Glück
Wir saßen
wir standen auf,
gingen;
wir stiegen ein,
fuhren
und kamen an.
Wir legten an
mit unserm Kahn
An einer Felseninsel.
Die Insel war klein,
doch mit Buschwerk, Gestein
eine Urwelt für uns ganz allein.
In bester Minimaldichtung skizziert Josef Guggenmos ein Abenteuer, das sich jedes Kind ausmalen kann. Erwachsene jedoch finden Sprache in Versen zeitweilig schwierig, verbinden Gedichte mit der Erinnerung an langatmige Unterrichtsstunden und Lehrer, die ihnen die Freude an tanzenden Versen verdorben haben.
Doch Kinder lieben Gedichte. Bereits Kleinkinder experimentieren mit Lauten. Sie brabbeln, plappern, zischeln, verstehen Rhythmus und Reim. Kinder entwickeln ein Gespür für das Ursprüngliche in der Sprache, ob sie nun Schlaflieder, Kniereiter- oder Krabbelverse, Wiegenlieder, Stegreif- oder Abzählverse hören. Die Freude an Wortverdrehereien, eigenen Reimschöpfungen und Spracherfindungen durchlebt in einer bestimmten Phase jedes Kind und diese kann wieder belebt werden, wenn sie als Jugendliche Rapmusik entdecken und eigene Texte ausprobieren.
Zwischen Kind und Gedicht besteht ein sehr enges Verhältnis von Anfang an, das bestätigt auch der Berliner Lyriker und Autor Jens Sparschuh.
"Kinder kommen ja schon als Dichter zur Welt, alle Menschen kommen als Dichter zur Welt. Das hat Robert Gernhardt in seinen Poetikvorlesungen mal geschrieben. Mama, Papa, Pipi, die ersten Worte von Kindern sind ja schon Gedichte, das sind Stabreime, bei Mama zweimal "m" und hinten saubere Endreime, zweimal "a". Und insofern ist das eigentlich nur ein Zurückerinnern an ganz archaische Formen und deswegen denke ich, brauchen Kinder Gedichte."
Arne Rautenberg: "Ich glaube, Kinder brauchen Gedichte, weil das Gedicht ein Medium ist, in dem man Spiel und Spaß haben kann, weil Gedichte die Lust an der Sprache befeuern. Weil meiner Meinung nach die lustvolle Benutzung der Sprache, auch mit der lustvollen Benutzung des Denkens einhergeht. Kurzum: Gedichte fördern den kreativen Geist."
Meint der Dichter Arne Rautenberg und Christine Knödler ergänzt:
"Die Schönheit von Gedichten liegt für mich daran, dass es die knappste, literarische Form ist. Und im Gedicht muss alles sitzen, Rhythmus, Sprachbild, Tempo, Lautmalerei. Wenn das ein Gedicht erfüllt, kann es einen lang begleiten. Und natürlich unterhalten Gedichte, sie machen einfach Spaß und sie lassen einen sehr oft weiterdenken."
Gerda Anger-Schmidt
Wünsche wie Wolken
Mal deine Wünsche in den Himmel.
Wünsche wie Wolken, wie Apfelschimmel.
Wünsche so groß wie ein Riesenrad.
Wünsche so klein wie ein Zinnsoldat.
Für alles ist Platz -
ob Ball oder Spatz,
ob Eisbär oder Marmeladenglas.
Schau in den Himmel
und wünsch dir was!
"Mal deine Wünsche in den Himmel – Kunst und Gedichte für Kinder und Erwachsene" heißt auch die Anthologie, die Christine Knödler herausgegeben hat. Das Gemälde "Hirtenknabe" von Franz von Lenbach signalisiert als Coverbild: Hier geht es um Weite, vielleicht auch Neuartiges. Ein Junge liegt barfüßig entspannt auf einer Sommerwiese und schaut interessiert ins Himmelblau.
"Die Idee war dann zunächst mal Gedicht und Bild und zwar bildende Kunst zusammenzubringen. Das Interessante daran ist, das ist auch das Prinzip dieses Buches, dass die Bilder ja nicht zu den Texten entstanden sind, obwohl es manchmal fast einem so vorkommt. Weil ich dann plötzlich ein Gedicht hatte und wusste, dazu gibt es ein Bild, das passt so wunderbar dazu, das es einander ergänzt."
So passt das Gedicht "Alles unter einem Hut" treffsicher zu dem stillen wie geheimnisvollen Bild "Sommertag" von Quint Buchholz. Wie in einem Wachtraum sieht der Betrachter einen überdimensional großen, weißen Hut, der offenbar von einem Menschen getragen wird. Auf dem Hut sitzen winzig klein ein Mann und ein Junge, die von oben aus die Welt und den weiten Himmel anschauen.
Jürg Schubiger
Alles unter einem Hut
Vaters Kopf
mit Vaters Ohren,
Vaters Hemd
mit Vaters Hals.
Und im Schatten des Huts
Vaters Bartstoppellachen.
Über dem Hut
der blaue Himmel,
den wir uns teilen,
Vater und ich:
jeder genau die Hälfte.
Tschüss, sagt Vaters Stimme.
Sein Hut geht weg,
seine Hälfte des Himmels
über dem Hut
geht mit.
Mal stehen sich nur ein Gedicht und ein Bild oder Bilderausschnitt gegenüber, dann aber auch wieder zwei Gedichte und ein Kunstwerk. Quer durch die Jahrhunderte hat Christine Knödler 84 Gedichte mit 73 Kunstwerken kombiniert. Zwar tauchen bekannte Dichter- und Malernamen auf, wie Rainer Maria Rilke, Mascha Kaléko oder Ernst Jandl, Caspar David Friedrich, Marc Chagall oder Claude Monet. Aber es sind nicht immer die berühmten Werke, die ausgewählt wurden.
"Mein Anliegen dieses Buches ist, Text und Bild zusammenzustellen und zu schauen, welche Verbindung gehen die beiden miteinander ein und was entsteht dann beim Leser und Betrachter."
Auch, wenn Christine Knödler mehr als sonst in Museen und Galerien für dieses originelle Projekt unterwegs war, der lyrische, oftmals anspruchsvolle Text stand für sie fast immer zuerst fest. Bleibt die Frage, wie man die Balance findet, um Kinder und Erwachsene gleichzeitig anzusprechen.
"Man kann Kindern etwas anbieten. Andersrum geht es natürlich ohnehin, von Erwachsenen zu Kindern. Man kann Kindern etwas anbieten und sie ziehen das raus, was für sie daran schön ist. Und meine Grundeinstellung ist tatsächlich, ihnen lieber viel anzubieten, was sie vielleicht mal überblättern oder zu einem späteren Zeitpunkt lesen. Was sie vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt viel, viel anders lesen. Als zu denken, das kann man Kindern nicht anbieten. Und im übrigen ist es schon ein Buch, was darauf setzt, dass Kinder und Erwachsene gemeinsam sich das anschauen."
