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Kinorealismus für die Oper

Die Potsdamer Winteroper fasziniert schon durch ihr Ambiente: Sie ist einfach eines der schönsten Rokoko-Theater Europas. Der eigentlich im Kino beheimatete Regisseur Andreas Dresen inszenierte dort nun Mozarts "Hochzeit des Figaro" und überzeugte mit seiner Personenführung.

Von Markus Kosel |
    Bereits die Ouvertüre klang verheißungsvoll. Man hatte die Paukenschläge allerdings eher von der Inszenierung erwartet, stattdessen kamen sie vor allem aus dem Graben des intimen, rund 200 Plätze fassenden Schlosstheaters im Neuen Palais am Rande des malerischen Parks Sanssouci in Potsdam.

    Ein Paukenschlag war bereits die Tatsache, dass Wolfgang Amadeus Mozarts "Nozze di Figaro" ohne Dirigent gegeben wurde. Am Pult saß vielmehr der renommierte Fagottist Sergio Azzolini, ein Spezialist vor allem für die Musik des 18. Jahrhunderts, der die 28-köpfige Kammerakademie Potsdam mit unbändiger Musizierlust zu fulminantem, mitreißendem Spiel animierte; nur hin und wieder beschränkte er sich auf das Geben musikalischer Impulse, meistens spielte er selbst mit und gab damit der Bass-Gruppe ein starkes Fundament. Da waren immer wieder feine, unerwartete Nuancen in Tempo und in der Agogik zu erleben, da gab es durch das an der historischen Aufführungspraxis angelehnte Musizieren schroff, beinahe kantig artikulierte Passagen, andererseits - unterstützt auch durch die Hinzunahme der klassischen Laute - auch delikate, weiche Farben.

    Der Kontrast zwischen dem orchestralen Farbenreichtum und der von Matthias Fischer-Dieskau, übrigens der Sohn des großen Sängerdarstellers, ganz in schwarz ausgekleideten Bühne konnte stärker nicht sein. Sechs unterschiedlich große Türen gaben den Szenen in variabler Anordnung ihre Struktur; bis auf einen Sessel in den beiden ersten Akten gab es kein weiteres Mobiliar. Auch wenn der in Potsdam lebende Filmregisseur Andreas Dresen glücklicherweise nicht der Verführung erlag, die Oper visuell zu überfrachten, blieb die Bühne doch etwas zu puristisch.

    Dresens Personenführung konnte jedoch durchaus überzeugen. Er zeigt Menschen von heute mit ihren Schwächen und Stärken, mit ihren Ängsten und Leidenschaften. An die Stelle höfischer Etikette tritt ein rauer Umgang untereinander: der Graf hat keine Bedenken seine Frau zu ohrfeigen, und auch die Gräfin hat keine Scheu ihren Mann harsch zu behandeln. Selbst über dem Kinderwagen mit dem gemeinsamen Nachwuchs kommt es zu Streit und Handgreiflichkeiten.

    Andreas Dresen erweist sich immer wieder als Fachmann im Ausleuchten von Charakteren. Die Figur der Susanna beispielsweise zeigt er als durchaus hin- und hergerissen zwischen Figaro, Cherubin und dem Grafen, dem sie ohne Not am Ende des Duetts einen langen Kuss auf die Lippen drückt. Zum Nachdenken geriet auch das Schlussbild, das die vier Paare jeweils auf den beiden Seiten der Türen zeigte - ihre Hände sind sich nahe, berühren sich jedoch nicht.

    Gesungen wurde auf durchgehend hohem Niveau. Jutta Maria Böhnert gab die Gräfin mit leuchtendem, lyrisch-kantablem Sopran; Susanne Ellen Kirchesch faszinierte als Susanna mit einer breiten Ausdruckspalette und Olivia Vermeulen sang einen leidenschaftlichen Cherubino; Christian Senn war der machohafte Graf mit dunkel-vollem Bassbariton und Giulio Mastrototaro überzeugte als Figaro mit schlankem Bass. Die Potsdamer Winteroper kann sich also durchaus sehen und vor allem hören lassen und muss sich vor den Toren Berlins keineswegs verstecken. Nachdem die Sparte Musiktheater am Hans-Otto-Theater der brandenburgischen Landeshauptstadt vor zwölf Jahren abgeschafft wurde, existiert damit neben den sommerlichen Musikfestspielen seit sechs Jahren immerhin ein Kleinod, das hoffentlich noch lange sorgfältig gepflegt wird.