehmen?
Klöckner: Sie unterstellen etwas, was auf deutschem Boden so nicht gilt. Zum Glück haben wir ein anderes Recht. Wenn eine Mutter ein Kind hat, unabhängig davon, ob sie mit dem Vater verheiratet ist oder nicht, hat sie Unterhaltsansprüche. Und nicht automatisch wird dem Vater das Sorgerecht zugesprochen. Das mag in anderen Ländern so sein, aber zum Glück ist das bei uns eben nicht so. Und da haben wir die Mutter, da haben wir das Kind, da haben wir die Frau im Blick. Und wir sehen doch die Realität: Erstens, bei Flüchtlingsfamilien haben häufig gerade die Frauen oder die Mädchen die wenigsten Rechte. Und sind wir doch mal ganz realistisch: Wie soll denn eine junge Frau vor Gericht ziehen ohne Geld, ohne Sprachkenntnisse, sich der Familie zur Wehr setzen, einen Anwalt finden, mit ihm kommunizieren? Sie glauben doch nicht, dass eine solche Frau sagt, sie sei gezwungen worden oder unglücklich? Wir müssen diese Frauen, diese Minderjährigen auch stärken und das entspricht auch unserer Wertvorstellung.
Barenberg: Nun sagen ja Menschen, die mit solchen Fällen näher befasst sind, dass in solchen Verfahren vor Gericht mit Anhörungen und Experten, Betreuung, es schon möglich ist herauszufinden und dass es Anhaltspunkte dafür gibt, ob es sich um eine Zwangsehe handelt oder nicht. Warum trauen Sie da unserem Rechtssystem nicht?
Klöckner: Ich habe viele Gespräche zum Beispiel mit Frauenhäusern auch geführt. Die haben auch sehr viel mit Frauen, mit Minderjährigen zu tun, und übrigens nicht nur in der Gerichtssituation, sondern im Alltag damit zu tun. Und wir haben eine Rechtspraxis, eine Gesetzespraxis in Deutschland und die ist aus ganz gutem Grund so entwickelt worden in all den Jahren. Und noch einmal, es sollte meiner Meinung nach kein zweierlei Recht geben, sondern der Schutz von Minderjährigen, von Schwächeren muss gelten, unabhängig von Herkunft und auch Nation.
"Aufhebung einer Ehe von Minderjährigen zum Normalfall machen"
Barenberg: Was sagen Sie denn dazu, dass beispielsweise Petra Follmar-Otto vom Deutschen Institut für Menschenrechte sagt, man würde einen Fehler machen, wenn man dieses generelle Verbot aussprechen würde, wenn man es so anwenden würde, weil es eben auch den Minderjährigen schaden könnte und weil es auch darum geht, deren Wohl miteinzubeziehen und damit auch deren Überlegungen, deren Wünsche?
Klöckner: Wir setzen Kinder und Heranwachsende dem Schaden aus, wenn wir hier nicht handeln. Denn wir brauchen Klarheit und ein Signal. Wir müssen auch deutlich machen den Menschen, die zu uns kommen, geflohen sind, aus schwierigen Situationen kommen, dass sie in ein Land kommen, das ihnen Schutz bietet, aber das Land hat auch selbst Ansprüche an sie, dass nämlich die Gesetze des Landes auch gelten. Und natürlich kann man anderer Meinung sein, aber am Ende gilt eine Werteordnung und über die müssen wir uns dann auch noch mal neu verständigen, ganz klar. Aber wir sehen doch, dass mittlerweile das, was als Ausnahme gedacht war, Einzelfälle einzeln betrachten beziehungsweise dann keine automatische Aufhebung zu vollziehen, dass diese Einzelfälle oder diese Ausnahmen aber dann zum Regelfall werden könnten. Und deshalb sage ich, wir müssen die Aufhebung einer Ehe von Minderjährigen zum Normalfall machen, damit wir das Kindeswohl und vor allen Dingen auch das Wohl der jungen Frauen im Blick haben. Und da gehört Realitätssinn und Blick in den Alltag dazu.
Barenberg: Und ich versuche es jetzt noch einmal, weil ich denke, dass es ein wichtiger Punkt ist: Es wäre auch okay für Sie, wenn die Betroffenen dann in Einzelfällen ins soziale Abseits geraten würden durch diese Entscheidung?
Klöckner: Das ist jetzt eine Unterstellung, dass das dazu führt. Zum Teil holen wir sie gerade aus dem sozialen Abseits. Junge Frauen, die mit einem älteren Mann verheiratet sind, einer Familienehre und einem Familienrecht unterstellt sind, die sind im sozialen Abseits. Und wir wollen sie stärken und Stärkung der Jugendbetreuung und auch der Obhutsannahmestelle, das gehört dazu, psychosoziale Begleitung und Betreuung gehört am Ende dazu. Und letztlich darf der strafrechtliche Schutz nicht ins Leere laufen. All das sind unsere Wertvorstellungen und deshalb ist Deutschland auch ein Land, wo gerne Menschen hinkommen, weil es diesen Schutz gibt, unabhängig von Nation, von Familienehre, unabhängig der Scharia zum Beispiel auch.
"Wir düfen nicht das Recht beugen"
Barenberg: Vielleicht wäre ja ein Mittelweg, was der Jurist Mathias Rohe – früher Mitglied der Deutschen Islam Konferenz – vorschlägt, der sagt: Lasst uns doch alle Fälle, in denen die Betroffenen zwischen 16 und 18 Jahre alt sind, automatisch unter die Obhut des Jugendamtes stellen und dann jeden Einzelfall eben prüfen! Und ich habe den Eindruck, genau das versucht ja auch Justizminister Maas klarzumachen, dass es eben auch darum geht, jeden Einzelfall für sich anzugucken und nicht nur nach dem Geburtsdatum zu entscheiden.
Klöckner: Also, was Justizminister Maas wirklich will, das weiß man ja nicht so ganz, weil er doch sehr flotte Wendungen hingelegt hat und seine Vorstellungen auch viele Widersprüche haben. Und ich sage, ein Mittelweg ist in der Not der größte Tod, diesen Spruch kennt man. Denn wenn es um Kinderschutz und Minderjährigen-Schutz geht, ist Klarheit gefragt und nicht Rumlavieren. Und es darf auch nicht im Ermessen der Jugendämter liegen, sondern jeder Fall muss vor Gericht gebracht werden. Und sind wir in dem Fall, dass ein Mädchen schwanger ist, dass ein Kind bereits ein Kind hat, dann geht es natürlich darum, wie man eine solche Familie begleitet. Aber wir dürfen nicht das Recht beugen, das ist mir ganz wichtig. Denn Begleitung in Deutschland für Menschen in Not- und Grenzsituationen, die haben wir und das muss auch gelten für Menschen und Jugendliche, vor allen Dingen für Minderjährige aus anderen Ländern.
Barenberg: Sagt Julia Klöckner, die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU. Ich bedanke mich für das Gespräch heute Morgen!
Klöckner: Sehr gerne, Herr Barenberg!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.