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Kipchoge läuft Marathon unter zwei Stunden
Der PR-Coup hinter dem historischen Lauf

Eliud Kipchoge hat es geschafft. Er ist 42,195 Kilometer in 1:59:40,2 Stunden gelaufen und damit als erster Mensch auf der Marathon-Distanz unter zwei Stunden geblieben. Dahinter stecken aber nicht nur sportliche Ambitionen - sondern auch ein umstrittener britischer Milliardär.

Von Christian Bartlau |
Aufmerksamkeit war Eliud Kipchoge bei seinem Marathon-Rekordversuch sicher - und damit auch Ineos, dem Sponsor des Events.
Aufmerksamkeit war Eliud Kipchoge bei seinem Marathon-Rekordversuch sicher - und damit auch Ineos, dem Sponsor des Events. (imago images / Xinhua)
Eliud Kipchoge hat an diesem Samstag in Wien Geschichte geschrieben: Als erster Mensch hat es der amtierende Marathon-Weltrekordler geschafft, die 42,195 Kilometer in unter zwei Stunden zu laufen. Schon vor seinem Start hatte der 33-jährige Kenianer einen bedeutsamen Vergleich bemüht: "Wie die Mondlanung" sollte es werden.
Ein Ziel hatte Kipchoge schon erreicht, da war er noch keinen Meter gelaufen: Die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit war ihm sicher. 300 Journalisten waren akkreditiert, zur Pressekonferenz am Donnerstag vor dem Start drängten sich schon ein halbes Dutzend Kamerateams und 30 Reporter aus aller Welt ins Medienzentrum. Kipchoge erhob seinen Lauf zu einer Botschaft an die Menschheit:
"Es geht darum, Menschen zu sagen, dass Grenzen nur in ihren Gedanken existieren. Was ich mache, ist, zu versuchen, diese Sperre aus ihren Köpfen zu verbannen. Kein Mensch hat Grenzen."
Der britische Chemiekonzern Ineos ist omnipräsent
Kein Mensch hat Grenzen, no human is limited, sagt Kipchoge also, und zufällig ist das auch der Hashtag, mit dem das Event unter dem Namen "1:59 Challenge" beworben wird. Omnipräsent ist das Logo von Ineos, einem britischen Chemiekonzern, der die ganze Veranstaltung finanziert. Und sicher auch eine Prämie springen lässt, sollte Kipchoge die Zwei-Stunden-Marke knacken, vermutet eine Reporterin. Kipchoge umschifft die Frage charmant.
"Es geht nicht um Geld, es geht ums Laufen und darum, Geschichte zu schreiben und das Leben von Menschen zu ändern. Aber wenn Sie eine Belohnung für mich haben, können Sie mir die gern geben."
Ineos mag den meisten Sportfans noch kein Begriff sein, aber das könnte sich ändern. Die Briten haben zuletzt massiv investiert. Im Mai 2019 übernahmen sie den erfolgreichen Radrennstall Team Sky und gewannen gleich die Tour de France. Im Sommer kaufte Ineos den französischen Fußballklub OGC Nizza für 100 Millionen Euro. 126 Millionen Euro pumpt Ineos in das britische Team für die America's-Cup-Regatta 2021 in Neuseeland. Wie viel Geld sich Ineos den Rekordversuch in Wien kosten lässt, dazu äußert sich der Konzern nicht. Fran Millar, eigentlich CEO beim Radteam, aber als Organisatorin mit an Bord, begründet es mit einer Art höherem Zweck der Veranstaltung.
"Ich werde nicht über die Details von Verträgen oder all dem anderen reden. Wir machen das nicht, um über Geld oder die Kosten zu reden, wir tun das wirklich, um zu versuchen, etwas zu schaffen, was noch kein Mensch geschafft hat. Das ist unbezahlbar."
Weltweite Aufmerksamkeit
Klar ist: Ineos hat keine Kosten gescheut. Extra für Kipchoge wurde die Strecke auf der Prater Hauptallee neu asphaltiert, auf Rechnung des Sponsors, wie die Stadt Wien versichert. Für das Rennen stand ein Aufgebot von 41 Top-Athleten als Tempomacher zur Verfügung, sogenannte Pacemaker. Weil so viele Helfer nicht vorgesehen sind, wird das Rennen nicht offiziell gewertet - um den Weltrekord ging es also nicht.
