Archiv


Kipping: Haben uns in den Umfragen "stabil eingepegelt"

Vor dem heute beginnenden Parteitag der Linken in Dresden blickt Parteichefin Katja Kipping auf ein "wirklich gutes Jahr" für ihre Partei zurück. Der Linken sei es gelungen, sich auf ihre Kernthemen zu fokussieren.

Katja Kipping im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Die Plakate werden diesmal etwas breiter ausfallen, oder die Fotos etwas kleiner. Die Linkspartei will mit einer achtköpfigen Spitze in den Bundestagswahlkampf ziehen. Im Wahlprogramm heißt es erst einmal zurück zu Helmut Kohl, also Spitzensteuersatz von 53 Prozent, hin zu Francois Hollande, eine Millionärssteuer von 75 Prozent, außerdem höhere Steuern auf Erbschaften und große Vermögen. Mit den zusätzlichen Einnahmen möchte die Linke das Rentenniveau um zehn Prozent anheben, eine Mindestrente von 1050 Euro garantieren und den Hartz-IV-Regelsatz anheben. Die gute Nachricht vor dem Wahlparteitag, der heute in Dresden beginnt: Gregor Gysi hat abgespeckt, rund 13 Kilo. Die schlechte für die Linke: Parallel zu Gysis Gewichtsverlust vollzieht sich der Bedeutungsverlust der Partei – ein Zusammenhang besteht da jedenfalls erkennbar nicht –, von den fast zwölf Prozent bei der letzten Bundestagswahl bringt die Linke in Umfragen gegenwärtig nur noch sechs bis acht Prozent auf die Waage. Das könnte die Nerven belasten, dabei ist doch Ruhe die erste Linkenpflicht, denn auf keinen Fall soll es an der Elbe so zugehen wie vor Jahresfrist in Göttingen, als Gregor Gysi ausrief:

    O-Ton Gregor Gysi: "Vieles führt in der politischen Kultur nicht zusammen. Es gibt Meinungsunterschiede. All das wäre nicht erheblich, mit all dem müssten wir umgehen können. Aber in unserer Fraktion im Bundestag herrscht auch Hass."

    Heinemann: Wir sind in Dresden mit Katja Kipping verbunden, der Co-Vorsitzenden der Linkspartei. Sie führt die Landesliste der Linken in Sachsen an. Guten Morgen!

    Katja Kipping: Einen schönen guten Morgen!

    Heinemann: Frau Kipping, erwarten Sie Streit in Dresden?

    Kipping: Da die letzten zwölf Monate für die Linke ein wirklich gutes Jahr war – wir haben es hinbekommen, dass wir uns fokussieren auf das, was den Kern unseres Wirs ausmacht, wir haben uns in den Umfragen langsam nach oben entwickelt und jetzt stabil eingepegelt, jetzt vorm Wochenende hatte uns Forsa wieder bei neun Prozent -, freue ich mich auf den Parteitag. Die größte Sorge der Journalisten gestern war eher beim Presseempfang, dass es zu langweilig für sie wird, weil es bei uns gerade so harmonisch zugeht.

    Heinemann: Wer hasst wen bei Ihnen, oder ist das ausgestanden?

    Kipping: Ich glaube, das war eine Rede, die in einer besonderen Zeit gehalten war, wo es auch eine sehr zugespitzte Wahl gab, und ich glaube, mit der Rede sollte damals auch ein bisschen die Wahl mit beeinflusst werden. Heute würde ein Bericht ganz anders ausfallen, nämlich eine Bilanz, dass links wirkt, dass wir wirklich was bewirkt haben, und inzwischen, wie gesagt, wissen wir, was den Kern unseres Wirs ausmacht: Wir sind unbestechlich gegen Kriegs- und Rüstungsexporte, wir sind wirklich konsequent, wenn es um soziale Rechte und gute Arbeit geht, und wir sind halt beharrlich, wenn es um die Interessen der Ostdeutschen geht.

    Heinemann: Oskar Lafontaine, um einen anderen inhaltlichen Punkt aufzugreifen, hat noch mal nachgelegt, jetzt in der "Saarbrücker Zeitung" gefordert, neben dem Euro müssten wieder nationale Währungen eingeführt werden, damit man wieder auf- und abwerten kann. Euro adé?

    Kipping: Nein! Der Parteivorstand hat ja gründlich diskutiert und nach einer längeren Debatte ist er auch noch mal dem Vorschlag von Bernd Riexinger und mir gefolgt. Es heißt jetzt ganz eindeutig: Die Linke ist nicht für den Austritt aus dem Euro. Wenn wir jetzt klagen in Karlsruhe, dann klagen wir auch nicht gegen den Euro, sondern für ein soziales Europa. Fakt ist, dass die Eurogegner eher bei Troika oder Merkel zu finden sind, denn es ist eben der Kurs der Sozialkürzungen innerhalb von Europa, der die Grundlagen für die Gemeinschaftswährung gefährdet.

    Heinemann: Bleiben wir aber noch mal bei den Linken. Für den Wahlkampf heißt das dann, mit Katja Kipping und Oskar Lafontaine für und gegen den Euro?

