Erzieher gesucht
Lösungen für die Kita-Krise

Kitas suchen händeringend Erzieherinnen. Viele Bundesländer senken bereits die Anforderungen an Mitarbeitende von Kindertagesstätten, um die Kinderbetreuung zu sichern. Dabei ließe sich der Personalmangel auch anders bekämpfen.

31.07.2024
    Eine Kindergartengruppe geht am 30.04.2024 an der Isar in München (Bayern) entlang.
    Ein guter Personalschlüssel gilt als entscheidend für die Qualität der frühkindlichen Bildung. Diese ist im Sozialgesetzbuch als pädagogischer Auftrag von Kitas festgeschrieben. (picture alliance / dpa / Matthias Balk)
    Deutschlandweit fehlten im vergangenen Jahr laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung 384.000 Kita-Plätze. Die größte Hürde auf dem Weg zu genügend Betreuungsangeboten sei der Fachkräftemangel, sagt Bildungsexpertin Annette Stein von der Bertelsmann-Stiftung. Insgesamt 125.000 Erzieherinnen fehlen laut einer Umfrage des Paritätischen Gesamtverbandes vom Juni 2024 in Deutschland. Das entspricht zwei pädagogischen Fachkräften pro Kita.
    Während Niedersachsen eine zeitweise Absenkung der Qualitätsstandards gesetzlich verabschiedet hat, damit Kindertagestätten und deren Träger mehr Spielraum bei der Einstellung von Personal haben, fordern Expertinnen langfristige Strategien, z.B. eine Aufwertung des Berufs durch mehr Professionalisierung und bessere Karrierechancen.
    Sind Abstriche bei der Qualifikation von Personal der richtige Weg, oder gilt es, das Berufsbild attraktiver zu gestalten, um pädagogische Fachkräfte in der frühkindlichen Bildung dauerhaft und in Vollzeit zu gewinnen?

    Inhaltsverzeichnis

    Das Modell Niedersachsen – Qualitätsstandards absenken

    Kommunen in Niedersachsen wollten die Kita-Öffnungszeiten wegen Personalmangels von acht bis 14 Uhr beschränken. Für berufstätige Eltern ist das kaum machbar. Um Druck aus dem System zu nehmen, hat die rot-grüne Landesregierung reagiert und das Kita-Gesetz übergangsweise für zwei Jahre geändert.
    Mit dem neuen Gesetz werden kurzfristig die Mindeststandards in den Kitas zu Beginn des neuen Kitajahres am 1. August gesenkt, sodass Personal flexibler eingesetzt werden kann. Sozialassistentinnen dürfen sich jetzt unter bestimmten Voraussetzungen zur Gruppenleitung weiterbilden lassen, eine Aufgabe, die bislang ausschließlich ausgebildeten Erziehern vorbehalten war. In den Randzeiten dürfen Sozialassistentinnen die Aufsicht über die Kinder übernehmen. Damit sollen Öffnungszeiten am frühen Morgen und am Nachmittag gewährleistet werden.
    Außerdem wird auch der Personenkreis von Menschen erweitert, die in der Kita aushelfen dürfen, von Eltern über Tagespfleger bis hin zu Rentnerinnen. Zugangsvoraussetzungen werden gesenkt, um schnell Personal zu gewinnen, beobachtet die Bildungsforscherin Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung. Eine Maßnahme, die mittlerweile in vielen westlichen Bundesländern üblich ist, denn dort ist Mangel an Kita-Plätzen überproportional höher als in Ostdeutschland.
    So erleichtert berufstätige Eltern in Niedersachsen sein dürften, dass die Drohung verkürzter Kita-Öffnungszeiten abgewendet wurde, so wenig heißen Expertinnen wie die Soziologin Nina Weimann-Sandig, Fachverbände oder die Gewerkschaft Verdi die Absenkung von Qualitätsstandards gut. Sie befürchten eine „Erosion“ bei der Qualifikation des Kita-Personals in den kommenden Jahren.
    Denn Eltern gäben ihre Kinder immer länger in die Betreuung, sagt Weimann-Sandig, Mitautorin einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung über das Personalproblem in Kitas. „Ihnen müssen wir die Sicherheit geben, dass pädagogisch gut ausgebildetes Personal ihre Kinder betreut.“ Wenn Kita-Mitarbeitende nicht die Fähigkeit mitbrächten, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und zu kontrollieren, sei das mit Blick auf die Qualitätsstandards in Kitas „sehr besorgniserregend“.
    Zwar seien rasch wirkende Wege wegen der Personalnot derzeit „alternativlos“, sagt Bildungsforscherin Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung. Aber: „Das darf nicht schleichend zum Standard werden“.

