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Kinderraub in Spanien
Die gestohlenen Babys des Dr. Vela

Jahrelang wurden in spanischen Krankenhäusern Frauen ihre Neugeborene weggenommen und verkauft. Von bis zu 300.000 Babys in fünf Jahrzehnten sprechen die Ermittler - und von mafiösen Verbindungen aus Anwälten, Ärzten und Geistlichen, die an dem Kinderhandel verdienten. In Madrid geht ein erster Prozess gerade zu Ende.

Von Oliver Neuroth |
    Teilnehmer einer Demonstration stehen am Rande des Prozess um den jahrzehntelangen Babyraub vor dem Landgericht.
    Begleiten die juristische Aufarbeitung: Opfer des Babyraubs demonstrieren vor dem Gericht (Juni 2018) (dpa / Emilio Rappold)
    Tumulte vor einem Gericht in Madrid. 20, 30 Frauen stehen auf der Straße, wütend brüllt eine: "Gebt endlich zu, dass ihr uns unsere Kinder gestohlen habt!". Es ist der erste Verhandlungstag im Prozess um geraubte Babys im Sommer. Die Frauen sind Opfer des Skandals: Mütter, denen ihre Kinder nach der Geburt abgenommen wurden - und die geraubten Kinder selbst, heute Erwachsene, die inzwischen wissen, dass sie nicht bei ihren leiblichen Eltern aufgewachsen sind.
    "Dr. Vela und seine Krankenschwestern, die behaupten, sie wüssten von nichts, sind Kriminelle!" ruft eine andere Frau, als der Hauptangeklagte das Gerichtsgebäude verlässt. Frauenarzt Dr. Eduardo Vela soll in einer Klinik in Madrid für den Babyhandel verantwortlich gewesen sein, in mehreren tausenden Fällen. Im Gerichtssaal behauptet der heute 85-Jährige, von alledem nicht zu wissen.
    "Kennen Sie Manuel Rubio Conde? Er war Kollege von Ihnen im Krankenhaus."
    Dr. Vela blickt verwirrt, zuckt mit den Schultern.
    "Sie erinnern sich also nicht", stellt die Richterin fest. Der alte Mann scheint allerdings völlig klar im Kopf zu sein, als man ihm eine Sterbeurkunde auf den Tisch legt und ihn fragt, ob die Unterschrift darunter seine sei. Nein, sagt er bestimmt. Nicht wenige zweifeln deshalb ab, dass der Arzt tatsächlich Gedächtnislücken hat.
    Das Gefühl einer großen Leere
    Auch Margarita Perez, sie war Patientin von Dr. Vela. Anfang der 80er Jahre wurde sie in seine Klinik zur Entbindung eingeliefert - nachdem ihre Schwangerschaft ohne größere Probleme verlaufen war.
    "Mein Sohn kam auf die Welt, es war eine unkomplizierte Geburt. Danach fragte ich, ob ich mein Kind sehen könnte. Man sagte mir: Nein, mein Kind sei gestorben. Ich antwortete: 'Das kann nicht sein, es hat doch gerade noch geschrien.' 'Doch', meinten sie. Und ich fing sofort an zu weinen."
    Spanische Journalisten berichteten in den 80er Jahren, dass es so tausenden Frauen ergangen war - über fünf Jahrzehnte. Auch dass Krankenhäuser tote Babys in Kühlfächern aufbewahrten, die Ärzte den Müttern zeigten und behaupteten, es seien ihre Babys, die die Geburt nicht überlebt hätten. Das gesunde Neugeborene wurde verkauft - zum Beispiel an Paare, die selbst keine Kinder bekommen konnten.
    Viele der "bebés robados" suchen bis heute nach der Wahrheit ihrer Geschichte. Enrique Vila entdeckte zufällig in alten Unterlagen, dass auch er als Baby verkauft wurde.
    "Wie erkläre ich es jemandem, der seine Eltern hat, seine Großeltern. Wie erkläre ich jemandem, dass ich nichts habe. Gibt es Krankheiten in meiner Familie? Aus welcher Gegend komme ich? Warum sehe ich so aus? Wie werde ich einmal aussehen? Du fühlst eine große Leere."
    Weitere Verfahren wahrscheinlich
    So etwas wie der Star für die vielen Opfer des Baby-Skandals in Spanien ist Inés Madrigal. Sie hat mit dafür gesorgt, dass es zu diesem ersten Verfahren kommt, als Nebenklägerin. Inés war auch ein "bebé robado", wurde nach ihrer Geburt an eine andere Familie verkauft - von Dr. Vela und seinen Kollegen, wie sie sagt.
    "Ich denke, ich habe schon gewonnen. Jetzt weiß die ganze Welt, dass man in Spanien über 60 Jahre hinweg Kinder geraubt hat. Und mein Fall hat es vor ein Gericht geschafft. Aber eigentlich ist er nur einer von hunderten, von tausenden."
    Die Staatsanwaltschaft fordert für den 85-jährigen Dr. Vela elf Jahre Gefängnis. Sollte er verurteilt werden, wäre das nicht nur ein Erfolg für Inés - auch für die anderen Opfer des Baby-Skandals. Und es könnte sie ermutigen, weitere Verfahren anzustoßen. Denn Dutzende spanische Ärzte und Nonnen, die in das Geschäft mit Neugeborenen verwickelt waren, sind noch am Leben.