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Kinoklassiker in Gefahr

Etwa eine Million Filmrollen und Videokassetten bewahrt das Bundesarchiv in Koblenz auf - darunter wertvolle kulturelle Schätze. Aber die Magazine sind in die Jahre gekommen. Es wird immer schwieriger, die Klassiker des Kinos zu erhalten. Viele Filmrollen zerfallen unaufhaltsam, wie der Präsident des Bundesarchivs, Michael Hollmann, erläutert.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Michael Hollmann |
    Stefan Koldehoff: Zwei Wochen ist es her, dass uns eine Meldung der Nachrichtenagentur dpa alarmiert hat, in der es hieß: "Alte Filme sind ein Kulturschatz. Doch das Bundesarchiv wartet seit den 1990er-Jahren auf moderne Magazine. Mit der Folge, dass Klassiker des Kinos beschädigt oder sogar zerstört werden." Nitrocellulose heißt das Schlüsselwort – ein leicht entflammbarer, ausdünstender Stoff, aus dem früher Filmmaterial hergestellt wurde. Etwa eine Million Filmrollen und Videokassetten bewahrt das Bundesarchiv auf - darunter auch wertvolle kulturelle Schätze. Also haben wir in Koblenz nachgefragt. Man prüfe noch, hieß es damals vor zwei Wochen. Nun aber heute kann man sagen, was die Prüfung ergeben hat, und das tut der Präsident des Bundesarchivs, Michael Hollmann. Herr Dr. Hollmann: Filme in Gefahr?

    Michael Hollmann: Natürlich sind Kulturgüter, die wie alle Dinge zeitlich sind, auch immer in Gefahr - insbesondere, wenn sie in großer Menge vorliegen, insbesondere, wenn sie so diffizile Werkstoffe beinhalten, wie das zum Beispiel bei Filmen der Fall ist. Das heißt, wir haben es, sie haben es schon angesprochen, mit Nitrocellulose zu tun, also einem Werkstoff, der im doppelten Sinne problematisch ist: zum einen, weil er insofern flüchtig ist, als er sich verändert, chemisch verändert, und nicht nur die Farbe und die Tönungen verliert, sondern auch schrumpft, und insgesamt einem Zerfallsprozess ausgesetzt ist, den man nur bedingt, wenn überhaupt aufhalten kann. Eigentlich kann man ihn nur hinauszögern, ganz aufhalten kann man ihn ohnehin nicht. Und die zweite Schwierigkeit gerade in Bezug auf Nitrocellulose besteht in der Explosivität des Materials, das nicht wirklich beherrschbar ist und das deshalb unter ganz besonderen Bedingungen gelagert werden muss.

    Koldehoff: Das ist die eine Konsequenz, die haben sie gerade angesprochen: Man braucht bestimmte Lagerräume, die wahrscheinlich in einer bestimmten Weise durchlüftet sind. Der zweite Punkt ist aber doch wahrscheinlich, wenn sie sagen, richtig zu stoppen ist dieser Prozess leider nicht: man muss digitalisieren, man muss den Inhalt retten.

    Hollmann: Ja, das ist jetzt die Frage, ob Digitalisierung da der richtige Weg ist. Zunächst haben wir für diese Nitrofilme, die eigentlich - und das verlangt das deutsche Gesetz von uns - auf nicht brennbare, nicht explosive Materialien umkopiert werden müssen, wir haben für diese Materialien, die noch nicht umkopiert sind, spezielle Magazine, die tiefgekühlt sind, so dass die Explosionsgefahr sehr stark reduziert ist. Bis auf einen Fall in den 80er-Jahren hier in Koblenz haben wir da noch nie Probleme mit gehabt. Aber das Problem besteht auch darin, dass die Kenner und Liebhaber des Filmes normalerweise sehr großen Wert darauf legen, die Filme auch auf ihrem ursprünglichen Material zur Kenntnis zu nehmen beziehungsweise Umkopierungen auf Film zur Verfügung zu haben, die dem Ursprungsmaterial möglichst nahe kommen. Da ist die Digitalisierung eine noch umstrittene Methode, weil wir im Rahmen der heutigen Technik andere Anforderungen haben, als es eigentlich an die Liebhaber alter Filme gerichtet ist.