Wohl aber um Aufmerksamkeit: Die Zuschauer durften gratis am Streckenrand stehen, 30 TV-Sender übertrugen live, es gab einen YouTube-Livestream. Es ist der zweite Versuch dieser Art, vor zwei Jahren scheiterte Kipchoge in Monza nur ganz knapp, in zwei Stunden und 25 Sekunden kam er ins Ziel. In Sachen PR setzte das Projekt einen Meilenstein: Fast 20 Millionen Menschen haben den Lauf über Twitter, Facebook und YouTube verfolgt - und damit auch die Werbung für die Schuhe von Nike, das das Event finanzierte.
Content Marketing heißt das Zauberwort, ein Prinzip, das Red Bull immer wieder meisterhaft anwendet, vor allem mit dem Stratosphärensprung von Felix Baumgartner 2012. Ineos' Projekt wendet das selbe Prinzip an, sagt Sportmarketing-Experte Reinhard Grohs von der Privatuniversität Schloss Seeburg in Salzburg.
"Es kann natürlich schon gewisse positive Effekte haben, allein den Medieneffekt, den man sich natürlich serös erst im Nachhinein ausrechnen kann. Aber beim Stratosphärensprung wurde das gemacht und der ging, wie auch immer man's berechnet, in die Milliarden theoretisch."
Red Bull investierte damals rund 50 Millionen Euro, generierte aber einen Werbewert, der vom Marken-Bewertungsinstitut "European Brand Institute" auf bis zu sechs Milliarden Euro geschätzt wurde: Für diesen Betrag hätte Red Bull Werbung schalten müssen, um genau so viel Aufmerksamkeit zu erreichen. Könnte also der Trend im Sportsponsoring weg von den klassischen Wettbewerben und hin zu solchen Megaevents gehen? Reinhard Grohs ist skeptisch.
"Ich glaube, die Events werden sehr selten bleiben. Es braucht eine Konstellation mit einem Unternehmen, das genau das will und bereit ist, enorme Ressourcen zu binden. Aber das funktioniert nur in Konstellation mit einem Unternehmen, wo relativ wenige Personen das Sagen haben und die Richtung vorgeben können. Sobald viele Personen mitreden können, wird das Risiko nicht mehr eingegangen."
Ineos-Chef Jim Ratcliffe ist eine Reizfigur für die Umweltbewegung
Der Chef bei Ineos heißt Sir Jim Ratcliffe. Er hält 60 Prozent der Anteile, außerhalb seiner Firma ist er jedoch umstritten. Er bezeichnet sich selbst als reichster Brite, sein Vermögen wird auf 25 Milliarden Euro geschätzt. Der Brexit-Befürworter wurde 2018 zum Ritter geschlagen - und verlegte den Firmensitz Anfang 2019 von der Insel nach Monaco, um Steuern zu sparen. Weil Ineos sein Geld mit Plastik und auch mit Fracking verdient, ist er eine Reizfigur für die Umweltbewegung. Bei der Tour de France protestierten Aktivisten vor dem Ineos-Bus. Der Vorwurf: Ratcliffe betreibe Greenwashing, Imagepflege über den Sport. Also auch über Rekordmann Eliud Kipchoge? Fran Millar bemüht sich, das Sportliche in den Vordergrund zu stellen:
"Er findet das Ganze wirklich aufregend, er liebt Eliud als Athleten. Es wäre zu viel hineininterpretiert, wenn man sagt, wir machen das aus Corporate-Responsibility-Gründen. Das tun wir nicht, das hier machen wir aus Leidenschaft und Liebe für den Sport."
Eine Leidenschaft, die Ratcliffe bald zu einem der gewichtigsten Player im europäischen Sport machen könnte: Seit Jahren halten sich Gerüchte, dass er dem Russen Roman Abramowitsch den FC Chelsea abkaufen will, für rund drei Milliarden Euro. Dagegen dürften die Kosten für Kipchoges historischen Lauf in Wien nur Peanuts gewesen sein.