Katja Scherer: Herr Kellermann, die größte Personengruppe, die für Kinder in der Heimat Leistungen beantragt, sind Polen. Ihrer Expertise nach: Kommen diese Eltern wegen des Kindergeldes nach Deutschland?
Florian Kellermann: Ich meine, das sind sehr wenige Fälle, wenn es die überhaupt gibt. Denn seit drei Jahren gibt es auch in Polen Kindergeld, das nicht unerheblich ist. Das sind monatlich 120 Euro pro Kind. Bei Bedürftigen werden die ab dem ersten Kind gezahlt, bei Reicheren ab dem zweiten Kind. Der Abstand zu Deutschland ist also gar nicht mehr so groß.
Wenn Polen nach Deutschland kommen, dann doch hauptsächlich, weil man in Deutschland mehr verdienen kann. Denn in Polen liegt der Durchschnittsverdienst immer noch bei circa 800 Euro monatlich und da ist eben der Abstand zu Deutschland immer noch so groß, dass sich viele überlegen, aus Polen auszuwandern.
Kindererziehung ist durchaus teuer in Polen
Scherer: Wie sehr unterscheiden sich denn überhaupt die Lebenshaltungskosten in Polen und Deutschland, auch im Stadt-Land-Vergleich?
Kellermann: Viele Dinge sind gar nicht billiger als in Deutschland. Das gilt gerade für Dinge, die mit Kindererziehung zusammenhängen - Windeln, Kleidung, Kinderwagen, auch Kindergartenbeiträge. Es gibt viele Orte in Warschau, viele Stadtteile, die unterversorgt sind. Die Eltern müssen dann ausweichen auf private Kindergärten und die sind teilweise sehr teuer. Da geht es teilweise bis zu 200 Euro im Monat, die man da bezahlen muss. Das ist also durchaus nicht billiger als in Deutschland.
Bei den allgemeinen Lebenshaltungskosten gibt es in Polen große Unterschiede zwischen reicheren Städten und dem ärmerem Land. In Warschau etwa sind die Mieten etwa durchaus auf dem Niveau deutscher Großstädte, aber auf dem Land kann man natürlich schon deutlich billiger leben. Strom und Wasser sind in Polen billiger als in Deutschland.
"Sie lassen ihre Kinder in der Heimat, auch aus sozialen Gründen"
Scherer: Welche Personengruppen kommen vor allem aus Polen nach Deutschland? Und warum lassen sie die Kinder in der Heimat? Sicher nicht allein aus finanziellen Gründen, oder?
Kellermann: Das geht mittlerweile durch alle Berufsgruppen, die aus Polen nach Deutschland kommen. Die ganz große Welle ist jetzt schon vorbei, aber besonders groß ist es eben dort, wo die Gehaltsunterschiede erheblich sind. Und an erster Stelle würde ich hier die Mediziner nennen, die in Polen sehr schlecht bezahlt werden im Gegensatz zu westlichen Ländern. Da gibt es spezielle Sprachkurse für diese Gruppe, in denen sie die Fachwörter, die Fachbegriffe lernen.
Aber natürlich kommen auch weiterhin schlechter oder weniger ausgebildete Menschen. Sie lassen ihre Kinder in der Heimat, auch aus sozialen Gründen. Die Kinder sollen Polnisch lernen, häufig gehen sie schon zur Schule in Polen und sollen nicht herausgerissen werden aus ihrem Umfeld. Und häufig bleibt auch ein Elternteil, das nicht erwerbstätig ist, mit den Kindern in Polen, wo es zum Beispiel schon ein Haus gibt, wo die Großeltern bei der Erziehung helfen können, wo man also großzügiger leben kann als in Deutschland.
Aus polnischer Sicht bittere Debatte
Scherer: Wie wird die Debatte, die derzeit in Deutschland geführt wird, bei der polnischen Bevölkerung aufgefasst? Schließlich kommen von dort auch viele Fachkräfte?
Kellermann: Es ist schon ein bisschen bitter für Polen, wenn ihr Land als "grauer Osten" dargestellt wird, wo man arm lebt, wo man nur nach Deutschland kommt, weil man es gar nicht mehr aushält in Polen. Aber das Land steht ja wirtschaftlich gut da. Es gibt auch hier genug Möglichkeiten, berufstätig zu werden.
Das Wirtschaftswachstum wird bei fünf Prozent liegen in diesem Jahr, es gibt kaum noch Arbeitslosigkeit. Also, wenn Menschen nach Deutschland kommen, dann, weil sie sich dort entwickeln wollen, weil sie bessere Berufschancen sehen können, aber eben nicht, weil sie Deutschland irgendwie betrügen wollen oder es eben nur auf die Sozialleistungen in Deutschland abgesehen haben.