"Solange ich aktiv sein konnte, hat mich das Leben gefreut. Das hohe Alter, auch die Erkrankung, beschränkt einem das Leben sehr. Und ich würde sagen, wenn man die menschlichen Beziehungen nicht aufrechterhalten kann, und wenn man nicht mehr arbeitsfähig ist, dann hat das Leben ja sehr wenig Sinn", sagte einst Bruno Bettelheim.
Am Ende wollte er nicht mehr: Am 13. März 1990 nahm sich Bruno Bettelheim im Alter von 86 Jahren in einem Altersheim in Silver Spring im US-Staat Maryland das Leben - vereinsamt, verbittert und von einem Schlaganfall gezeichnet. Wenig später erhoben einige ehemalige Patienten massive Vorwürfe gegen den berühmten Kinderpsychologen. Sie behaupteten, an der "Orthogenic School", einem Institut zur stationären Langzeitbehandlung von schwer verhaltensgestörten und autistischen Kindern an der Universität von Chicago, das Bettelheim fast dreißig Jahre lang geleitet hatte, habe ein Klima der Angst geherrscht. Bettelheim habe Kinder auch geschlagen. "Das ist ja häufig so, wenn jemand sehr idealisiert wurde. Wer hoch auf dem Thron steht, der kann auch tief fallen", sagte dazu die Essener Kinderanalytikerin Amelie Haffer-Penther. "Ich glaub, es ist wichtig, ihn da zu verstehen in seiner Lebensgeschichte. Denn er hat etwas erlebt im Konzentrationslager, was vielleicht da auch teilweise zum Vorschein kam."
Vom Unternehmer zum Psychologen
Bettelheim, am 28. August 1903 in Wien geboren, stammte aus einer reichen jüdischen Familie. Er wäre gerne Kunst- oder Literaturwissenschaftler geworden, trat dann aber 1926, nach dem Tod des Vaters, dessen Nachfolge als Holzgroßhändler an - durchaus mit einem "Händchen für Geschäfte", wie es seine Biografin Nina Sutton formulierte. Nach dem Einmarsch der Nazis in Österreich 1938 wurde Bettelheim erst nach Dachau, dann nach Buchenwald deportiert. Seitdem galt sein Interesse Menschen in "Extremsituationen". Bettelheim sagte einmal dazu: "Was mich so beeindruckt hat, ist, dass die SS im Konzentrationslager eine, wie soll ich sagen, eine Umwelt geschaffen hat, die vollkommen persönlichkeitszerstörend war. Es war immer dieses Vorbild: Konzentrationslager als lebens-, persönlichkeitszerstörend. Eine Institution für Kinder - persönlichkeitsaufbauend. Dieser Gegensatz."
Dank der Fürsprache von einflussreichen Freunden, darunter Eleanor Roosevelt, der Frau des amerikanischen Präsidenten, kam Bettelheim nach elf Monaten mit der Auflage wieder frei, in die USA zu emigrieren. 1944 übernahm er die Leitung der "Orthogenic School". Ohne jemals Medizin studiert zu haben, etablierte er dort - nach Prinzipien der Freud'schen Psychoanalyse - sein Konzept des "totalen therapeutischen Milieus". Bettelheim: "Vor allem auch brauchten diese Kinder, was also das Baby braucht, nicht wahr, eine vollkommen akzeptierende, alle Nöte erfüllende Umgebung."
Jedes Kind braucht eine individuelle Betreuung
"Die Kinder wurden auf allen Ebenen verwöhnt. Denen wurde einfach ermöglicht, dass sie dann schlafen konnten, wann sie wollten, dass sie dann aufstanden, dass sie aßen, was sie wollten. Also man kann sagen, das war so ein bisschen Schlaraffensituation", sagt Amelie Haffer-Penther. Bettelheim war der Überzeugung: "Aber was befriedigend für ein Kind, ist nicht befriedigend für das andere Kind. Also, da mussten große Variationen, individuelle Variationen geschaffen werden." Viele seiner ehemaligen Schützlinge erinnerten sich an Bettelheim mit großer Dankbarkeit.
Nach seiner Emeritierung 1973 schrieb er Bücher, darunter den Bestseller "Kinder brauchen Märchen" - eine Rehabilitation der vermeintlich grausamen Grimm'schen Märchen als Hilfe im Kampf gegen unbewusste Ängste, von denen der große Bettelheim manche vielleicht auch mit den Kindern teilte. Ein zentrales Thema blieb die kindliche Aggression - für Bettelheim ein notwendiger Entwicklungsschritt auf dem Weg zur Toleranz und Friedfertigkeit: "Aber natürlich müssen die Eltern das Beispiel geben, dass sie nicht Aggressionen haben. Oder sehr wenige oder sehr kontrollierte Aggressionen haben. Das dauert natürlich eine Zeit lang, bis das Kind sich dieses Beispiel zu eigen macht. Man muss da Geduld haben und nicht von dem Sechs-, Zehn- oder Zwölfjährigen erwarten, dass er so ist, wie er als Erwachsener sein wird. Denn - wie Goethe gesagt hat - es bildet ein Talent sich in der Stille. Und ein Charakter in dem Strom der Welt."