    Kipping: Nein. Entscheidend ist ja in einer demokratischen Partei immer, was beschlossen wird und durch ein Gremium. Da ist bei uns auch der höchste Souverän der Parteitag. Und ich will noch mal ein Wort sagen: Ich habe da wirklich eine andere Meinung als Oskar Lafontaine. Aber ich muss schon sagen, er hat ja diesen Vorstoß aus großer Sorge um den europäischen Geist geschrieben, nicht weil er zurück möchte zu einer nationalen Währung, sondern weil er die Gefahr sieht, dass der Kurs von Troika und Merkel den Euro gefährdet. Ich finde jedoch, wir als Linke müssen ganz klar sagen, was wir wollen, ist ein soziales Europa, und die beste Bestandsgarantie für den Euro wäre, wenn man sich auf eine soziale Fortschrittsklausel verständigt, also wenn es europaweit Mindestlöhne, Mindestrenten gäbe und eine ordentliche Besteuerung von Millionären.

    Heinemann: Sie haben eben gesagt, die Linke würde wirken. Wer die Linkspartei wählt, der gibt auf jeden Fall der Opposition eine Stimme. Gestalten werden Sie, jedenfalls in der Bundespolitik, absehbar nichts.

    Kipping: Erstens muss ich mal widersprechen. Gestalten muss nicht immer heißen, dass man in der Regierung sitzt. Wenn wir einfach mal auf unsere Bilanz zurückschauen: Wir haben wirklich wichtige Themen angesprochen und die anderen Parteien unter Zugzwang gesetzt. Dass Themen wie Mindestlohn inzwischen selbst in der CDU hoffähig sind, geht auf uns zurück.

    Heinemann: Oder auf die SPD!

    Kipping: Die SPD? Als sie in der Regierung war, war das ja für sie ein Fremdwort. Wir waren die ersten, die das aufs Tablett gehoben haben, und erst nachdem wir dafür Popularität geschaffen haben, haben das die anderen Parteien sich angenommen. Dass es jetzt diskutiert wird, Millionäre und Konzerne stärker zur Kasse zu bitten, geht auch auf uns zurück. Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, die Abschaffung der Praxisgebühr. Es war meine Partei, die von Anfang an dagegen Widerstand geleistet hat, und nach vielen Jahren Widerstand dagegen hat dann selbst die FDP begriffen, dass das ein Bürokratiemonster ist.

    Heinemann: Und trotzdem fliegt die Linke in Westdeutschland, in den alten Bundesländern jedenfalls, aus einem Landtag nach dem anderen. Niedersachsen war das letzte Beispiel. Jetzt sind Sie nur noch vertreten in, wenn ich das richtig sehe, Hamburg, Bremen, Saarland, zwei Stadtstaaten und das kleinste Bundesland. Ist das nicht eine erbärmliche Westbilanz, 23 Jahre nach der Einheit?

    Kipping: Nein, wir sind eine bundesweite Partei. Aber in der Tat: Wir haben Hochburgen, die liegen im Osten und im Saarland, und auf Hochburgen kann man auch stolz sein. Ich muss aber auch sagen, dass wir auch im Westen richtig konkrete Sachen bewirkt haben. Um nur mal ein Beispiel zu nennen: In Köln gibt es jetzt eine Maßnahme, um Stromabschaltungen zu verhindern, wo Leute, die ihre Rechnung nicht bezahlen, einfach nur eine niedrigere Kilowatt-Anzahl bekommen, damit sie zumindest die existenziellen Sachen wie Kochen noch bewerkstelligen können. Das ist eine Superregelung, die es auch in Belgien gibt, die eingeführt worden ist in Köln, und das geht zurück auf eine Initiative der Linken. Insofern bewirken wir was.

    Heinemann: Schön, dass Sie sich so freuen. Aber die Bürgerinnen und Bürger halten Ihre Partei offenbar für entbehrlich, im Westen zumindest.

    Kipping: Na, das stimmt so nicht.

    Heinemann: Gucken Sie sich doch die Wahlergebnisse an!

    Kipping: Erstens muss man jetzt mal schauen, was in den letzten zwölf Monaten passiert ist, und wir wissen auch, dass unsere Wählerklientel eher zur Bundestagswahl wählen geht als zu Landtagswahlen. Das hängt damit zusammen, was unsere Kernthemen sind: ein klarer Einsatz für eine Friedenspolitik, die Sozialpolitik. Das wird halt eher auf der Bundesebene entschieden. Und ich finde, wir können ganz zufrieden sein. Wir haben uns gut und stabil eingepegelt. Und vor allen Dingen haben wir wirklich viel bewirkt.

    Heinemann: Können Sie sich eine Zusammenarbeit mit Peer Steinbrück vorstellen?

