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Kinderpornografie-Seiten zu sperren "ist längst überfällig"

Ursula Enders, Gründerin der Informationsstelle gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen - "Zartbitter e.V." -, begrüßt eine Sperrung von kinderpornografischen Webseiten. 300 000 Seiten würden so täglich weniger aufgerufen. Enders plädiert auch für Ethik-Kurse für Lehrer, Institutionen und andere Berufsgruppen, bei denen sexuelle und andere Gewalt ein Problem ist.

Ursula Enders im Gespräch mit Elke Durak |
    Elke Durak: Es wäre eine deutsche Lösung im internationalen Netz und ob es funktioniert, ist noch umstritten. Aber besser etwas tun als gar nichts. Das Kabinett hat heute ein Eckpunktepapier zur Sperrung von Kinderpornografie-Seiten im Internet beschlossen, ein Gesetzgebungsverfahren soll so schnell es eben geht eingeleitet werden, denn Internet-Anbieter und Verbände, sie bestehen auf einer Rechtsgrundlage. Moral allein genügt nicht.
    Übrigens plant auch die EU ein neues Gesetz gegen Kindesmissbrauch im Internet. Einzelheiten dazu will die Brüsseler Behörde heute noch bekannt geben. Der Gesetzesvorschlag werde voraussichtlich bestimmte Formen sexueller Gewalt unter Strafe stellen, heißt es, zum Beispiel das so genannte "Grooming". Da machen sich ältere Täter über Chat-Räume und andere Plattformen gezielt an Jugendliche heran.
    Ursula Enders kämpft seit vielen Jahren gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, hat die bundesweit bekannte Beratungsstelle "Zartbitter" gegründet und leitet sie auch. Sie nimmt heute an einer nationalen Konferenz zum Schutz vor sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Berlin teil, ist nun am Telefon. Guten Tag, Frau Enders.

    Ursula Enders: Guten Tag!

    Durak: Was halten Sie denn von dem Vorhaben, solche Seiten im Internet hier in Deutschland zu sperren?

    Enders: Das ist längst überfällig. Es geht nicht nur darum, diejenigen Erwachsenen, die an Kinderpornografie interessiert sind, davon abzuhalten; es geht vor allen Dingen darum, dass Kinder, die zufällig auf diese Seiten stoßen, nicht erneut mit Kinderpornografie konfrontiert werden.

    Durak: Weil das welche Folgen hat?

    Enders: Wir haben die Opfer vor den Bildschirmen. Die Zeugenschaft von sexueller Gewalt ist genauso belastend, als wenn man selber missbraucht wird, und ich erlebe in meiner Beratungspraxis immer wieder, dass Kinder, die solche Seiten gesehen haben, in gleicher Weise traumatisiert sind und sehr massive Folgen haben.

    Durak: Das heißt, die Brutalität unter Jugendlichen, das Abstumpfen nimmt zu, weil man vor dem Bildschirm sich so etwas "reinzieht", wie es heißt?

    Enders: Es gibt einerseits die Reaktion, dass welche das dann nachspielen und eine Gewaltbereitschaft zeigen, aber die meisten Opfer, die das sehen, sind einfach traumatisiert, haben Ohnmachtserfahrungen und zeigen eben halt Folgen auf wie Depressionen, Abspaltungen und sehr starke emotionale Einschränkungen.

    Durak: Genau dagegen, diese Nutzer, diese Betrachter, Jugendliche, Kinder zu schützen, das kann mit diesem Gesetzentwurf nicht geleistet werden. Könnte man da irgendwie anders ansetzen?

    Enders: Doch, es kann schon geleistet werden. Selbst wenn das "Access Blocking" nicht insgesamt alles blockiert, dann werden aber schon 300.000 Seiten in Deutschland weniger täglich aufgerufen und das heißt, viele Kinder kommen nicht rein. Daneben müssen andere Maßnahmen laufen. Wir brauchen Präventionsprojekte zu diesem Thema, die vor allen Dingen in der Grundschule ansetzen und nicht erst bei Jugendlichen, und es kann nicht sein, dass die Präventionsprojekte nur im Internet stehen, sondern wir brauchen gerade Weiterbildungsangebote für Schulen und auch Eltern, mit Mädchen und Jungen zu diesem Thema ins Gespräch zu kommen.

    Durak: Wäre das eine Forderung an die Bundesregierung und auch an die Bundesländer, Sie dabei und andere dabei zu unterstützen, oder wird das schon getan?

