Martin Winkelheide: Sexualstraftaten lösen in der Bevölkerung eine besonders große Betroffenheit aus. Vielfach gehen Menschen davon aus, dass Sexualstraftäter psychisch krank sind. Was steckt hinter diesen Straftaten und was steckt hinter sexueller Gewalt? Das waren Fragen, die vergangene Woche in Berlin auf dem Kongress der DGPPN, der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, diskutiert wurden. Mein Kollege Carsten Schroeder, was sind das für Menschen, die solche Straftaten vollbringen?
Carsten Schroder: Eine aus psychiatrischer Sicht besonders heterogene Gruppe, die man nicht über einen Kamm scheren sollte.
Die eine Gruppe, das sind Vergewaltiger, sexuelle Nötiger, die mit Gewalt oder auch nur der Androhung von Gewalt vor allem Frauen missbrauchen.
Dann gibt es sexuellen Missbrauch ohne körperliche Gewalt, aber durch starken psychischen Druck. Davon sind vor allem Kinder betroffen. Und auch da muss man unterscheiden: Es gibt zum einen die Gruppe der Pädophilie: Täter, die von ihrer Persönlichkeit entsprechend geprägt sind, und sich zum Beispiel Knaben in ihre Wohnung einladen.
Dann gibt es solche, die sich situationsbezogen an Kindern vergehen. Zum Beispiel der neue Lebenspartner der Mutter, der nun auch die 13-jährige pubertierende Tochter attraktiv findet und übergriffig wird.
All diese Unterscheidungen sind in der forensischen Psychiatrie wichtig, um zum Beispiel bei Gutachten etwas darüber auszusagen, inwieweit sie straffähig sind, zurechnungsfähig strafmündig.
"Sie haben ein sexuelles Begehren, wie es viele haben"
Winkelheide: Gehen Sexualstraftaten auf psychiatrische Krankheiten zurück, oder sind es einfach nur dissoziale Persönlichkeiten, die diese Taten ausführen?
Schroeder: Erstaunlich: Nur drei Prozent der Sexualtäter sind im Verständnis der Mediziner psychiatrisch krank, und kommen dann entsprechend in den psychiatrischen Maßregelvollzug, während 97 Prozent als gesund gelten und entsprechend zu Haftstrafen verurteilt werden. Ich habe darüber mit Professor Hans-Ludwig Kröber gesprochen. Er war bis vor kurzem noch Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie der Charité und seit zwei Monaten im Ruhestand.
"Es ist in der Tat so, dass wir ein sehr breites Spektrum von Sexualstraftätern haben, wir haben Kindesmissbraucher, die nicht primär auf Kinder stehen, die durchaus normale sexuelle Beziehungen zu erwachsenen Partnern haben, die aber in bestimmten Fällen der Versuchung nicht widerstehen wollen, dass sie mit einem pubertierenden Mädchen beispielsweise eine sexuelle Situation herstellen.
Bei denen, die sozial integriert sind und die sonst im Leben bestens zurechtkommen, wird man nicht behaupten können, dass sie eine psychische Krankheit haben, man wird meistens auch nicht behaupten können, dass eine gravierende Persönlichkeitsstörung haben.
Sie haben ein sexuelles Begehren, wie es viele haben, und dieses sexuelle Begehren auch auf illegale Weise umzusetzen, ist eine Versuchung, die jeder eigentlich kennt."
Winkelheide: Das hört sich sehr verharmlosend an, immerhin geht es um Sexualstraftaten.
Schroeder: Natürlich. Wenn es um Vergewaltigung geht oder um Kindesmisshandlung, da kann man den Psychiatern schwer folgen, wenn sie sagen, so etwas sind Versuchungen die jeder kennt. Das sind Taten, die wir ganz widerlich finden.
Zur Ehrenrettung der Psychiater sei gesagt, dass sie ganz klar von Straftätern sprechen, und davon, welche rechtliche Konsequenzen Sexualstraftaten haben.
Man muss unterscheiden zwischen psychiatrisch krank im juristischen Sinne, und psychiatrisch krank im medizinischen Sinne.
Man kann das auch durchaus als Warnung an mögliche Täter verstehen: Ihr seid voll schuldfähig und könnt euch nicht mit einer psychischen Störung herausreden.
Winkelheide: Ob das als Schutz vor sexuellen Übergriffen ausreicht? Wie steht es um die Rückfälligkeit von Sexualstraftätern?
Schroeder: Insgesamt liegt die Rückfallrate bei Sexualstraftaten bei 20 Prozent. Das ist ziemlich viel. Auch da kommt es wieder auf die Tätergruppe an.
Am besten sieht es bei den sogenannten Situationstätern also, also denjenigen, die die Tat nicht unbedingt von ihrer Persönlichkeitsstruktur geplant haben, zum Beispiel die vorhin genannten, die die 13-jährige Tochter der Freundin missbraucht haben, da liegt die Rückfallrate bei unter zehn Prozent, wenn sie denn erwischt wurden und eine Haftstrafe abgesessen haben.
Ganz anders bei den Pädophilen, da liegt die Rückfallrate bei über 50 Prozent. Das ist eine erschreckend hohe Zahl.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.