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Kinopremiere vor 90 Jahren
Der frühe Tonfilmklassiker "Der blaue Engel"

"Der blaue Engel" um eine Varieté-Sängerin und einen liebestollen Lehrer verhalf 1930 nicht nur dem Tonfilm zum endgültigen Durchbruch - sondern auch einer weitgehend unbekannten Darstellerin namens Marlene Dietrich. Regisseur Josef von Sternberg wollte sie gegen alle Widerstände für die Rolle.

Von Hartmut Goege |
    DER BLAUE ENGEL D 1930 - Josef von Sternberg Marlene Dietrich (Lola Lola) u. Rosa Valetti (Guste) Regie: Josef von Sternberg / DER BLAUE ENGEL Deutschland 1930 *** Local Caption *** 00883294 | Verwendung weltweit
    Marlene Dietrich (M.) als Varieté-Sängerin Lola-Lola in Josef von Sternbergs berühmtem Film (picture alliance / United Archives)
    "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Ich kann halt lieben nur und sonst gar nichts."
    Eine der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte: Lola-Lola, gespielt von der noch wenig bekannten Marlene Dietrich, singt, sich verführerisch auf einem Weinfass räkelnd, auf der kleinen Varietébühne der Hafenkneipe "Blauer Engel". Dieses Bild wurde für das Gros der Filmplakate festgehalten: Es ist der Moment, in dem der pedantisch-strenge Oberlehrer Professor Rath, gespielt von Emil Jannings, erstmals das Lokal betritt und dem frivolen Vamp sofort verfällt.
    "Männer umschwirren mich wie Motten das Licht ..."
    Großes Tonfilm-Ereignis
    Der grandiose Erfolg der Uraufführung des Films "Der blaue Engel" am 1. April 1930 im Berliner Gloria-Palast kam nicht unerwartet. Schon seit Monaten wartete das Kinopublikum gespannt auf ein neues großes internationales Tonfilmereignis; zweieinhalb Jahre nach dem ersten Tonfilm "The Jazz Singer".
    Die Geschichte über die doppelbödige Moral der Gesellschaft nach Heinrich Manns sozialkritischem Roman "Professor Unrat" traf den Nerv der Zeit: Ein sittenstrenger Lehrer, Spottname "Unrat", der herauszufinden versucht, warum seine Schüler eine Nachtclub-Sängerin anhimmeln und ihr dabei selber verfällt.
    "Nanu, was machen Sie denn in meinem Schlafzimmer?"
    "Sie sind also die Künstlerin Lola-Lola!"
    "Sind Sie vielleicht von der Polizei?"
    "Sie irren, mein Fräulein. Ich bin Dr. Immanuel Rath, Professor am hiesigen Gymnasium."
    "Deswegen können Sie aber ruhig in meiner Garderobe den Hut abnehmen."
    Marlene Dietrich - Besetzung gegen Widerstände
    Der einflussreiche UFA-Produzent Erich Pommer hatte den amerikanischen Star-Regisseur Josef von Sternberg verpflichtet, ebenso die aus den USA zurückgekehrte Schauspielerlegende Emil Jannings.
    Lediglich bei der Besetzung der weiblichen Hauptrolle gab es zunächst Uneinigkeit. Die UFA-Chefs wollten ein bekanntes Gesicht. Sternberg aber hatte zufällig Marlene Dietrich in einer Theateraufführung entdeckt, in der er sich eigentlich ein Bild über die Schauspieler-Qualitäten von Hans Albers als draufgängerischer Mazeppa machen wollte. Und Pommer hatte Sternberg freie Wahl bei der Besetzung zugesichert.
    "Und da fiel mir die Marlene auf, die hatte eine sehr kleine Rolle in dem Stück 'Zwei Krawatten'. Und ich nahm sie halt. Gegen den Willen von fast allen Menschen."
    Probeaufnahmen überzeugten schließlich die Verantwortlichen von Dietrichs unterkühlt gelangweiltem Charme und ihrer schnoddrigen Berliner Schnauze:
    "Film 701, Sternberg - Frau Dietrich, 195, Aufnahme 3"
    "Mensch, was fällt Dir eigentlich ein? Soll das Klavier spielen sein? Zu dem Dreck soll ich singen? Gehört zum Waschtrog, aber nicht hierher, siehste, Dussel!"
    Jannings' Comeback, überflügelt von der Dietrich
    Ein Großteil des Erfolgs lag auch an den frivol-frechen Songs von Friedrich Hollaender, die Marlene Dietrich auf den Leib geschrieben waren.
    "Ich bin die fesche Lola, mich liebt ein jedermann, doch an mein Pianola, da lass ich keinen ran."
    Hollaender erinnerte sich später an Jannings' Reaktionen beim Sichten erster Muster:
    "Und es wurde immer klarer, dass die Dietrich scheinbar ihn überflügelte. Es ist unvergesslich, wie er aufstand und sagte: 'So, die erwürge ich!'"
    Auch wenn alle Welt nun von Marlene Dietrich sprach, Jannings' Comeback nach dreijähriger Abwesenheit war gelungen. Der große Stummfilm-Mime hatte wegen mangelnder Englisch-Sprachkenntnisse im neuen Hollywood-Tonfilm keine Zukunft mehr für sich gesehen. In Deutschland aber nahm die Kritik ihm in seinem ersten Tonfilm einmütig die glänzende Charakterstudie eines Spießbürgers ab, der sich im Werben um das Rotlicht-Geschöpf Lola-Lola zum Gespött seiner Umwelt macht.
    Endgültiger Durchbruch des Tonfilms
    "Würden Sie dieses als Geschenk von mir annehmen. Und darf ich gleichzeitig um Ihre Hand anhalten?"
    "Mich willst du heiraten?"
    "Ja!" (Lachen)
    Ihr zuliebe quittiert Rath seinen Schuldienst, nimmt den sozialen Abstieg in Kauf, heiratet Lola-Lola und zieht mit ihrer Truppe als Clown durch die Lande. Als er sie eines Tages in den Armen Mazeppas sieht, kommt es zur endgültigen Tragödie: Bei einem Gastspiel in seiner Heimatstadt verliert er den Verstand, irrt durch die Straßen und bricht schließlich tot in seiner ehemaligen Schule zusammen.
    "Der blaue Engel" gilt als Meilenstein der Filmgeschichte. Er verhalf dem Tonfilm zum endgültigen Durchbruch und begründete den Aufstieg Marlene Dietrichs zum Weltstar.