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Kirche in der Gesellschaftskrise

Die Kirche muss sich von ihrer früheren Machtposition verabschieden. Sie befindet sich in einer Marktsituation: Die kirchliche Botschaft ist ein Angebot, und muss durch Überzeugungskraft vermittelt werden, sagt der Theologe Rainer Bucher, Autor des Buches "… wenn nichts bleibt, wie es war: Zur prekären Zukunft der katholischen Kirche ".

Von Hajo Goertz |
    "Wir sind in einer gesellschaftlichen Beschleunigungsentwicklung, die diese Gesellschaft generell vor die Situation stellt, dass die Vergangenheit nicht selbstverständlich brauchbar ist für die Zukunft, und dass auch die Zukunft nicht mehr einfach nur ein Hoffnungsort ist wie noch in der klassischen Moderne, auf den hin wir uns entwickeln, sondern ein Ort geworden ist, an dem wir uns mit ganz viel Unsicherheit bewegen."

    Rainer Bucher stellt diese Diagnose nicht von ungefähr. Der katholische Pastoraltheologe bezieht diese Zeitansage zur gesellschaftlichen Gegenwart und Zukunft auch auf seine eigene, die katholische Kirche.

    "Eine prekäre Situation für die Kirche ist die gesamtgesellschaftliche Situation. Es ist ja kaum mehr etwas, was nicht infrage gestellt worden ist. Wenn man … die gesellschaftlichen Zukunftsprozesse anschaut, dann hat es durchaus nicht nur die Kirche damit getroffen, dass sie nicht mehr einfach in der Verlängerung ihrer Traditionen eine Zukunft finden kann."

    Dogmatische Lehre und moralische Verhaltensnormen der Kirche würden von immer weniger Menschen einfach hingenommen, auch von den Gläubigen nicht. Der weiter rückläufige Gottesdienstbesuch ist für den Theologen ein untrügliches Signal: Das Sonntagsgebot, das Katholiken zum Messbesuch verpflichtet, spielt kaum mehr eine Rolle und nur wenige Katholiken gehen noch regelmäßig zur Beichte. Sie lassen sich so nicht mehr disziplinieren. Die Kluft sei noch tiefer geworden durch den Vertrauensverlust, den die Bischöfe wegen des Missbrauchsskandals innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland erleben mussten und müssen.

    "Die Kirche kann nicht mehr auf die Mechanismen zurückgreifen, auf die sie gerade als katholische Kirche über Jahrhunderte zurückgegriffen hat. Das sind Mechanismen des selbstverständlichen Zugriffs auf die Herzen und Hirne ihrer Mitglieder. Kirche vergesellschaftlicht sich heute nicht mehr normativ, nach Vorgaben, die von oben kommen, sondern auch bei vielen Kirchenmitgliedern situativ nach den persönlichen Bedürfnissen und Lebenslagen."

    Religionssoziologisch und pastoraltheologisch sei die Kirche genötigt, sich von ihrer früheren Machtposition in der Gesellschaft wie gegenüber den eigenen Gläubigen zu verabschieden; Bucher sieht die Kirche nach innen wie nach außen in einer Marktsituation: Die kirchliche Botschaft sei ein Angebot und müsse durch Überzeugungskraft vermittelt werden:

    "Das bringt Kirche unter den Zustimmungsvorbehalt der eigenen Mitglieder. Der wird immer nur auf Vorbehalt gegeben, der kann jederzeit revidiert werden. Und das bringt Kirche umgekehrt in eine prekäre, also von den eigenen Nutzern abhängige Situation."

    Verschließt die Kirchenhierarchie vor diesem Prozess die Augen? Zumindest einige Bischöfe, meint Bucher, erkennen, dass künftig nichts so bleibt und bleiben kann, wie es einmal war.

    "Ich glaube, die spüren das Prekäre, als das Gefährdete, immer nur unter bestimmtem Vorbehalt Bewilligte – das ist die Bedeutung des Begriffs prekär, etwas ist gefährdet, ist nur unter Vorbehalt. Die Frage ist, wie man drauf reagiert. Reagiert man darauf mit Schließungsmechanismen, mit Ressentiments, mit Rückgriff auf früher einmal funktionierende Mechanismen, oder reagiert man darauf mit dem, was ich das Programm des Zweiten Vaticanums erachte, das Programm einer spirituellen und geistlichen Zuwendung zu dieser Welt als Ort, wo sich Kirche findet. Ich sehe diesen Kampf oder diese Auseinandersetzung für unentschieden."

    Kaum zukunftweisend sind für Bucher jene Strukturreformen, die in den letzten Jahren aufgrund des Mangels an geistlichem Personal durchgeführt wurden. sie fanden weitestgehend ohne Beteiligung der Laien statt, manchmal wurden sie auch explizit gegen deren Votum bürokratisch und klerikalistisch durchgezogen. Dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils entspreche es eher, das eigenständige Engagement der Laien wertzuschätzen und auch Frauen weniger zu diskriminieren.

    "Ich glaube tatsächlich, dass unsere katholische Kirche das Programm des Zweiten Vaticanums in vielen Bereichen nur halbherzig durchführt, vor allem in den innerkirchlichen Beziehungen und Realitäten."

    Die Leitidee des Konzils, dessen Eröffnung genau fünfzig Jahre zurückliegt war es, den Glauben in die Gegenwart hinein zu wagen. Genau darum, so Bucher, müsse es auch heute gehen. Das aber heißt angesichts einer prekären Zukunft: Tradition als Prozess verstehen, nicht als statische Wiederholung des immer Gleichen. Es meint den Abschied von der geistlichen Macht, hin zu einer dienenden Autorität, die dem Evangelium gemäß ist, vom dogmatischen Zeigefinger zu einer Haltung barmherziger Solidarität mit den Menschen, ihren wirklichen Fragen und Bedürfnissen.