    Enders: Sehr wenig. Die ganze Prävention zum Thema "sexuelle Gewalt in den neuen Medien" spielt sich meist in den Medien selber ab. Es gibt ganz wenig Konzepte, die für den pädagogischen Alltag geeignet sind, und es ist so, dass Schulen online gehen, aber noch nicht mal Lehrer verpflichtet sind, sich vorher mit den Gefahren des Internets vertraut zu machen. Jeder Sportlehrer, der das Trampolin im Sportunterricht einsetzt, muss einen Kurs machen. Lehrer, die mit dem Internet arbeiten, brauchen das nicht.

    Durak: Ist das auch Thema oder Gegenstand der Diskussionen der nationalen Konferenz, die nachher gleich beginnt, an der Sie teilnehmen?

    Enders: Es wird einmal das Thema Internet auf der Tagesordnung stehen. Zum anderen werden wir aber auch Themen wie "Gewalt unter Jugendlichen" besprechen, sexuelle Gewalt auch unter Kindern im Vor- und Grundschulalter, und wir werden sicherlich hier auch über das Thema "sexuelle Gewalt in Institutionen" zu reden haben, weil die Bundesregierung hat in den letzten Jahren so gut wie nichts gemacht zu dem Thema. Deutschland war sehr weit Anfang des neuen Jahrtausends, wir waren vorbildlich in Europa. Wir sind heute rückständig, weil dieser Bereich vernachlässigt worden ist. Meine Kritik an dem "Access Blocking", was jetzt ansteht, ist nicht, dass ich diese Technik infrage stelle und den Vorstoß der Bundesfamilienministerin, dass sie das jetzt macht. Das begrüße ich sehr. Meine Kritik ist allerdings, dass dies nicht nur eine Alibimaßnahme sein darf, die davon ablenkt, dass andere Dinge nicht laufen.

    Durak: Welche Dinge laufen nicht?

    Enders: Zum Beispiel die Absicherung der Beratungsstellen vor Ort, zum Beispiel ist es längst überfällig, dass wir einen Ethikkurs bekommen und Verhaltensrichtlinien für Professionelle und auch Lehrer, die die Grenzen von Kindern und Jugendlichen achten, so dass nicht Lehrer, die immer wieder missbrauchen, von einer Schule zur anderen versetzt werden, weil sie halt Beamte sind, sondern jemand, der in der Bank 50 Euro klaut, der kann auch nicht mehr am Bankschalter sitzen, und dazu ist die Bundesfamilienministerin bis heute nicht gekommen, dort zum Beispiel in dem Bereich Maßnahmen zu ergreifen.

    Durak: Haben Sie das, Frau Enders, gemeint mit "sexuellem Missbrauch in Institutionen", wenn sich Lehrer vergreifen, oder was ist noch gemeint?

    Enders: Ja, wenn Lehrer sich vergreifen oder andere Berufsgruppen, aber auch Hilfen für Institutionen, wenn Jugendliche untereinander sehr viel Gewalt verüben, und das haben wir gerade speziell zum Bereich Internet. Die meiste Gewalt an Kindern und Jugendlichen im Internet wird wiederum von Jugendlichen verübt, und da brauchen wir ganz gezielte Präventionsmaßnahmen.

    Durak: Ist im Ernst daran zu glauben, Frau Enders, dass Bedrohungen, psychische Bedrohungen, moralische Bedrohungen aus dem Internet irgendwie aufzuhalten sind?

    Enders: Wissen Sie, ich arbeite seit Ende der 70er-Jahre zu dem Thema Missbrauch. Damals hat man nie geglaubt, dass wir so weit kommen. Man hat nie geglaubt, dass wir etwas verändern können. Und in meiner Beratungsarbeit bekomme ich mit, dass Opfern heute sehr viel früher geholfen wird, dass das Thema öffentlich ist. Wir werden den Missbrauch im Internet nicht generell beenden können, aber wir können die Normen ändern in der Gesellschaft, dass es eher geächtet wird und dass Mädchen und Jungen, die davon betroffen sind, nicht einfach schweigen, aus Scham und weil sie meinen, es sei ja nur ein Spiel. Wenn wir das ändern, sind auch die Bewältigungschancen sehr viel höher, und wir werden vor allen Dingen an den Normen der Kinder untereinander arbeiten und die stärken, die damit nicht einverstanden sind. Dann wird das Maß abnehmen. Wir haben beobachtet, dass die sexuelle Ausbeutung in Familien und im nahen Umfeld weniger geworden ist. Das ist meine Beobachtung in der Praxis seit vielen Jahren, und nicht nur meine. Nun können wir auch hoffen, dass wir auch im Internet was verändern können. Ich bin hier optimistisch!

    Durak: Die Gründerin und Leiterin der Selbsthilfegruppe "Zartbitter", Ursula Enders, war bei uns im Interview. Danke, Frau Enders, und viel Erfolg für Ihre Konferenz.

    Enders: Danke!