"Vor einigen Tagen war ich noch mit meiner Familie zusammen. Das soll jetzt alles verloren sein?!"
Eine Geschichte über Menschenhandel, eine über einen Mann, der für zwölf Jahre Sklave sein wird. Die von Solomon Northup, ein Musiker, der 1841 als freier Mann im Staat New York lebt, bis er zwei Männern glaubt, die ihn angeblich für einen Auftritt anheuern wollen. Als Solomon aufwacht, liegt er in Ketten:
"Mein Name ist Solomon Northup. Ich bin ein freier Mann. Und Sie haben keinerlei Recht, mich festzuhalten." - "Du bist kein freier Mann. Du bist nur ein entflohener Nigger."
Anders gesagt: Betriebskapital. Eigentum der jeweiligen Plantagenbesitzer, an die Solomon in den nächsten Jahren verkauft werden wird. Auf dem Schiff, das ihn von Norden in die Südstaaten bringt, gibt ihm ein anderer Sklave einen Rat:
"Sag keinem die Wahrheit über dich, und dass du lesen und schreiben kannst. Außer, du willst ein toter Nigger sein."
"12 Years A Slave" basiert auf den Memoiren des historischen Solomon Northup. In dieser Geschichte eines Mannes, der als Sklave nicht nur um sein Leben, sondern auch um seine Identität als freier Mensch kämpft, hätte der schwarze britische Filmemacher Steve McQueen genügend Stoff für großes, emotionales Ausstattungs-Kino à la Hollywood.
Allein diese Szenen, wenn Solomon - im Film magisch gespielt vom britischen Schauspieler Chiwetel Ejiofor -, verzweifelt wie vergeblich versucht, mit Tinte aus Pflanzensaft und einer aus Holz geschnitzten Feder einen Brief an seine Familie zu schreiben, wenn Solomon immer wieder versucht, der Willkür des Plantagenbesitzers zu entgehen, der in der einen Hand die Bibel hält, in der anderen die Peitsche, das Werkzeug, das Gott, so Master Epps, ihm gab, um sein Eigentum zu schützen, zu disziplinieren oder zu zerstören:
"Was hast du ihr zugeflüstert?" - "Ich habe nichts von mir gegeben. Nichts von Bedeutung." - "Du lügst! Du lügst mir ins Gesicht. Du hast ihr was zugeflüstert. Sag mir was!" - "Ich kann nicht einfach was erfinden." - "Ich schneid dir deine schwarze Kehle durch. Komm her!"
Weiter weg von der "Vom Winde verweht"-Lüge kann man sich einen Film kaum vorstellen
Diese Art von brutaler Gewalt, Auspeitschungen und so weiter ist durchaus wohlvertraut aus der zugegeben erstaunlich geringen Zahl von US-Filmen über die Sklavenzeit à la "Roots" oder Spielbergs "Amistad" oder Tarantinos "Django Unchained". Doch "12 Years A Slave" schafft ein weitaus komplexeres Bild der Sklavenhaltergesellschaft als diese anderen Filme.
Einmal werden Solomon und eine Gruppe von Sklaven für eine Saison an eine andere Plantage verliehen. In der nächsten Szene, die Baumwoll-Erntezeit ist vorbei, kommen sie auf die Plantage zurück. Ohne Begleitung, ohne diesen typischen Aufseher mit Gewehr oder Lederpeitsche. Nein, so etwas braucht es hier gar nicht. Allein mit dieser Szene gelingt Steve McQueen der Geniestreich, die strukturelle Gewalt dieses Systems der Sklaverei zu beschreiben. Denn wenn ein Sklave auf die Idee käme, zu fliehen, würde er an der nächsten Wegbiegung von einem Weißen gelyncht oder erschossen werden.
Das System ist in sich abgeschlossen. Ein Entrinnen ist nicht möglich. Auch Solomon wird nicht fliehen können, sondern nach diesen 12 Jahren aufgrund eines Gerichtsbeschlusses freikommen. Er allein. Die anderen Sklaven bleiben zurück auf der Plantage, als auszubeutendes Menschenmaterial in einem barbarischen System. Weiter weg von der kitschigen "Vom Winde verweht"-Lüge kann man sich einen Film kaum vorstellen. Steve McQueen zeigt historische Realität, die war, wie sie war. Es ist, wie es ist, meint der psychopathische Plantagenbesitzer, von Michael Fassbender mit verstörender Intensität dargestellt.
"Es ist Unrecht, ganz und gar Unrecht, Mr. Epps." - "Das sind keine angeheuerten Arbeiter. Sie sind mein Eigentum." - "Sie sagen das voller Stolz!" - "Ich sage es, wie es ist."
In einer anderen Szene wird Solomon zur Strafe einen ganzen Tag an einem Baum gehängt; wenn er es schafft, auf den Zehenspitzen zu stehen zu bleiben, wird er nicht stranguliert. Ein äußerst gewalttätiges Bild, das aber in seiner Wirkung noch grausamer wird, als nach kurzer Zeit das "normale" - in Anführungsstrichen - Leben auf der Plantage quasi im Bildhintergrund weitergeht; die Kinder spielen weiter, die anderen Sklaven machen weiter ihre Arbeit.
In diesem System der Barbarei gibt es keinen, der wie in Quentin Tarantinos Sklavenfilm "Django Unchained" mit einem gezielten Schuss den Strick durchschießen würde. Die Gewaltorgie als Befreiungsschlag? Solch einer tarantinohaften kindischen Kinofantasie gibt sich Steve McQueen nicht hin. Er schafft das geniale Kunststück, sowohl auf berührende Weise von einer leidenden Person und dem Wunsch nach Freiheit zu erzählen, aber gleichzeitig den Kosmos der Sklaven-Plantagen als Gulag, als umfassendes Repressionssystem, zu zeigen. "12 Years A Slave" ist großes politisches, meisterhaftes Kino.