    Erzieherberuf weiter professionalisieren

    Die Bildungsexpertin Weimann-Sandig bestreitet, dass der Markt an pädagogischen Fachkräften „schon so leergefischt ist, wie es gern dargestellt wird“. Viele staatlich ausgebildete Erzieherinnen arbeiteten nur in Teilzeit. Einer der Gründe seien fehlende Karriere-Chancen, wie die Studie der Hans-Böckler-Stiftung gezeigt habe.
    Statt Qualifikationen zu senken, ist der einzig gangbare Weg aus Sicht der Bildungsexpertin daher, die Berufswege für pädagogische Fachkräfte zu professionalisieren und das Berufsfeld insgesamt attraktiver auszustatten. Man habe die Akademisierung für Erzieher sehr stark vorangetrieben. Nun gelte es, Karrierewege in Kitas zu entwickeln, die es für junge Menschen attraktiv machten, in das Basisfeld frühe Bildung und Betreuung zu gehen, so Weimann-Sandig. „Derzeit schnuppern sie kurz rein und gehen dann in andere Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe.“
    Dazu passen die Pläne von Familienministerin Paus. Der Bund will auch 2025 und 2026 vier Milliarden Euro investieren, wie schon 2023 und 2024. Das Geld soll aber nicht wie bisher für niedrige Gebühren genutzt werden, sondern um mehr und gut qualifiziertes Personal zu rekrutieren und zu halten.
    In Ostdeutschland müssten zudem schon jetzt Fachkräfte wegen sinkender Geburtenzahlen entlassen werden, sagt Bildungsexpertin Stein von der Bertelsmann-Stiftung. Tendenz steigend. Es müssten also Anreize geschaffen werden, damit sich diese Fachkräfte bundesweit bewerben.

    Finanzierungslogik von Kitas reformieren

    Zu den anderen Gründen, warum die Teilzeit-Quote bei Erziehern so hoch ist, zählen laut der Studie der Hans-Böckler-Stiftung, dass die Betreuung der eigenen Kinder nicht gewährleistet werden kann, und besonders gravierend: psychisches Ausbrennen und die herausfordernde Situation in der Kindertagesbetreuung.
    Weimann-Sandig fordert darum strukturelle Veränderungen, besonders bei der Finanzierung von Kindertageseinrichtungen. Diese sei gekoppelt an die Betreuungsumfänge, d.h. eine Einrichtung erhält Mittel je nach Anzahl der Kinder und der pro Kind gebuchten Stundenzahl. Dadurch blieben Kitas aber kaum personelle Spielräume: „Das Finanzierungssystem ist Spitz auf Knopf“, sagt die Studien-Mitautorin. Es brauche Personalüberhänge, wenn jemand kurzfristig ausfällt. Weimann-Sandig fordert darum, die Finanzierung von den Betreuungsumfängen zu entkoppeln, damit Kitas sinnvoll Personalüberhänge kalkulieren können.

    Forderung: Unternehmen sollten Kitas mitfinanzieren

    Ein besonders interessanter Vorschlag kommt von der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit (BAG-BEK): Auch die Wirtschaft müsse finanziell beitragen, fordert der Verein. Jeder Arbeitgeber solle zu einer angemessenen Abgabe für die unterfinanzierten Kitas verpflichtet werden. Die Wirtschaft profitiere schließlich direkt vom Angebot ausreichender Betreuungsplätze.

    tha