Geanina Grigore stellt ihren Töchtern ein paar gebratene Hähnchenschenkel und Weißbrot auf den Küchentisch. Stimmen dringen vom nahegelegenen Schulhof durch das Fenster des Wohnblocks, in dem die Grigores zur Miete wohnen. Die drei Mädchen — zwischen neun und 16 Jahre alt – erzählen vom Schultag. Sie seien Klassenbeste, wirft die Mutter stolz ein:
"Natürlich hilft uns dabei das Kindergeld aus Deutschland, das wir für unsere Töchter bekommen. Hier in Rumänien würden wir für jedes Kind 20 Euro erhalten. Das reicht nicht einmal fürs Brot, das eine Person im Monat verzehrt."
Statt 60 Euro nach rumänischem Recht erhält Mutter Grigore das Kindergeld von der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit. 570 Euro sind das monatlich - mehr als das Neunfache. In der südrumänischen Stadt Ploiesti, wo die Grigores leben, kommt das einem guten Monatsgehalt gleich. Reich sind die Grigores damit nicht, aber ein Stück weit gesellschaftsfähiger. Die 16-jährige Tochter Sabina spürt das besonders:
"Früher hatten wir nicht einmal das Geld für Schulbücher. Wir haben alles dafür getan, um sie von jemanden als Almosen zu bekommen. Ich kann mit dem Geld jetzt auch mal an einem Schulwettbewerb teilnehmen oder endlich mit auf Klassenfahrt gehen. Es ist jetzt deutlich leichter für mich."
Wie den Grigores geht es Zehntausenden Familien in Rumänien: Sie wollen in ihrer Heimat bleiben, doch weil ihr Einkommen nicht einmal für einen bescheidenen Lebensstandard reicht, nehmen sie viele Entbehrungen in Kauf.
Bei den Grigores arbeitet der Vater das ganze Jahr über auf dem Bau in Deutschland. Die Familie hat damit das Recht auf deutsches Kindergeld. Die Töchter müssen dafür teils ganz ohne ihre Eltern auskommen.
Auch Mutter Geanina packt gerade ihre Sachen: Die gelernte Chemieassistentin jobbt tageweise als Putzfrau in Deutschland. Dass die gesamte Familie umzieht, kam bislang für sie nicht infrage:
"Warum sollten wir die Kinder in ein fremdes Land verpflanzen? Unsere Älteste ist jetzt in der zehnten Klasse, sie will Medizin studieren. Ich bin mir unsicher, ob sie diesen Traum verwirklichen kann, wenn wir nach Deutschland gehen, wo sie nicht einmal die Sprache kennt."
Angst vor der Neuregelung
Doch die Grigores sind ins Grübeln geraten, seitdem sie wissen, dass die Berliner Regierungskoalition womöglich die Kindergeld-Regelung vom Brexit-Deal übernehmen will. Konkret heißt das: Wessen Kinder weiter in einem Niedriglohnland wie Rumänien leben, der könnte vom deutschen Staat eines Tages deutlich weniger Kindergeld bekommen als es heute noch der Fall ist.
Längst ist eine Diskussion darüber entfacht, nicht in den rumänischen Medien, sondern in den sozialen Netzwerken. Von "Diskriminierung" sprechen ausgewanderte rumänische Arbeitnehmer und argumentieren: Wer gleiche Pflichten habe, müsse gleiche Rechte bekommen. Beim Zahlen der Steuern würden sie wie Westeuropäer behandelt, gehe es um soziale Zuwendungen seien sie auf einmal die Osteuropäer, die man billiger abspeisen wolle.
Auch der Bukarester Soziologe Barbu Mateescu verfolgt die Diskussion über eine mögliche Kindergeldkürzung, die er für "populistisch" hält. In einem eng vernetzten Europa könnte das einen unerwünschten Dominoeffekt auslösen:
"Europa schaut gerade ganz genau darauf, was in Deutschland entschieden wird. Sollte die Berliner Regierung das Kindergeld abändern, wird das Reaktionen in anderen Ländern auslösen, die weit mehr von der Einwanderung betroffen sind. Deutschland will populistische Forderungen stillen, doch entfacht es damit anderswo völlig neue."
Betroffen von einer Kürzung des Kindergeldes könnten dann nämlich eines Tages auch deutsche Familien sein. Etwa 35.000 Deutsche pendeln täglich zur Arbeit nach Luxemburg. Niemand wirft ihnen dort "Sozialmissbrauch" vor, wenn sie im Großherzogtum das lukrativere Kindergeld bekommen: Für Familien mit drei Kindern gibt es monatlich über 200 Euro mehr als in Deutschland. Die Luxemburger Regierung könnte hier Millionen Euro sparen, sollte sie sich von den Berliner Kürzungsplänen inspiriert fühlen.
Entscheidung noch offen
Noch ist es nicht soweit, noch diskutiert Berlin darüber. Das weiß auch der 42-jährige Malermeister Georgel Grigore. Allabendlich sieht sich die Familie per Skype. Dass die Grigores zwei Haushalte in zwei Ländern finanzieren, ist für sie kostspielig genug. Noch funktioniert es, auch dank des deutschen Kindergeldes. Wird das gekürzt, will Grigore seine Frau und seine drei Töchter nach Deutschland holen, auch wenn das nie ihr Plan war:
"Die deutsche Regierung denkt, dass sie durch die Kürzung des Kindergeldes für die daheimgebliebenen Kinder, die Kosten senkt.
Nein, sie werden vermutlich steigen, wenn wir alle unsere Familien holen. Ich glaube, die deutsche Regierung wird sich ausrechnen, dass das nicht von Vorteil für sie sein kann."