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Kinderlosigkeit
Glauben macht schwanger

Ein Viertel aller italienischen Paare ist unfreiwillig kinderlos. Die Frommen unter ihnen machen sich nach Neapel auf, zur Santa Maria Francesca delle Cinque Piaghe. Einmal im Monat nehmen Pilgerinnen auf einem "Fruchtbarkeitssessel" Platz und unterziehen sich einem Ritual heidnischen Ursprungs.

Von Thomas Migge |
    Der Kinderwunsch ist groß bei vielen italienischen Paaren, statt moderne Reproduktionsmedizin setzen einige auf Fruchtbarkeitsrituale
    Der Kinderwunsch ist groß bei vielen italienischen Paaren, statt moderne Reproduktionsmedizin setzen einige auf Fruchtbarkeitsrituale (picture-alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    "Das hat mich sehr bewegt. Ich weinte. Das ist das erste Mal, dass ich hierher komme. Eine wunderbare Erfahrung". Carlotta Mancini kann nicht mehr weiter sprechen. Zu ergriffen ist sie von ihrer, wie sie sagt, "Erfahrung mit der Heiligen". Ihre ganz große Hoffnung: endlich, nach Jahren des Wartens, schwanger zu werden. Carlotta und ihr Mann Vincenzo sind, um ihrer Hoffnung einen Schub zu geben, extra nach Neapel gereist:
    "Wir kommen aus Sizilien. Aus Campofelice. In der Provinz Palermo. Wir haben viel von dieser Heiligen gehört. Freunde von uns mit dem gleichen Problem waren schon hier. Und wir sind angereist, um endlich erhört zu werden."
    Niedrigste Geburtenrate Europas
    Carlotta und Vincenzo, sie 35 Jahre alt, er 38, gehören zu immer mehr italienischen Paaren, die unfreiwillig kinderlos sind. Dem italienischen Gesundheitsministerium zufolge sind von Unfruchtbarkeit rund ein Viertel aller italienischen Paare betroffen. Ein demographisches Problem in einem Land wie Italien, das in ganz Europa die niedrigste Geburtenrate aufweist.
    Deshalb machen sich immer mehr betroffene - und gläubige - Paare nach Neapel auf. Um der Santa Maria Francesca delle Cinque Piaghe einen Besuch abzustatten. Neben der Kirche der Heiligen befindet sich die Casa Maria Francesca. Hier lebte und wirkte bis zu ihrem Tod 1791 Anna Maria Rosa Nicoletta Gallo, die sich aber nur Maria Francesca nannte. 1867 wurde sie von Papst Pius IX. heilig gesprochen.
    Die Näherin und Stickerin wäre gern schon als junge Frau Nonne geworden, aber da sie als einzige mit ihrer Arbeit den Lebensunterhalt für ihre Familie verdiente, blieb sie daheim. Doch ihre häusliche Arbeit hielt sie nicht davon ab eine franziskanische Laienschwester zu werden. Schon zu Lebzeiten wurde die einfache Frau in ganz Neapel berühmt, berichtet Historiker Gennaro Larrizzi. Er unterrichtet neapolitanische Geschichte an der Universität:
    "Glaubt man den zahllosen zeitgenössischen Schriften stand diese Frau ihren Mitbürgern täglich zur Seite. Sie suchten Hilfe und Rat bei ihr. Sie fungierte nicht nur als Seherin, sogar die französische Revolution soll sie prophezeit haben, sondern sie soll vor allem Frauen dazu verholfen haben, schwanger zu werden. Das Credo dieser Frau: Ein Kind bekommt man nur wenn sich der Himmel gnädig erweist."
    Auf dem Fruchtbarkeitssessel
    Und deshalb die vielen Pilgerreisen nach Neapel, in die Casa Maria Francesca. Dort gilt es, bestimmte rituelle Abläufe zu verrichten, um, wenn möglich, erklärte Carlo de Vita, schwanger werden zu können. De Vita unterrichtet an der Universität Neapel Kulturgeschichte:
    "An jedem sechsten Tag eines Monats wird das Heiligtum Besuchern zugänglich gemacht. Vormittags und nachmittags. Den ganzen Tag über vollzieht sich dann eine Prozession von Menschen aus ganz Italien. Jeden Tag sind es mehrere hundert. Die Frauen setzen sich dann hier auf einen Sessel, der mit einem Wolltuch bedeckt ist."
