Das Kinderhospiz Balthasar liegt etwas oberhalb von Olpe, auf einem Hügel am Rande der Stadt. Die Sonne scheint auf das verwinkelte Gebäude, rundherum ragen die grünen Berge des Sauerlandes gen Himmel. Helle Wände, viel Glas und Erker - das Kinderhospiz ist ein einladender Ort. Ein Ort, an dem der Tod und die Freude ganz nah beieinander liegen.
"Es ist auch eine schöne Arbeit"
Die Clowns sind gerade zu Besuch, wie jeden Dienstagvormittag. Kinder wuseln um zwei bunt gekleidete Komiker herum, ein paar schauen sich das Treiben aus sicherer Entfernung an. Es sind ganz unterschiedliche Kinder. Manche können gerade erst laufen, andere haben schon das Jugendalter erreicht. Ein Junge flitzt mit seinem Rollstuhl durch den Raum, ein anderer läuft zur Clownsfrau und flüstert ihr etwas ins Ohr. Eines aber haben alle Kinder hier gemeinsam: Sie sind unheilbar krank. Viele werden sterben, bevor sie erwachsen sind.
Rüdiger Barth leitet das Kinderhospiz Balthasar. Seit 16 Jahren schon kümmert sich der 58-Jährige hier um sterbenskranke Kinder und ihre Familien.
"Was viele nicht glauben, ist, dass es im Hospiz, im Erwachsenenbereich wie auch im Kinderbereich, durchaus auch eine schöne Arbeit ist. Es ist schlimm, dass die Menschen nicht mehr gesund werden. Auf der anderen Seite ist es aber auch eine Bereicherung zu sehen, wie viel Lebensfreude sterbenskranke Kinder uns geben."
"Für ihn ist das hier das Kinderhotel"
Um diese Lebensfreude geht es im Kinderhospiz, sie soll jeden Tag aufs Neue entfacht werden. Dafür sorgen in Olpe 60 Mitarbeiter: Pflegekräfte, Sozialpädagogen, Therapeuten und die Kollegen aus der Verwaltung. Alle sehen sich im Dienst der bis zu 12 Kinder und Jugendlichen - und ihrer Familien.
"Wichtig ist zu sehen in einem Kinderhospiz: Wenn ein Kind so schwer krank ist, die ganze Familie krank ist, die ganze Familie Hilfe braucht."
Der größte Unterschied zwischen einem Erwachsenen- und einem Kinderhospiz: Die Kinder kommen nicht erst ganz am Ende ihres Lebens ins Hospiz, sondern oft direkt nach der Diagnose. Drei-, viermal im Jahr sind sie dann Gäste im Balthasar, meistens für eine Woche, wie der sechsjährige Sandro. Der schmale Junge mit dunkler Brille und buntem T-Shirt wirft sich ins Bällebad. Seine Mutter Natascha Deubel schaut schmunzelnd zu.
"Für ihn ist das hier das Kinderhotel, weil natürlich alles gemacht wird, was er möchte, und er hat jemanden an seiner Seite rund um die Uhr. Weil natürlich, klar, er zu Hause auch mal zurückstecken muss. Für ihn ist das hier Urlaub pur - und für mich als Mama auch. Ich kann hier total abschalten, man muss nicht auf jedes Geräusch hören, man muss nicht auf ein Piepen vom Monitor nachts hören, man muss nicht ständig parat sein."
Die ganze Familie leidet
Die 49-Jährige weiß seit zwei Jahren, dass ihr Sohn einen lebensbedrohlichen Gen-Defekt hat. Vor einem halben Jahr kam eine neue Diagnose hinzu: Lymphdrüsenkrebs, im Endstadium.
"Es sah im Januar ganz schlecht aus. Da haben sie ihm nur ein paar Wochen gegeben, aber jetzt: Es ist zurzeit so ein bisschen zum Stillstand gekommen."
Sandro ist Natascha Deubels drittes Kind, der Sechsjährige hat zwei Geschwister im Jugendalter. Die inzwischen 15-jährige Tochter wollte nicht mehr in die Schule gehen - aus Angst, ihr Bruder könnte in der Zwischenzeit sterben.
"Sie hat auch hier im Hospiz viele Gespräche gehabt, auch mit den Betreuern, die ihr die Angst genommen haben, dass das nicht von jetzt auf gleich geht, sondern dass das schon ein Weg ist."
Vor gut zwei Jahren hat sie ihren Mann durch Krebs verloren, jetzt wird auch ihr Kind gehen.
"Das ist schon oft abends, wenn man ihn ins Bett bringt, dass er fragt: Wie lange darf ich noch leben? Wie viel darf ich noch spielen? Oder es kommt auch das andere, wenn er einen schlechten Tag hatte, dass er dann sagt: Du Mama, ich glaube, ich muss jetzt zum Papa gehen. Das ist dann schon hart."
"Dass man das Sterben ausklammert, finde ich falsch"
Zuhause in Kelkheim bei Frankfurt habe sie kaum jemanden, mit dem sie über all das sprechen könne. Niemand möchte gerne von sterbenden Kindern hören. Hier im Kinderhospiz ist das anders. Die Eltern geben einander Halt. Sie tauschen auch Tipps aus - und können ganz offen über den Tod sprechen.