Eine Option wäre, sich die Gedichte dieses Bandes gegenseitig laut vorzulesen und in einem kreativen, spielerischen Prozess sich eigene Bild- und Gedichtpaare zusammenzustellen.
"Da sind Gedichte drin, das war für mich ein Hauptkriterium, die ganz vom Klang leben, vom Rhythmus, vom Tempo. Und die in diesem einfach schön sind und wenn ich für diese Schönheit gewinnen könnte, wäre das ein Hauptziel, auch, wenn es dann vielleicht mal eher schwierig ist oder auch ernst ist."
Hermann Hesse
Blauer Schmetterling
Flügelt ein kleiner, blauer
Falter vom Wind geweht,
ein perlmutterner Schauer,
Glitzert, flimmert, vergeht.
So mit Augenblicksblinken,
So im Vorüberwehn
Sah ich das Glück mir winken,
Glitzern, flimmern, vergehn.
Eine innere Dramaturgie entstand für Christine Knödler nach langer Recherche in dem Moment, wo sie ihre zueinander passenden, das Geäußerte widersprechenden oder weitererzählenden Gedichte und Kunstwerke in bestimmte Abschnitte einteilen konnte. Thematisiert werden die Beziehung zwischen Ich und Du, Familie, aber auch Tiere spielen eine wichtige Rolle, so wie Landschaften und Seelenzustände. Bei der Gestaltung der Texte wird mit Schrifttypen und Größen gespielt, mal liegen die Gedichte schräg auf der Seite, haben ganz viel Platz, verschmelzen mit dem dazu gehörenden Bild oder werden mit einer individuellen Illustration bereichert. So umkreist eine Schaukel das Gedicht "Kindheit" von Rainer Maria Rilke. Zum Gedicht passend hat Christine Knödler das Gemälde "Der Ballon" von Félix Vallotton ausgewählt.
Entstanden ist ein wunderbar anregendes Buch, das Christine Knödler mit Fachkenntnis und einem Feingefühl für die richtige Mischung zusammengestellt hat.
Manfred Mai
Papa
Wenn ich auf deinem Schoß sitze
und mich an dich kuschle,
dann bist du mein Papa.
Wenn du bei mir auf dem Boden sitzt
und mir ein Legoschloss baust,
dann bist du mein Papa.
Wenn du einfach zugibst,
dass du einen Fehler gemacht hast,
dann bist du mein Papa.
Wenn du mich an dich drückst,
ohne dass es einen Grund dafür gibt,
dann bist du mein Papa.
Wenn du mit mir redest
wie mit Mama oder Onkel Andi,
dann bist du mein Papa.
Wenn ich zu dir ins Arbeitszimmer komme
und du den Bleistift weglegst,
dann bist du mein Papa.
"Ein Nashorn saß auf einem Baum" heißt der aktuelle Gedichtband von Manfred Mai. Der 63-jährige Dichter und Sachbuchautor ist immer vielseitig nah an der Alltagswelt der Kinder und er steht unbeirrt auf ihrer Seite. Bei aller Vorliebe für Sprachklangspiele ist er doch auch ein genauer Beobachter.
Kinderklage
Wenn ich leise spreche,
hören meine Eltern nicht zu.
Wenn ich lauter spreche,
hören meine Eltern immer noch nicht zu
oder sie haben keine Zeit.
Wenn ich schreie,
sagen meine Eltern,
ich soll leise sprechen.
Wenn ich leise spreche,
hören meine Eltern nicht zu.
Nachdenkliche Verse, ob im strengen Strophenmaß oder frei gedichtet, stehen neben lakonisch skurrilen über Knuddelschweine oder fliegende Nashörner. Manfred Mai legt den Finger auf die Wunde, wenn es um Identitätsfindung, Konflikte in der Schule oder in der Familie geht oder um starke Gefühle, wie Kummer und Liebe. Aber in seinen sprachlich klaren Versen ist all dies Komplizierte umgewandelt. Seine Gedichte verzichten auf Metaphern, sie wecken Aufmerksamkeit für die kleinen Selbstverständlichkeiten unserer Daseinswelt und wollen unmerklich zum Schmunzeln und gleichzeitig Reflektieren anregen.
Mit ihren feinen Zeichnungen erzählt die Illustratorin Stefanie Harjes Manfred Mais poetische Texte weiter.
Sobald ich auf dem Sofa sitze,
blitzen meine Geistersblitze.
Sobald ich auf dem Sofa ruh,
fliegen mir die Reime zu.
Ich muss nur auf dem Sofa sein,
schon fallen mir die Reime ein.
Dichtet locker leicht das Wesen mit den blauen Wunschpunkten, dem Taucheranzug und der rüsselartigen Nase, das tollkühne Sams, eine Erfindung des Schriftstellers Paul Maar. In dem handlichen Büchlein "Da bin ich gespannt wie ein Gummiband" versammeln sich kurzweilige, tiefsinnige, unsinnige und freche Sprüche aus sieben Sams-Kinderbüchern, von denen das erste vor 40 Jahren erschien. Das Sams reimt gern wild drauflos, am liebsten über das, was ihm am besten gefällt, das Essen und natürlich Würstchen, schräge Regeln über das Leben allgemein, seine geliebten Unterwassertiere und es lässt sich von berühmten Dichtern inspirieren:
Die Ballade vom verrückten Rasenmäher
Wer rast so spät durch Gassen und Straßen?
Wen hört man so laut durch die Vorgärten rasen?
Es ist Herr Rüssmann, der rasende Mäher!
Das Rasen des Mähers kommt näher und näher.
"Mein Vater, hörst du den Mäher nicht?"
"Jetzt halt die Klappe! Sei still, du Wicht!"
Sicher sind die Sams- Sprüche keine große Dichtkunst, sondern eher respektlose Gelegenheitsgedichte, in denen der überschwängliche Dichter mit Worten bis über die Sinngrenze hinaus spielt. Vielleicht ist das ja das Besondere, niemand kann der Lyrik Regeln aufzwingen.