    Auch die Digitalisierung ist problematisch
    Koldehoff: Ein bisschen wahrscheinlich wie die Frage, ob man Glenn Gould und die Goldberg-Variationen überhaupt von CD hören darf, oder ob man dafür nicht die gute alte Schallplatte braucht. Manchmal ist so was ja auch ein bisschen Glaubensfrage. - Kommen wir aber noch mal zurück zur Aufbewahrung. Da hieß es in der dpa-Meldung, es solle eigentlich längst einen modernen Neubau geben für die Filmarchivierung, Pläne reichten bis in die 1990er-Jahre zurück. Magazine - ich zitiere hier dpa - seien in einem desolaten Zustand. Stimmt das denn und wenn ja, was kann man dagegen tun? Geld ist ja wahrscheinlich auch beim Bundesarchiv nicht im Übermaß vorhanden.

    Hollmann: Das ist nicht im Übermaß vorhanden und das ist umso tragischer, als Archive insgesamt Zuwachsbetriebe sind, denn wir bekommen jedes Jahr ja neue Unterlagen, neues Archivgut dazu, und zwar nicht nur im Filmbereich. Manchmal ist es ein wenig für uns sogar ein Problem, dass der Fokus sich so leicht auf den Filmbereich lenken lässt und der öffentliche Wirksamkeit erzielt, wo wir in den anderen Bereichen ja ähnliche Probleme haben. Aber es ist wahr: Wir sind seit vielen Jahren auf dem Weg, das Bundesarchiv nicht nur an bestimmten Standorten zusammenzuführen, denn wir hatten lange ein Filmarchiv DDR, ein Filmarchiv Bund. Die sind jetzt in Berlin zusammengeführt. Aber wir haben zum Teil noch Magazine aus der Zeit der DDR, die eigentlich gar nicht schlecht waren, die aber im Laufe der Zeit natürlich auch Bedarf an Renovierungen, Restaurierungen hatten. Und mit dem Blick auf einen Neubau, den wir in der Tat seit Beginn der 1990er-Jahre angehen - wir haben auch Planungen, ein Teil ist auch in Hoppegarten schon insbesondere für die Nitrofilme realisiert -, dass wir da aber noch lange nicht so weit sind, wie wir das erhofft haben, und deshalb mit diesen alten Magazinen zunehmend in Schwierigkeiten kommen. Da gibt es eigentlich Investitionsbedarfe, die wir lange, lange gescheut haben, um dieses Geld nicht aus unserem Neubau-Etat abziehen zu müssen. Aber jetzt haben ein paar, man muss sagen, unglückliche Zufälle dazu geführt, dass die Grundwasserspiegel in den Bereichen, in denen wir diese Filmbunker haben, angestiegen sind und deshalb auf einmal dann das Wasser diese Sperren in die Bunker hinein überwunden hat und wir dann vor dem Notfall stehen, diese Filme in andere, auch nicht optimale Zwischenlager zu überführen, bis wir dann mit einem Neubau wirklich gute Magazine für diese Filme, für das Kulturgut Film haben.

    Koldehoff: Wer ist denn eigentlich Ihr Hauptgeldgeber? Wem müssen wir jetzt eine Kopie unseres Interviews schicken, egal ob digital oder auf Band? Ist das der Innenminister, ist das der Kulturstaatsminister, woher bekommen Sie Ihr Geld?

    Bau neuer Archive verzögert sich
    Hollmann: Unser Geldgeber ist natürlich Herr Neumann als Staatsminister und als Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien. Aber eigentlich ist es gar nicht das Problem, das wir mit unserer vorgesetzten Behörde haben, die uns eigentlich nach Kräften unterstützt. Aber es ist so eine Verkettung von Problemen, die dann im Bereich des Neubaus dazu geführt haben, dass sich Verzögerungen ergeben. Ich will jetzt nicht in das gleiche Horn wie alle blasen, aber in Berlin wird viel gebaut und Archive sind nicht immer die erste Priorität im öffentlichen Bauen. Und auf die Art und Weise haben sich Verzögerungen ergeben, die uns schmerzen und die dann am Ende auch dazu geführt haben, dass jetzt wie im Fall der Filme tatsächlich mal eine Gebäudehavarie eingetreten ist.

    Koldehoff: Herr Hollmann, hoffen wir mal, dass das tatsächlich an den richtigen Stellen noch mal in der Deutlichkeit gehört wird und ankommt. Aber wo ich sie gerade am Telefon habe: Heute gehen über die Medien Meldungen, ein Auktionshaus in den Vereinigten Staaten - ganz anderes Thema, aber auch eventuell das Bundesarchiv betreffend - biete an eine Akte von rund 60 Seiten aus dem Besitz mit Unterlagen von Rudolf Heß über dessen Flug, den angeblichen Friedensflug nach Großbritannien mitten im Krieg. Und in diesen Meldungen heißt es auch, das Bundesarchiv habe sich dahingehend geäußert, dass es jedenfalls keine Anzeichen dafür gibt, dass diese Akte, diese Dokumente, diese historischen, nicht echt seien. Ist das richtig?