"Wir haben auch letztes Mal, als wir hier waren, die Beerdigung geplant: Die Lieder sind festgelegt, wir wissen genau, wie der Sarg und alles aussehen sollen. Wenn es dann soweit ist, dann habe ich andere Sachen im Kopf."
Diese Offenheit mit dem Thema Sterben und Tod, das wünschen sich die Betroffenen manchmal auch außerhalb des Hospizes, erzählt Leiter Rüdiger Barth.
"Dass Sterben zu unserem Leben dazugehört, das ist so sicher wie wenige Dinge in unserem Leben. Und dass man das völlig ausklammert, finde ich falsch."
Er selbst spricht ohne Scheu darüber, wie es ist, wenn Kinder diese Welt verlassen.
"Je kleiner die Kinder sind, desto weniger verstehen sie von der Endlichkeit, von dem Ende, was der Tod letztlich mit sich bringt. Und ich glaube, dass es auch ganz gut ist, dass ein Fünfjähriger so etwas nicht versteht. Sondern, dass eine so kleine Seele, ein so kleiner Mensch das eben noch versteht wie weggehen: wie die Oma, die gestern zu Besuch war, die ist weggegangen. Dass es kein Wiederkommen gibt, ich glaube, das ist ganz gut, dass die Kleinen das noch nicht so verstehen."
Mit 13 oder 14 Jahren gehen die Jugendlichen dann schon ganz anders mit dem Thema um, zum Teil planen sie ihre eigene Beerdigung und sprechen mit den Mitarbeitern ab, was sie sich am Lebensende wünschen.
"Kranke Kinder haben keine Lobby"
Vor 20 Jahren, als das Kinderhospiz Balthasar als erstes Kinderhospiz Deutschlands eröffnete, war die Pflege sterbenskranker Kinder ein absolutes Tabuthema, noch tabuisierter als heute. Rüdiger Barth tritt hinaus in den sommerlichen Garten und zeigt den Berg hinauf. Dort liegt das Mutterhaus der Franziskanerinnen und dass es diese Einrichtung überhaupt gibt, ist ihnen zu verdanken. Sie hatten damals die Idee zu dem Haus und haben direkt die Trägerschaft übernommen.
"Wir sind froh, dass von Anfang an die Franziskanerinnen auch den mutigen Schritt damals gewagt haben, vor 20 Jahren, nicht zu wissen, was ein Kinderhospiz ist am Anfang, nicht zu wissen: Wie läuft das Haus, wird das belegt sein, wird die Nachfrage da sein und vor allem: Wie wird das finanziert?"
Bis heute sind das Balthasar und andere Kinderhospize auf Spenden angewiesen - etwa 50 Prozent der Betriebskosten müssen so gedeckt werden. Bei der Olper Einrichtung sind das eine Million Euro pro Jahr. Schwester Katharina von den Olper Franziskanerinnen hat schon oft mitgeholfen, Spender zu finden. Wenn sie dann zu hören bekommt: wofür brauchen die Kinder ein Außenspielgerät, die sterben doch sowieso, dann ärgert sie das.
"Aber Leute, es geht darum, das Leben, was sie haben, noch so zu gestalten, dass es lebenswert ist für die Familie und für die Geschwisterkinder, die oft sehr leiden. Und kranke Kinder haben keine Lobby, das muss man so sagen."
Ihr Engagement und das ihrer Mit-Schwestern aus dem Olper Mutterhaus für die sterbenskranken Kinder ist für sie Sinnbild des franziskanischen Gedankens:
"Von daher sind genau die, die am Rand stehen genau die, um die wir uns zu kümmern haben."
Wie auch Franziskus nicht danach gefragt habe, ob jemand getauft oder gar christlich sei, werden auch im Hospiz Balthasar alle Kinder aufgenommen - egal ob mit oder ohne und egal welcher Glaubensausrichtung.
"Es ist immer anders"
Mehr als 800 Kinder und Jugendliche sind seit 1998 im Balthasar gewesen, erzählt Hospizleiter Rüdiger Barth. Ihre bunten Spuren finden sich zum Beispiel im Flur zum Gemeinschaftsraum. An den langen weißen Wänden hinterlassen die sterbenskranken Gäste ihre Hand- oder Fußabdrücke, mal in rot, mal grün, blau oder gelb.
"Man sieht hier ganz unterschiedliche Größen: von Babyhänden bis hin zu Händen von großen Jugendlichen, jungen Erwachsenen. Das heißt letztlich jedes Mal die Geschichte einer Familie, die um ihr Kind trauert."
Und wie gehen die Mitarbeiter damit um, dass sie sich immer wieder von liebgewonnenen Kindern verabschieden müssen? Rüdiger Barth denkt kurz nach, bevor er antwortet. Das gehe natürlich auch ihm nahe, sagt er schließlich.
"Und ich glaube auch, dass es schlecht wäre, wenn man sich an so etwas gewöhnt, wenn ein Kind stirbt. Es ist auch immer anders. Wenn man merkt, das wird mir zur Routine, glaube ich, dann sollte man in diesem Bereich aufhören."
Der 58-Jährige aber denkt gar nicht ans Aufhören. Es gibt noch so viele Kinder wie Sandro, die er und sein Team begleiten wollen.