Gespräch unter Fischen
blibb
sagte der eine fisch zum anderen
blabb
sagte der andere fisch zum einen
blubb
sagte ein weiterer fisch zum dritten
da haben sich alle gestritten
Der Lyriker Arne Rautenberg hat für den umfangreichen Band "Hier wohnt mein Glück – Gedichte für Kinder und Erwachsene", herausgegeben von Natalie Tornai und Edward van de Vendel, so einige Gedichte über Fische geschrieben. Das mag an seinem Wohnort Kiel liegen, aber auch an den inspirierenden Bildvorgaben des flämischen Künstlers Carll Cneut. Bei diesem Gedichtband, Vorlage war die niederländische Originalausgabe von Edward van de Vendel, konnte nur ein geringer Teil der Gedichte übernommen werden. Und so bat Natalie Tornai Dichter wie Heinz Janisch, Jutta Richter, Uwe-Michael Gutzschhahn, Susan Kreller oder Arne Rautenberg um Verse über Fische, Erdmännchen, Elefanten, Mäuse, Hasen, Katzen, Hunde und Affen, alle eigenwillig von Carll Cneut illustriert.
Arne Rautenberg: "Mir hat das besonders gefallen, dass er die Tiere anzieht und ihnen diesen aufrechten Gang gibt. Aber das macht er auf so eine klassische, zeitlose, sich nicht anbiedernde Art, so ganz leicht zurückgenommen und das finde ich einfach großartig."
Gut einen Monat hat sich Arne Rautenberg mit den detailverliebten Illustrationen von Carll Cneut auseinandergesetzt:
"Auf der einen Seite ist man nicht mehr ganz so frei für den zündenden Funken, weil man ja so eine bildliche Vorgabe hat. Auf der anderen Seite hilft einem die bildliche Vorgabe ja auch, sich einmal auf etwas Neues einzulassen, zum Beispiel auf einen tanzenden Dino in bunten Hallodriklamotten. Zu manchen ist mir nichts eingefallen, zu anderen hatte ich sofort einen Funkenschlag. Ein Mops, der in einer unglaublich langen Hundehütte ist. Da wusste ich sofort, jetzt muss ich ein Gedicht machen, das ganz kurze Zeilen hat, die aber ganz lang sind."
Die Illustrationen von Carll Cneut wirken einerseits wie aus einer vergangenen Zeit. Die Tiere tragen blaue Matrosenanzüge, rote, grüne, gelbe, knallig-bunte, gepunktete oder gestreifte altmodische Schlafanzüge oder kitschige Zirkuskleidung. Andererseits rücken die schwungvollen, nachdenklichen, fantasievollen und vergnüglichen Gedichte die Tiere bei aller Nähe und Fremdheit wieder in unsere Gegenwart.
Arne Rautenberg
toter vogel
wenn du gesungen hast
hab ich nicht hingehört
jetzt liegst du still im gras
nun da du nicht mehr bist
fehlt dein gesang mir sehr
im winde schweigt der ast
so merklich geht dahin
was unmerklich betört
Arne Rautenberg: "Also, das muss ja nicht immer das klassische Reimen sein. Ich schätze zwar eingängige Versformen. Ich schätze auch den Reim, der gibt dem Suchenden so ein stabilisierendes Moment. Das ist auch ganz toll, damit kann man toll arbeiten. Das ist wie Klebstoff, in dem man etwas Unerhörtes viel glaubhafter behaupten kann. Aber ich habe auch keine Angst vor einfachen Ideen, aber das kann nicht alles sein in der Poesie. Meist sagt einem ja das Gedicht selbst, was es will, wie es daherkommen will. Manchmal müssen neue Formen erfunden und erprobt werden. Dann muss mal einer Idee nachgegangen werden, ältere Formen müssen aufgebrochen werden, um was Neues zu riskieren, um was auszuprobieren. Manchmal muss auch einfach rücksichtslos gespielt werden, um irgendwas zuzulassen. Mein Programm ist ja eigentlich, gar keins zu haben. Ich möchte, dass meine Gedichte erhellen und zum Nachdenken anregen. Und was das Formale angeht, da lasse ich mich im Gegensatz zu meinen Kollegen gar nicht einengen, sondern ich gehe immer dahin, wohin mich eine Idee haben will. Und was das Inhaltliche angeht, besteht das Leben ja auch nicht nur aus hellen, sondern auch aus nachdenklichen und düsteren Momenten. Und die finden sich dann in meinen Gedichten wieder."
Auffällig bei Arne Rautenberg ist aber auch die konsequente Kleinschreibung und der Verzicht auf die Interpunktion:
"Mir gefällt die Idee nicht, dass manche Wort in einem Gedicht groß und andere klein geschrieben sind. Das sieht ja fast aus, als wären einige Worte wichtiger als andere. Und gerade das soll in einem Gedicht von mir ja nicht der Fall sein. Also, hier wäge ich ja schließlich jedes Wort sorgfältig ab und ich möchte dabei keines als größer oder kleiner gewichten. Und was die Interpunktion angeht, da finde ich, dass das Gedicht über die Zeilenlänge und Zeilenbrüche schon zum größten Teil selbst erledigt. Deswegen minimiere ich die Satzzeichen in meinen Gedichten. Und ganz generell möchte ich zeigen, dass Gedichte eigenständige Gebilde sind, die ganz eigene Systeme hervorbringen, die frei sind und sich nicht irgendwelchen Regelsystemen unterwerfen müssen."
Wie gut, dass ein Hase nicht lesen kann,
dachte der Hase und rieb sich die Pfoten.
Er holte tief Luft und öffnete dann
die Tür mit der Aufschrift Zutritt verboten.
Dieses Gedicht von Franz Wittkamp, aber auch viele andere, finden sich im umfangreichen Band "Firlefanz – ganz und gar und gar und ganz, Sinn- und Unsinnsgedichte", den Jens Sparschuh zusammengestellt hat:
"Ich habe natürlich versucht, alle Wege zu beschreiten. Es gibt im Internet ja rasend viel, aber natürlich gibt es die ganz klassische Bibliothek. Ich habe mich dann hier in den Pankower Schlosspark mit großen Bücherstapeln gesetzt und war einige Wochen lang in bester Gesellschaft mit den Kollegen Ringelnatz und Morgenstern und Gernhardt und Goethe und Lessing und auch mit Autoren zugange, Grillparzer zum Beispiel, den man nicht auf Anhieb so eine komisch-absurde Seite zutraut. Aber alle Autoren haben diese absurde Schattenseite, ja."
Nicht nur die üblichen Verdächtigen sind dabei. Jens Sparschuh hat sich weit vorgewagt und auch Gedichte von Carl Spitzweg, Georg Weerth und Friedrich Nietzsche in die Sammlung aufgenommen. Auch lebende Autoren kommen zu Wort, wie Jürgen Rennert, Richard Pietraß, Walter Petri und Jens Sparschuh selbst.
"Ich schreibe Kindergedichte in der Grundstimmung, wenn ich eine Sache erfahren will, wenn ich etwas wissen will, wenn ich neugierig auf etwas bin, wenn ich die Sache so hin- und herdrehen und wenden kann, bis sie mir etwas offenbart, was mich überrascht."