    Hollmann: Soweit ich es mit diesem Vorgang zu tun hatte, haben sich in der Tat für uns keine, also für meinen Kollegen, der sich damit befasst hat, keine Indizien ergeben, die auf eine Fälschung hindeuten. Das Problem aus unserer Sicht ist allerdings: als Staatsarchiv haben wir einen Anspruch auf staatliche Unterlagen, auch aus der Zeit des Dritten Reichs, wobei es natürlich immer ein Problem darstellt, wenn dieses auch staatliche Archive kriegsbedingt verlagert wurde. Ob das jetzt in die USA oder in andere Länder geschehen ist, es haben ja auch nicht wenige Soldaten solche Dinge als Trophäe mitgenommen. Aber in dem konkreten Fall besteht zumindest ja auch aus meiner Sicht und soweit ich darüber informiert bin, die Möglichkeit, dass es sich gar nicht um staatliches, sondern um privates Schriftgut handelt, auf das wir gar keinen Anspruch erheben können in dem Sinne, dass wir einfach die Herausgabe fordern könnten. In solchen Fällen haben wir dann das Problem, dass es für, ich hätte beinahe gesagt, Devotionalien von NS-Größen einen Markt gibt und dieser Markt von merkwürdigen Leuten zum Teil beherrscht sind, die bereit sind, sehr, sehr viel Geld für so etwas auszugeben, wozu wir nie in der Lage wären, auch nur annähernd mitzubieten.

    Nur wenig Geld für Ankäufe
    Koldehoff: 300.000 Dollar werden genannt als Aufrufpreis von diesem amerikanischen Auktionshaus. - Wenn es nun etwas gäbe, das nicht in die Kategorie Devotionalien fällt - letzte Woche ist mal ein Rubinring, der angeblich Hitler gehört haben soll, angeboten worden -, sondern tatsächlich historisch bedeutsame Dokumente, haben Sie dann einen Ankaufsetat?

    Hollmann: Wir haben einen Ankaufsetat, aber der ist nicht hoch, denn wie ich eben gesagt habe: als Staatsarchiv gelangt normalerweise Archivgut zu uns auf dem ganz geregelten Weg über das Archivgesetz. Das heißt, wir haben einen Anspruch darauf, dass alle staatlichen Institutionen und Einrichtungen ihre Unterlagen, egal welche Form, vom Papier bis zum Digitalisat, uns anbieten, wenn sie sie nicht mehr brauchen, und wir wählen das historisch wichtige aus. Aber bei all diesen anderen Dingen haben wir keine rechtliche Handhabe. Und bei dem wenigen Geld, das uns für solche Dinge zur Verfügung steht, sind wir eigentlich auch nicht bereit, in diesen Markt mit einzugreifen. Wenn wir das jetzt auch noch täten beziehungsweise andere Staatsarchive, dann würden wir diesen, aus meiner Sicht etwas fragwürdigen Markt ja auch noch befeuern.

    Koldehoff: Wir haben vorhin über die Wichtigkeit des Originals im Vergleich zur Kopie gesprochen, als wir über die Filme sprachen. Wenn wir jetzt das auf die Heß-Akte beziehen, würde man sich denn wünschen, wenigstens eine Kopie dieser Unterlagen fürs Bundesarchiv zu bekommen?

    Hollmann: Ja. In vergleichbaren Fällen haben wir das auch getan. Um ein anderes Beispiel zu geben: es ist mal ein Kalender aus dem Besitz von Heinrich Himmler an die Gedenkstätte Wewelsburg verkauft worden und wir haben dann von der Gedenkstätte eine Kopie bekommen, um zumindest den Benutzern in unserem Haus diese Informationen zur Verfügung stellen zu können. Wir machen das ja ohnehin in vielen Fällen, dass wir die Originale zu ihrem Schutz gar nicht mehr in die Benutzung geben, sondern Benutzer nur noch Mikrofilme oder, wenn so was vorliegt, Digitalisate vorlegen. Von daher wäre das dann kein großer Unterschied. Wichtig ist uns normalerweise nur, dass solche Dinge irgendwo in einem öffentlichen Archiv, wo sie auch zugänglich sind, liegen, was zum Beispiel bei der Wewelsburg der Fall wäre. In allen anderen Fällen, muss ich sagen, hätten wir ein Problem, uns in diesen Markt hineinzubegeben.

    Koldehoff: Da klingelt auch schon das Handy, wahrscheinlich der Kulturstaatsminister, der nach der Kontonummer fragen will. Nichts wie hin! - Michael Hollmann war das, der Präsident des Bundesarchivs.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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