    Kipping: Na gut, mit dieser Personalie hat es uns die SPD jetzt nicht leicht gemacht. Er ist nun mal der Architekt der Agenda 2010. Aber wir haben immer gesagt, wir sind nicht wie die SPD, wir schreiben ihnen nicht vor, für wen sie sich intern entscheiden. Für uns sind die Inhalte entscheidend. Und deswegen habe ich von Anfang an gesagt, bei einer Regierung, die Mindestlöhne und eine sanktionsfreie Mindestsicherung einführt, die eine gute Rente garantiert und sich für gute Arbeit einsetzt und die Außenpolitik im Zeichen von nie wieder Krieg macht, wären wir sofort dabei. Es sind SPD und Grüne, die das kategorisch ausgeschlagen haben. Aber da stellt sich natürlich die Frage, wie glaubwürdig ist die soziale Rhetorik von der SPD, weil mit der FDP wird sie nicht mal einen Mindestlohn kriegen, mit der CDU wird sie niemals die höhere Besteuerung von Millionären durchbekommen und mit den Grünen wird es kein Abrücken von der Rente erst ab 67 geben.

    Heinemann: Die Frage der Glaubwürdigkeit stellt sich ja auch für die Linkspartei. Ist eine Zusammenarbeit mit der SPD erst dann möglich, wenn die Generation der SED-Mitglieder und der Stasi-Zuträger in der Linkspartei in Rente ist?

    Kipping: Ich kann hier einmal sagen, am Anfang hieß es immer, es ginge nicht, weil es mit Lafontaine so ein belastetes Verhältnis gibt.

    Heinemann: Kommt erschwerend hinzu!

    Kipping: Ja. Aber inzwischen sind Bernd Riexinger und ich an der Spitze. Wenn man sich unseren Parteivorstand, also die Gremien, die die Partei führen, anschaut: Das sind viele Leute, die überhaupt erst ihre Politisierung in Nachwendezeiten hatten. Bernd Riexinger war immer auch im Westen in der undogmatischen Linken, ich selber war zwölf Jahre, als die Wende war, ich habe gerade mal ein Jahr das rote Halstuch getragen. Also man muss einfach sagen: Wenn man sich heute unser Führungspersonal anschaut, ist das eine pure Ausrede.

    Heinemann: In der Landtagsfraktion der Linken von Brandenburg sitzen, wenn ich richtig gezählt habe, vier Stasileute.

    Kipping: Das sind aber alles Leute, die sich öffentlich dazu bekannt haben, die eingesehen haben, dass das ein Fehler war, die diesen Fehler schwer bereut haben, und ich finde, man muss Menschen auch zugestehen, dass sie noch mal einen Neuanfang machen. Einige von denen sind ja dann auch direkt gewählt worden, weil sie genau sich dazu bekannt haben und das als Fehler eingesehen haben. Und um mal über Brandenburg zu reden: In Brandenburg ist es der Linken zu verdanken, dass jetzt in dieser Wahlperiode 2000 neue Lehrer eingestellt werden. Das wäre ohne den Druck, den wir als Linke machen, nicht passiert in Brandenburg.

    Heinemann: Können Menschen, die Mitbürger verraten haben, Volksvertreter sein?

    Kipping: Ja, wenn sie entsprechend bereuen.

    Heinemann: Da haben Sie keine Probleme? Die sehen Sie als glaubwürdig an?

    Kipping: Ich kann nur sagen, wir hatten bei uns von Anfang an eine Regelung, dass man ganz klar, wenn es entsprechende Verstrickungen gab, das deutlich machen muss. Und noch mal: Für mich ist entscheidend und offensichtlich auch für viele Wählerinnen und Wähler, was für eine Politik gemacht wird. Noch mal auf Brandenburg zurückzukommen: Brandenburg ist das einzige Land im Bundesrat, was jetzt Widerstand geleistet hat, als es darum ging, die Prozesskostenhilfe zu kappen.

    Heinemann: Wir reden nicht über inhaltliche Dinge. Es geht jetzt um die Glaubwürdigkeit und die Frage, ob Stasi-Spitzel, Menschen, die andere verraten haben, ob die Volksvertreter sein können, jetzt völlig unabhängig von politischen Ergebnissen.

    Kipping: Na ja, am Ende müssen die Wählerinnen und Wähler entscheiden, was für sie das Entscheidende ist, und ich finde, da kommt es auf beides an: erstens eine klare Reue und auch eine Transparenz über die eigene Biografie und zum zweiten auch, wofür möchte man sich heute und hier einsetzen.

    Heinemann: Frau Kipping, der Bundestag gedenkt heute des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953. Wie sollte Deutschland mit diesem mutigen Aufstand gegen die sozialistische Unterdrückung, die sozialistische Diktatur umgehen?

    Kipping: Ich glaube, der 17. Juni – wir haben ja selber auch dazu eine Lesung mit Texten von Stefan Heym durchgeführt -, kann man sagen, ist der letzte politische Streik in Ost wie in West, und ich finde, dass dieser Tag ein Anlass ist zum einen, um diesem historischen Ereignis zu gedenken, und zum anderen aber auch, sich der Frage zu stellen, ob es nicht auch heute Situationen gibt, wo ein politischer Streik angemessen ist. Wir als Linke setzen uns deswegen dafür ein, dass es auch heute das Recht auf einen politischen Streik gibt.

    Heinemann: Katja Kipping, die Co-Vorsitzende der Linken. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Kipping: Auf Wiederhören!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.