Jens Sparschuh
Roland und Waldemar
(Gesprächsprotokoll)
Ich bin der Riese!
Und ich bin riesig, nicht?
Richtig, flüsterte der Wicht, richtig.
Ich bin ja bloß der Wicht.
Ich bin bloß wichtig.
Auffällig ist, dass Jens Sparschuh nicht nur bei seinen, sondern auch bei den ausgewählten Kindergedichten sehr viel Wert auf Musikalität legt, auf Reim und Rhythmus, auf die gute, alte klassische Verskunst. Und so erklärt er die Welt enzyklopädisch in 13 Kapiteln mit absurden, frechen, abgedrehten und einfach nur komischen Gedichten. Da lauten die Überschriften "Das ABC tut uns nicht weh" oder "Vorsicht: Wald- und Wiesendichter!". Innerhalb der Kapitel über Liebe, Reisen oder Tiere ergänzen sich die Gedichte, aber sie konterkarieren sich auch. Es geht vieles durcheinander und ergibt dann doch wieder einen Sinn, zum Beispiel im Kapitel "Einfach märchenhaft":
"Und dann wird kontrastiert. Auf der einen Seite "Schneewittchen war ein schönes Kind, so schön, wie alle Kinder sind" fängt wunderbar an. Und endet "was weiter wurde aus der Frau, weiß niemand mehr so ganz genau". Und dann kommt Oswin Göttchen aus seinen Dubrower Wäldern "Es war einmal ein Flittchen, das nannte sich Schneewittchen, dafür kam es ins Kittchen, igitt, igitt, igittchen." Und so elegisch melancholische Töne gegen ganz krasse. Und aus dieser Konfrontation erhoffe ich mir manchen Funken- und Gedankenflug."
Die Münchner Künstlerin Susanne Straßer greift mit sichtlicher Freude an Hinter- und Widersinn der Gedichtauswahl den Humor der Texte auf und bereichert sie mit ihren originellen, farbenfrohen Illustrationen. Da erhält das Klavier für seine Flucht flinke Beine, der Wolf liest im Omanachthemd dem Rotkäppchen Märchen vor und der Hase nimmt den Jäger aufs Korn. Auch, wenn einige Gedichte sofort die Assoziationslust beflügeln und zu sprachwitzigen Gedankenspielen anregen, werden sich andere Verse Kindern ab fünf Jahren nicht gleich erschließen. Doch dieses großformatige in Halbleinen gebundene Hausbuch hat garantiert in jeder Familie eine lange Lebenszeit.
Leider hab' ich von Natur
eine komische Frisur
Meine Neffen Tim und Torsten
haben keine Lust auf Borsten
Und mein Onkel Waldemar
hätte lieber glattes Haar.
Mit diesen Versen kehrt die Berliner Illustratorin und Autorin Nadia Budde zu ihren Wurzeln zurück und so erinnert ihr neuestes Bilderbuch "Und außerdem sind Borsten schön" an ihr erfolgreiches Debüt aus dem Jahr 2000 "Ein zwei drei Tier". Gedichtete Sprache, Bildwitz und scheinbar spontane Gedankensprünge gehen fließend ineinander über, wenn Tier und Mensch sich von Seite zu Seite zu kritischen Selbstaussagen hinreißen lassen.
Unser Nachbar Thilo Schramm
hat zu viele Kilogramm
Mamas großer Bruder Peter
wäre lieber etwas kleiner
und mein bester Freund Hans-Heiner
bräuchte dringend Zentimeter.
Mensch und Tier ähneln sich wieder mal auffällig und beide wollen vor allem eins – anders aussehen, sich vorteilhafter präsentieren, einfach schöner sein als der andere. Mädchen möchten Elfen gleichen und Jungen wie Superman sein. Nur der rundliche, behaarte Onkel Parzival im weißen Oberhemd mit dickem Bauch über der Trainingshose fühlt sich pudelwohl in der eigenen Haut. Sein Resümee:
Und er findet: Das ist wichtig...
Wie du bist, so bist du richtig!
Wieder schauen Nadia Buddes sympathisch-ulkige Wesen, die am Computer entwickelt wurden, mit ihren erstaunt blickenden Glotzaugen, den Betrachter an und bringen ihn, auch mit ihren holpernden Versen, zum Lachen. Nie geht es der begabten Sprachspielerin Naddia Budde um wohlfeile Reime, sondern immer um eine einfache, verständliche Sprache und klare Botschaft. Mit einem amüsanten Rundumschlag stellt sich die Künstlerin gegen eine Gesellschaft, in der es Normen und Vorbilder gibt, denen alle entsprechen sollen. Wie lächerlich sie dann wirklich aussehen, wenn sie den geforderten Vorgaben folgen, sich groteske Schlauchboot-Lippen zulegen oder dünn sind wie ein Faden, das führt die Künstlerin dem Betrachter schonungslos vor.
Ob Kreuzreim, Blockreim, Paarreim, Schweifreim oder freie Verse – Gedichte lesen macht einfach Spaß, regt zum Denken an, kann bereichern und berühren. Und so sollte diesmal auch ein Lyriker das letzte Wort haben:
Arne Rautenberg: "Ja, das ist eigentlich meine Mission. Ich möchte, dass Gedichte bitte wieder zu unserer Lebenswirklichkeit dazugehören. Ich möchte, dass wieder mehr Menschen das Spiel mit der Sprache nutzen, die Möglichkeit nutzen, mit den Wörtern davonzufliegen. Kurzum: Die Freiheit und Anarchie des freien Denkens wieder schätzen lernen. Es geht also darum, aus diesen starren Systemen unseres viel zu durchstrukturierten Alltags auszubrechen und nicht mehr zuzulassen, dass uns die Luft für die Fantasie so genommen wird. Erwachsene verstehen das nicht immer, aber mein Eindruck ist, Kinder verstehen das sofort."
Besprochene Bücher:
Wir saßen
wir standen auf,
gingen;
wir stiegen ein,
fuhren
und kamen an.
Wir legten an
mit unserm Kahn
An einer Felseninsel.
Die Insel war klein,
doch mit Buschwerk, Gestein
eine Urwelt für uns ganz allein.
In bester Minimaldichtung skizziert Josef Guggenmos ein Abenteuer, das sich jedes Kind ausmalen kann. Erwachsene jedoch finden Sprache in Versen zeitweilig schwierig, verbinden Gedichte mit der Erinnerung an langatmige Unterrichtsstunden und Lehrer, die ihnen die Freude an tanzenden Versen verdorben haben.