    Es handelt sich um den Sessel, der, bis zu ihrem Lebensende, von der Heiligen genutzt wurde. Eine der verschiedenen Laienschwestern, die sich um die Casa Maria Francesca kümmern, führt an den Mund der jeweiligen in dem Sessel sitzenden Frau ein Kruzifix und fordert diese dann auf, ein Gebet mitzusprechen, mit dem die Heilige Maria Francesca angefleht wird, der Bitte einer Schwangerschaft nachzukommen.
    Der Sessel wird im neapolitanischen Volksmund auch "Sessel der Fruchtbarkeit" genannt. Das sei die falsche Bezeichnung, meint Laienschwester Anna Maria. Sie sorgt an jedem sechsten Tag eines Monats dafür, dass das Heiligtum nicht allzu überfüllt ist:
    "Das ist kein Fruchtbarkeitssessel. Das ist, wenn wir bei dem Bild des Sessels bleiben, der Sessel des Glaubens, denn ohne diesen geht nichts."
    Doch hört man sich unter den wartenden Frauen draußen vor dem Heiligtum auf der Straße um, die geduldig warten, bis auch sie an der Reihe sind, ist nur der Begriff "Fruchtbarkeitssessel" zu hören. Auf ihn wollen sich alle setzen darauf hoffend, dass bald auch für sie ein Wunder geschieht. Nicht wenige Frauen kommen mehrfach zu Besuch, berichtet die Laienschwester Annaluisa:
    "Viele, viele kommen ein weiteres Mal. Fast immer mit einem Baby auf dem Arm, um der Heiligen zu danken. Das erfüllt uns natürlich mit großer Freude."
    Antike Fruchtbarkeitsgottheiten
    Der Erzbischof von Neapel, der Neapolitaner Crescenzio Sepe, versuchte nie, die populäre Verehrung der, so nannte sie der berühmte Historiker Benedetto Croce, "Fruchtbarkeitsheiligen" einzudämmen.
    Unter dem Pontifikat von Benedikt XVI. gab es Versuche, volkstümliche Riten wie den der Maria Francesca einzudämmern, oder zumindest nicht mehr durch die lokalen Diözesanerwaltungen zu fördern. Doch solche Reformansätze sind heute vergessen.
    Und wären in Neapel auch auf großes Unverständnis gestoßen. Was die Neapolitaner von ihrer als Fruchtbarkeitsheiligen verehrten Maria Francesca halten, wird an jedem Sonntagvormittag deutlich: Keine andere Kirche in der Altstadt ist während der Gottesdienste so voll mit Gläubigen. Unter ihren auffallend viele Kinder.
    Der Kult der Heiligen Maria Francesca delle Cinque Piaghe sei so nur in Neapel möglich, meint der bekannte Schriftsteller und Neapolitaner Erri De Luca:
    "Neapel hat zwei Gesichter, zwei Ebenen. Die Oberfläche, so wie wir sie sehen. Und jene untere Schicht, mit ihren direkten Bezügen zu heidnischen Gottheiten und Göttern, zu Riten, die der Katholizismus direkt übernommen hat. Das Heilige dieser Stadt speist sich aus antikem Untergrund."
    De Luca spricht von Demeter, Hera, Mater Matuta und anderen antiken Fruchtbarkeitsgottheiten, deren Verehrung, wie Althistoriker und Anthropologen nachweisen konnten, vor allem in Neapel bis weit ins frühe Mittelalter weiterexistierte - um dann, langsam aber sicher, vom Christentum absorbiert zu werden. Die Verehrung der Santa Maria Francesca delle Cinque Piaghe steht vor diesem Hintergrund in einer uralten und nie unterbrochenen Tradition. Mit dem Segen der Amtskirche.