Doch Kinder lieben Gedichte. Bereits Kleinkinder experimentieren mit Lauten. Sie brabbeln, plappern, zischeln, verstehen Rhythmus und Reim. Kinder entwickeln ein Gespür für das Ursprüngliche in der Sprache, ob sie nun Schlaflieder, Kniereiter- oder Krabbelverse, Wiegenlieder, Stegreif- oder Abzählverse hören. Die Freude an Wortverdrehereien, eigenen Reimschöpfungen und Spracherfindungen durchlebt in einer bestimmten Phase jedes Kind und diese kann wieder belebt werden, wenn sie als Jugendliche Rapmusik entdecken und eigene Texte ausprobieren.
Zwischen Kind und Gedicht besteht ein sehr enges Verhältnis von Anfang an, das bestätigt auch der Berliner Lyriker und Autor Jens Sparschuh.
"Kinder kommen ja schon als Dichter zur Welt, alle Menschen kommen als Dichter zur Welt. Das hat Robert Gernhardt in seinen Poetikvorlesungen mal geschrieben. Mama, Papa, Pipi, die ersten Worte von Kindern sind ja schon Gedichte, das sind Stabreime, bei Mama zweimal "m" und hinten saubere Endreime, zweimal "a". Und insofern ist das eigentlich nur ein Zurückerinnern an ganz archaische Formen und deswegen denke ich, brauchen Kinder Gedichte."
Arne Rautenberg: "Ich glaube, Kinder brauchen Gedichte, weil das Gedicht ein Medium ist, in dem man Spiel und Spaß haben kann, weil Gedichte die Lust an der Sprache befeuern. Weil meiner Meinung nach die lustvolle Benutzung der Sprache, auch mit der lustvollen Benutzung des Denkens einhergeht. Kurzum: Gedichte fördern den kreativen Geist."
Meint der Dichter Arne Rautenberg und Christine Knödler ergänzt:
"Die Schönheit von Gedichten liegt für mich daran, dass es die knappste, literarische Form ist. Und im Gedicht muss alles sitzen, Rhythmus, Sprachbild, Tempo, Lautmalerei. Wenn das ein Gedicht erfüllt, kann es einen lang begleiten. Und natürlich unterhalten Gedichte, sie machen einfach Spaß und sie lassen einen sehr oft weiterdenken."
Gerda Anger-Schmidt
Wünsche wie Wolken
Mal deine Wünsche in den Himmel.
Wünsche wie Wolken, wie Apfelschimmel.
Wünsche so groß wie ein Riesenrad.
Wünsche so klein wie ein Zinnsoldat.
Für alles ist Platz -
ob Ball oder Spatz,
ob Eisbär oder Marmeladenglas.
Schau in den Himmel
und wünsch dir was!
"Mal deine Wünsche in den Himmel – Kunst und Gedichte für Kinder und Erwachsene" heißt auch die Anthologie, die Christine Knödler herausgegeben hat. Das Gemälde "Hirtenknabe" von Franz von Lenbach signalisiert als Coverbild: Hier geht es um Weite, vielleicht auch Neuartiges. Ein Junge liegt barfüßig entspannt auf einer Sommerwiese und schaut interessiert ins Himmelblau.
"Die Idee war dann zunächst mal Gedicht und Bild und zwar bildende Kunst zusammenzubringen. Das Interessante daran ist, das ist auch das Prinzip dieses Buches, dass die Bilder ja nicht zu den Texten entstanden sind, obwohl es manchmal fast einem so vorkommt. Weil ich dann plötzlich ein Gedicht hatte und wusste, dazu gibt es ein Bild, das passt so wunderbar dazu, das es einander ergänzt."
So passt das Gedicht "Alles unter einem Hut" treffsicher zu dem stillen wie geheimnisvollen Bild "Sommertag" von Quint Buchholz. Wie in einem Wachtraum sieht der Betrachter einen überdimensional großen, weißen Hut, der offenbar von einem Menschen getragen wird. Auf dem Hut sitzen winzig klein ein Mann und ein Junge, die von oben aus die Welt und den weiten Himmel anschauen.
Jürg Schubiger
Alles unter einem Hut
Vaters Kopf
mit Vaters Ohren,
Vaters Hemd
mit Vaters Hals.
Und im Schatten des Huts
Vaters Bartstoppellachen.
Über dem Hut
der blaue Himmel,
den wir uns teilen,
Vater und ich:
jeder genau die Hälfte.
Tschüss, sagt Vaters Stimme.
Sein Hut geht weg,
seine Hälfte des Himmels
über dem Hut
geht mit.
Mal stehen sich nur ein Gedicht und ein Bild oder Bilderausschnitt gegenüber, dann aber auch wieder zwei Gedichte und ein Kunstwerk. Quer durch die Jahrhunderte hat Christine Knödler 84 Gedichte mit 73 Kunstwerken kombiniert. Zwar tauchen bekannte Dichter- und Malernamen auf, wie Rainer Maria Rilke, Mascha Kaléko oder Ernst Jandl, Caspar David Friedrich, Marc Chagall oder Claude Monet. Aber es sind nicht immer die berühmten Werke, die ausgewählt wurden.
"Mein Anliegen dieses Buches ist, Text und Bild zusammenzustellen und zu schauen, welche Verbindung gehen die beiden miteinander ein und was entsteht dann beim Leser und Betrachter."
Auch, wenn Christine Knödler mehr als sonst in Museen und Galerien für dieses originelle Projekt unterwegs war, der lyrische, oftmals anspruchsvolle Text stand für sie fast immer zuerst fest. Bleibt die Frage, wie man die Balance findet, um Kinder und Erwachsene gleichzeitig anzusprechen.
"Man kann Kindern etwas anbieten. Andersrum geht es natürlich ohnehin, von Erwachsenen zu Kindern. Man kann Kindern etwas anbieten und sie ziehen das raus, was für sie daran schön ist. Und meine Grundeinstellung ist tatsächlich, ihnen lieber viel anzubieten, was sie vielleicht mal überblättern oder zu einem späteren Zeitpunkt lesen. Was sie vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt viel, viel anders lesen. Als zu denken, das kann man Kindern nicht anbieten. Und im übrigen ist es schon ein Buch, was darauf setzt, dass Kinder und Erwachsene gemeinsam sich das anschauen."
Eine Option wäre, sich die Gedichte dieses Bandes gegenseitig laut vorzulesen und in einem kreativen, spielerischen Prozess sich eigene Bild- und Gedichtpaare zusammenzustellen.
"Da sind Gedichte drin, das war für mich ein Hauptkriterium, die ganz vom Klang leben, vom Rhythmus, vom Tempo. Und die in diesem einfach schön sind und wenn ich für diese Schönheit gewinnen könnte, wäre das ein Hauptziel, auch, wenn es dann vielleicht mal eher schwierig ist oder auch ernst ist."
Hermann Hesse
Blauer Schmetterling
Flügelt ein kleiner, blauer
Falter vom Wind geweht,
ein perlmutterner Schauer,
Glitzert, flimmert, vergeht.
So mit Augenblicksblinken,
So im Vorüberwehn
Sah ich das Glück mir winken,
Glitzern, flimmern, vergehn.
Eine innere Dramaturgie entstand für Christine Knödler nach langer Recherche in dem Moment, wo sie ihre zueinander passenden, das Geäußerte widersprechenden oder weitererzählenden Gedichte und Kunstwerke in bestimmte Abschnitte einteilen konnte. Thematisiert werden die Beziehung zwischen Ich und Du, Familie, aber auch Tiere spielen eine wichtige Rolle, so wie Landschaften und Seelenzustände. Bei der Gestaltung der Texte wird mit Schrifttypen und Größen gespielt, mal liegen die Gedichte schräg auf der Seite, haben ganz viel Platz, verschmelzen mit dem dazu gehörenden Bild oder werden mit einer individuellen Illustration bereichert. So umkreist eine Schaukel das Gedicht "Kindheit" von Rainer Maria Rilke. Zum Gedicht passend hat Christine Knödler das Gemälde "Der Ballon" von Félix Vallotton ausgewählt.
Entstanden ist ein wunderbar anregendes Buch, das Christine Knödler mit Fachkenntnis und einem Feingefühl für die richtige Mischung zusammengestellt hat.
Manfred Mai
Papa
Wenn ich auf deinem Schoß sitze
und mich an dich kuschle,
dann bist du mein Papa.
Wenn du bei mir auf dem Boden sitzt
und mir ein Legoschloss baust,
dann bist du mein Papa.
Wenn du einfach zugibst,
dass du einen Fehler gemacht hast,
dann bist du mein Papa.
Wenn du mich an dich drückst,
ohne dass es einen Grund dafür gibt,
dann bist du mein Papa.
Wenn du mit mir redest
wie mit Mama oder Onkel Andi,
dann bist du mein Papa.
Wenn ich zu dir ins Arbeitszimmer komme
und du den Bleistift weglegst,
dann bist du mein Papa.
"Ein Nashorn saß auf einem Baum" heißt der aktuelle Gedichtband von Manfred Mai. Der 63-jährige Dichter und Sachbuchautor ist immer vielseitig nah an der Alltagswelt der Kinder und er steht unbeirrt auf ihrer Seite. Bei aller Vorliebe für Sprachklangspiele ist er doch auch ein genauer Beobachter.
Kinderklage
Wenn ich leise spreche,
hören meine Eltern nicht zu.
Wenn ich lauter spreche,
hören meine Eltern immer noch nicht zu
oder sie haben keine Zeit.
Wenn ich schreie,
sagen meine Eltern,
ich soll leise sprechen.
Wenn ich leise spreche,
hören meine Eltern nicht zu.
Nachdenkliche Verse, ob im strengen Strophenmaß oder frei gedichtet, stehen neben lakonisch skurrilen über Knuddelschweine oder fliegende Nashörner. Manfred Mai legt den Finger auf die Wunde, wenn es um Identitätsfindung, Konflikte in der Schule oder in der Familie geht oder um starke Gefühle, wie Kummer und Liebe. Aber in seinen sprachlich klaren Versen ist all dies Komplizierte umgewandelt. Seine Gedichte verzichten auf Metaphern, sie wecken Aufmerksamkeit für die kleinen Selbstverständlichkeiten unserer Daseinswelt und wollen unmerklich zum Schmunzeln und gleichzeitig Reflektieren anregen.
Mit ihren feinen Zeichnungen erzählt die Illustratorin Stefanie Harjes Manfred Mais poetische Texte weiter.
Sobald ich auf dem Sofa sitze,
blitzen meine Geistersblitze.
Sobald ich auf dem Sofa ruh,
fliegen mir die Reime zu.
Ich muss nur auf dem Sofa sein,
schon fallen mir die Reime ein.
Dichtet locker leicht das Wesen mit den blauen Wunschpunkten, dem Taucheranzug und der rüsselartigen Nase, das tollkühne Sams, eine Erfindung des Schriftstellers Paul Maar. In dem handlichen Büchlein "Da bin ich gespannt wie ein Gummiband" versammeln sich kurzweilige, tiefsinnige, unsinnige und freche Sprüche aus sieben Sams-Kinderbüchern, von denen das erste vor 40 Jahren erschien. Das Sams reimt gern wild drauflos, am liebsten über das, was ihm am besten gefällt, das Essen und natürlich Würstchen, schräge Regeln über das Leben allgemein, seine geliebten Unterwassertiere und es lässt sich von berühmten Dichtern inspirieren:
Die Ballade vom verrückten Rasenmäher
Wer rast so spät durch Gassen und Straßen?
Wen hört man so laut durch die Vorgärten rasen?
Es ist Herr Rüssmann, der rasende Mäher!
Das Rasen des Mähers kommt näher und näher.
"Mein Vater, hörst du den Mäher nicht?"
"Jetzt halt die Klappe! Sei still, du Wicht!"
Sicher sind die Sams- Sprüche keine große Dichtkunst, sondern eher respektlose Gelegenheitsgedichte, in denen der überschwängliche Dichter mit Worten bis über die Sinngrenze hinaus spielt. Vielleicht ist das ja das Besondere, niemand kann der Lyrik Regeln aufzwingen.
Gespräch unter Fischen
blibb
sagte der eine fisch zum anderen
blabb
sagte der andere fisch zum einen
blubb
sagte ein weiterer fisch zum dritten
da haben sich alle gestritten
Der Lyriker Arne Rautenberg hat für den umfangreichen Band "Hier wohnt mein Glück – Gedichte für Kinder und Erwachsene", herausgegeben von Natalie Tornai und Edward van de Vendel, so einige Gedichte über Fische geschrieben. Das mag an seinem Wohnort Kiel liegen, aber auch an den inspirierenden Bildvorgaben des flämischen Künstlers Carll Cneut. Bei diesem Gedichtband, Vorlage war die niederländische Originalausgabe von Edward van de Vendel, konnte nur ein geringer Teil der Gedichte übernommen werden. Und so bat Natalie Tornai Dichter wie Heinz Janisch, Jutta Richter, Uwe-Michael Gutzschhahn, Susan Kreller oder Arne Rautenberg um Verse über Fische, Erdmännchen, Elefanten, Mäuse, Hasen, Katzen, Hunde und Affen, alle eigenwillig von Carll Cneut illustriert.
Arne Rautenberg: "Mir hat das besonders gefallen, dass er die Tiere anzieht und ihnen diesen aufrechten Gang gibt. Aber das macht er auf so eine klassische, zeitlose, sich nicht anbiedernde Art, so ganz leicht zurückgenommen und das finde ich einfach großartig."
Gut einen Monat hat sich Arne Rautenberg mit den detailverliebten Illustrationen von Carll Cneut auseinandergesetzt:
"Auf der einen Seite ist man nicht mehr ganz so frei für den zündenden Funken, weil man ja so eine bildliche Vorgabe hat. Auf der anderen Seite hilft einem die bildliche Vorgabe ja auch, sich einmal auf etwas Neues einzulassen, zum Beispiel auf einen tanzenden Dino in bunten Hallodriklamotten. Zu manchen ist mir nichts eingefallen, zu anderen hatte ich sofort einen Funkenschlag. Ein Mops, der in einer unglaublich langen Hundehütte ist. Da wusste ich sofort, jetzt muss ich ein Gedicht machen, das ganz kurze Zeilen hat, die aber ganz lang sind."
Die Illustrationen von Carll Cneut wirken einerseits wie aus einer vergangenen Zeit. Die Tiere tragen blaue Matrosenanzüge, rote, grüne, gelbe, knallig-bunte, gepunktete oder gestreifte altmodische Schlafanzüge oder kitschige Zirkuskleidung. Andererseits rücken die schwungvollen, nachdenklichen, fantasievollen und vergnüglichen Gedichte die Tiere bei aller Nähe und Fremdheit wieder in unsere Gegenwart.
Arne Rautenberg
toter vogel
wenn du gesungen hast
hab ich nicht hingehört
jetzt liegst du still im gras
nun da du nicht mehr bist
fehlt dein gesang mir sehr
im winde schweigt der ast
so merklich geht dahin
was unmerklich betört
Arne Rautenberg: "Also, das muss ja nicht immer das klassische Reimen sein. Ich schätze zwar eingängige Versformen. Ich schätze auch den Reim, der gibt dem Suchenden so ein stabilisierendes Moment. Das ist auch ganz toll, damit kann man toll arbeiten. Das ist wie Klebstoff, in dem man etwas Unerhörtes viel glaubhafter behaupten kann. Aber ich habe auch keine Angst vor einfachen Ideen, aber das kann nicht alles sein in der Poesie. Meist sagt einem ja das Gedicht selbst, was es will, wie es daherkommen will. Manchmal müssen neue Formen erfunden und erprobt werden. Dann muss mal einer Idee nachgegangen werden, ältere Formen müssen aufgebrochen werden, um was Neues zu riskieren, um was auszuprobieren. Manchmal muss auch einfach rücksichtslos gespielt werden, um irgendwas zuzulassen. Mein Programm ist ja eigentlich, gar keins zu haben. Ich möchte, dass meine Gedichte erhellen und zum Nachdenken anregen. Und was das Formale angeht, da lasse ich mich im Gegensatz zu meinen Kollegen gar nicht einengen, sondern ich gehe immer dahin, wohin mich eine Idee haben will. Und was das Inhaltliche angeht, besteht das Leben ja auch nicht nur aus hellen, sondern auch aus nachdenklichen und düsteren Momenten. Und die finden sich dann in meinen Gedichten wieder."
Auffällig bei Arne Rautenberg ist aber auch die konsequente Kleinschreibung und der Verzicht auf die Interpunktion:
"Mir gefällt die Idee nicht, dass manche Wort in einem Gedicht groß und andere klein geschrieben sind. Das sieht ja fast aus, als wären einige Worte wichtiger als andere. Und gerade das soll in einem Gedicht von mir ja nicht der Fall sein. Also, hier wäge ich ja schließlich jedes Wort sorgfältig ab und ich möchte dabei keines als größer oder kleiner gewichten. Und was die Interpunktion angeht, da finde ich, dass das Gedicht über die Zeilenlänge und Zeilenbrüche schon zum größten Teil selbst erledigt. Deswegen minimiere ich die Satzzeichen in meinen Gedichten. Und ganz generell möchte ich zeigen, dass Gedichte eigenständige Gebilde sind, die ganz eigene Systeme hervorbringen, die frei sind und sich nicht irgendwelchen Regelsystemen unterwerfen müssen."
Wie gut, dass ein Hase nicht lesen kann,
dachte der Hase und rieb sich die Pfoten.
Er holte tief Luft und öffnete dann
die Tür mit der Aufschrift Zutritt verboten.
Dieses Gedicht von Franz Wittkamp, aber auch viele andere, finden sich im umfangreichen Band "Firlefanz – ganz und gar und gar und ganz, Sinn- und Unsinnsgedichte", den Jens Sparschuh zusammengestellt hat:
"Ich habe natürlich versucht, alle Wege zu beschreiten. Es gibt im Internet ja rasend viel, aber natürlich gibt es die ganz klassische Bibliothek. Ich habe mich dann hier in den Pankower Schlosspark mit großen Bücherstapeln gesetzt und war einige Wochen lang in bester Gesellschaft mit den Kollegen Ringelnatz und Morgenstern und Gernhardt und Goethe und Lessing und auch mit Autoren zugange, Grillparzer zum Beispiel, den man nicht auf Anhieb so eine komisch-absurde Seite zutraut. Aber alle Autoren haben diese absurde Schattenseite, ja."
Nicht nur die üblichen Verdächtigen sind dabei. Jens Sparschuh hat sich weit vorgewagt und auch Gedichte von Carl Spitzweg, Georg Weerth und Friedrich Nietzsche in die Sammlung aufgenommen. Auch lebende Autoren kommen zu Wort, wie Jürgen Rennert, Richard Pietraß, Walter Petri und Jens Sparschuh selbst.
"Ich schreibe Kindergedichte in der Grundstimmung, wenn ich eine Sache erfahren will, wenn ich etwas wissen will, wenn ich neugierig auf etwas bin, wenn ich die Sache so hin- und herdrehen und wenden kann, bis sie mir etwas offenbart, was mich überrascht."
Jens Sparschuh
Roland und Waldemar
(Gesprächsprotokoll)
Ich bin der Riese!
Und ich bin riesig, nicht?
Richtig, flüsterte der Wicht, richtig.
Ich bin ja bloß der Wicht.
Ich bin bloß wichtig.
Auffällig ist, dass Jens Sparschuh nicht nur bei seinen, sondern auch bei den ausgewählten Kindergedichten sehr viel Wert auf Musikalität legt, auf Reim und Rhythmus, auf die gute, alte klassische Verskunst. Und so erklärt er die Welt enzyklopädisch in 13 Kapiteln mit absurden, frechen, abgedrehten und einfach nur komischen Gedichten. Da lauten die Überschriften "Das ABC tut uns nicht weh" oder "Vorsicht: Wald- und Wiesendichter!". Innerhalb der Kapitel über Liebe, Reisen oder Tiere ergänzen sich die Gedichte, aber sie konterkarieren sich auch. Es geht vieles durcheinander und ergibt dann doch wieder einen Sinn, zum Beispiel im Kapitel "Einfach märchenhaft":
"Und dann wird kontrastiert. Auf der einen Seite "Schneewittchen war ein schönes Kind, so schön, wie alle Kinder sind" fängt wunderbar an. Und endet "was weiter wurde aus der Frau, weiß niemand mehr so ganz genau". Und dann kommt Oswin Göttchen aus seinen Dubrower Wäldern "Es war einmal ein Flittchen, das nannte sich Schneewittchen, dafür kam es ins Kittchen, igitt, igitt, igittchen." Und so elegisch melancholische Töne gegen ganz krasse. Und aus dieser Konfrontation erhoffe ich mir manchen Funken- und Gedankenflug."
Die Münchner Künstlerin Susanne Straßer greift mit sichtlicher Freude an Hinter- und Widersinn der Gedichtauswahl den Humor der Texte auf und bereichert sie mit ihren originellen, farbenfrohen Illustrationen. Da erhält das Klavier für seine Flucht flinke Beine, der Wolf liest im Omanachthemd dem Rotkäppchen Märchen vor und der Hase nimmt den Jäger aufs Korn. Auch, wenn einige Gedichte sofort die Assoziationslust beflügeln und zu sprachwitzigen Gedankenspielen anregen, werden sich andere Verse Kindern ab fünf Jahren nicht gleich erschließen. Doch dieses großformatige in Halbleinen gebundene Hausbuch hat garantiert in jeder Familie eine lange Lebenszeit.
Leider hab' ich von Natur
eine komische Frisur
Meine Neffen Tim und Torsten
haben keine Lust auf Borsten
Und mein Onkel Waldemar
hätte lieber glattes Haar.
Mit diesen Versen kehrt die Berliner Illustratorin und Autorin Nadia Budde zu ihren Wurzeln zurück und so erinnert ihr neuestes Bilderbuch "Und außerdem sind Borsten schön" an ihr erfolgreiches Debüt aus dem Jahr 2000 "Ein zwei drei Tier". Gedichtete Sprache, Bildwitz und scheinbar spontane Gedankensprünge gehen fließend ineinander über, wenn Tier und Mensch sich von Seite zu Seite zu kritischen Selbstaussagen hinreißen lassen.
Unser Nachbar Thilo Schramm
hat zu viele Kilogramm
Mamas großer Bruder Peter
wäre lieber etwas kleiner
und mein bester Freund Hans-Heiner
bräuchte dringend Zentimeter.
Mensch und Tier ähneln sich wieder mal auffällig und beide wollen vor allem eins – anders aussehen, sich vorteilhafter präsentieren, einfach schöner sein als der andere. Mädchen möchten Elfen gleichen und Jungen wie Superman sein. Nur der rundliche, behaarte Onkel Parzival im weißen Oberhemd mit dickem Bauch über der Trainingshose fühlt sich pudelwohl in der eigenen Haut. Sein Resümee:
Und er findet: Das ist wichtig...
Wie du bist, so bist du richtig!
Wieder schauen Nadia Buddes sympathisch-ulkige Wesen, die am Computer entwickelt wurden, mit ihren erstaunt blickenden Glotzaugen, den Betrachter an und bringen ihn, auch mit ihren holpernden Versen, zum Lachen. Nie geht es der begabten Sprachspielerin Naddia Budde um wohlfeile Reime, sondern immer um eine einfache, verständliche Sprache und klare Botschaft. Mit einem amüsanten Rundumschlag stellt sich die Künstlerin gegen eine Gesellschaft, in der es Normen und Vorbilder gibt, denen alle entsprechen sollen. Wie lächerlich sie dann wirklich aussehen, wenn sie den geforderten Vorgaben folgen, sich groteske Schlauchboot-Lippen zulegen oder dünn sind wie ein Faden, das führt die Künstlerin dem Betrachter schonungslos vor.
Ob Kreuzreim, Blockreim, Paarreim, Schweifreim oder freie Verse – Gedichte lesen macht einfach Spaß, regt zum Denken an, kann bereichern und berühren. Und so sollte diesmal auch ein Lyriker das letzte Wort haben:
Arne Rautenberg: "Ja, das ist eigentlich meine Mission. Ich möchte, dass Gedichte bitte wieder zu unserer Lebenswirklichkeit dazugehören. Ich möchte, dass wieder mehr Menschen das Spiel mit der Sprache nutzen, die Möglichkeit nutzen, mit den Wörtern davonzufliegen. Kurzum: Die Freiheit und Anarchie des freien Denkens wieder schätzen lernen. Es geht also darum, aus diesen starren Systemen unseres viel zu durchstrukturierten Alltags auszubrechen und nicht mehr zuzulassen, dass uns die Luft für die Fantasie so genommen wird. Erwachsene verstehen das nicht immer, aber mein Eindruck ist, Kinder verstehen das sofort."
Besprochene Bücher:
- Christine Knödler (Hrsg.): "Mal deine Wünsche in den Himmel, Kunst und Gedichte für Kinder und Erwachsene", Prestel Verlag, München 2012, 160 Seiten, Preis: 19,99 Euro, ISBN 978-3-7913-7103-0
- Manfred Mai, Stefanie Harjes (Ill.): "Ein Nashorn saß auf einem Baum, Gedichte für neugierige Kinder", Boje Verlag, Köln 2012, 61 Seiten, Preis: 9,99 Euro, ISBN 978-3-414-82331-1
- Paul Maar: "Da bin ich gespannt wie ein Gummiband", Oetinger Verlag, Hamburg 2012, 115 Seiten, Preis: 9,95 Euro, ISBN 978-3-7891-4270
- Natalie Tornai, Edward van de Vendel (Hrsg.): "Hier wohnt mein Glück", Mit Bildern von Carll Cneut, Bloomsbury Verlag, Berlin 2012, 112 Seiten, Preis: 19,99 Euro, ISBN 978-3-8270-5536-1
- Jens Sparschuh (Hrsg.): "Firlefanz – ganz und gar und gar und ganz, Sinn- und Unsinnsgedichte", Illustrationen von Susanne Straßer, Tulipan Verlag, Berlin 2012, 224 Seiten, Preis: 24,95 Euro, ISBN 978-3-86429-100-5
- Nadia Budde: "Und außerdem sind Borsten schön", Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2013, 32 Seiten, Preis: 13,90 Euro, 978-3-7795-0433-7 (erscheint am 18. Februar 2013)