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Kirche in der Krise
"Der Zölibat hat seine Plausibilität verloren"

Die Zahl der Priester gehe in Deutschland so dramatisch zurück, dass "wir auf eine katastrophale Situation zusteuern", sagte Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Ihm sei unverständlich, dass aber "jedes Mal eine Diskussion über die grundsätzlichen Zulassungsbedingungen zum Amt weggewischt wird".

Thomas Sternberg im Gespräch mit Christiane Florin |
    Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, spricht am 24.05.2016 in der Kongresshalle in Leipzig (Sachsen).
    Thomas Sternberg vertritt die katholischen Laien Deutschlands. (picture alliance / dpa / Sebastian Willnow)
    Christiane Florin: Von Düsseldorf aus zugeschaltet ist uns nun Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der Katholiken und damit der Vertreter der im Beitrag auch gescholtenen Laien. Thomas Frings schlägt vor: Gottesdienst erst dann, wenn die Kirche voll ist. Was halten Sie davon?
    Thomas Sternberg: Das halte ich nun wirklich für völligen Unsinn. Da muss ich schon die Frage stellen: Wer ist eigentlich das 'wir', das da spricht? Wer ist da 'wir'? Ist das die Kirchenleitung, die den Laien sagt, was Sache ist? Oder ist Kirche nicht viel stärker das, von dem Papst Franziskus in "Evangelii gaudium" sagt, die Laien sind schlicht die überwältigende Mehrheit des Gottesvolkes und in ihrem Dienst steht eine geweihte Minderheit, die geweihten Amtsträger. Und dieser Dienst, das ist doch das, was eigentlich der Ausgangspunkt für alles sein muss, was priesterliche Tätigkeit ist. Da geht es ja eben nicht um einen Service, wo man sagt, so viele Plätze in der Kirche und dann gibt es Gottesdienst. Eine Messfeier - das sagt übrigens auch Frings - mit einer kleinen Gruppe am Werktag gefeiert, kann sehr viel spiritueller und aufregender sein als ein Gottesdienstangebot, bei dem die Platzzahl genau erreicht ist.
    "Dienste sind auch ein Grundcharakter der Kirche"
    Florin: Erwarten die Gläubigen nicht von der Kirche Service? Also schöne Feste, eine schöne Kulisse, eine gute Predigt, aber keine Verpflichtung?
    Sternberg: Natürlich gibt es das. Und das sind auch Dinge, die selbstverständlich jemanden ärgern können. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass da ausgesprochene Zumutungen auftauchen. Wir haben auch eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, dass es eben solche volkskirchlichen Elemente noch gibt. Menschen, die wirklich nur einen bestimmten Service erwarten, obwohl eben Dienste auch der Grundcharakter der Kirche ist, aber nicht sich vorstellen können, auch selber diesen Dienst zu leisten. Damit muss man auch sicherlich jedes Mal mit klaren Positionen, aber auch verständnisvoll umgehen. Das sind zumindest Menschen, die sich an diese Kirche wenden und dann muss man fragen, wie gehen wir damit um, ohne dass man dabei Prinzipien verletzt und vergisst. Man sollte sich hüten, davon auszugehen, dass die Kirche nur dann Kirche ist, wenn die Gemeinschaft auch voll und ganz in allen Positionen theologisch gebildet, liturgisch gebildet auf der Höchstform der Religiosität steht.
    Florin: Wenn die Erstkommunion 'modisches Schaulaufen' ist, wenn bei Hochzeiten weder Brautpaar noch Festgemeinde am Gebet mitsprechen können - ist das kein Problem?
    Sternberg: Natürlich ist das ein Problem. Ein Problem ist zum Beispiel das ganze Wegbrechen von religiösem Wissen. Das ist natürlich wirklich eine Katastrophe, wenn man das erleben muss in Gottesdiensten. Aber da sind Menschen, die wenden sich doch an die Kirche und sie wollen etwas von diesem Glauben. Was gibt uns das Recht zu sagen, dass nicht auch die Feier der Erstkommunion auch als bürgerliche Feier, auch als bestimmte Lebensereignisfeier, zuhause mit Kleidern und mit Fest und mit entsprechendem Essen und Aufwand gefeiert nicht etwas ist, was seinen Wert hat? Wer sagt uns, dass diese liturgischen Dinge so entscheidend - natürlich sind sie entscheidend -, so wichtig sind, dass alles andere dahinter grundsätzlich zurücktreten muss? Ich habe den Eindruck, da ist teilweise fast eine Konkurrenzangst da, es könnte zu viel bürgerliches Fest in einem kirchlichen Fest passieren. Meine Vorstellung ist, das geht ineinander, das geht zusammen. Wenn Menschen das auch als Familienfest feiern möchten, auch als bürgerliches Familienfest, warum denn nicht. Wer gibt uns das Recht, dann wie ein Zöllner der Zollstation aufzutreten, wie das Papst Franziskus ausdrückt und wie in einer Zollstation zu sagen, du ja und du nein.
    "Wir steuern auf eine Katastrophe zu"
    Florin: Es gärt in der Priesterschaft. Es gab vor einigen Wochen einen offenen Brief von Kölner Priestern, eher im höheren Alter. Und jetzt erscheint dieses neue Buch. Die einen mahnen Reformen an, Thomas Frings kritisiert das Servicedenken und sagt, wir müssen eigentlich wählerischer sein und nicht niedrigschwelligere Angebote machen. Von Bischöfen hört man wenig bis nichts dazu. Sitzen die das Problem aus?
    Sternberg: Das wissen wir doch eigentlich schon seit fast 30 Jahren, dass die Zahl der Priester in einer so dramatischen Weise zurückgeht, dass wir zu solch einer katastrophalen pastoralen Situation kommen, dass es einfach auf Dauer nicht zu halten ist. Wenn im letzten Jahr nur 58 neue Priester für ganz Deutschland geweiht worden sind, dann zeigt das, dass wir auf eine Katastrophe zusteuern, was die priesterliche Begleitung der Gemeinden angeht. Ob ich das nun als Territorialgemeinde auffasse oder wie, sei dahingestellt. Ich kann natürlich aus diesen gigantischen XXL-Pfarreien eine noch viel größere Pfarrer machen und dann der Illusion anhängen, es gäbe hier eine Gemeindeleitung durch einen Priester. Nein, diese ganzen Modelle brechen zusammen und ich bin ziemlich sicher, wir werden künftig zu ganz anderen Gemeindestrukturen kommen müssen und es wird nur das geschehen in den Gemeinden, was dort letztverantwortliche und selbstbewusste Laien selber tun und selber machen. Und sie werden das sehr viel stärker selber tun müssen. Denn sie werden sich auf die Priester nicht verlassen können und auch das Modell von Seelsorgeteams, die dann Pastoral als eine Versorgungsgröße betrachten, bei der die Gemeinden von oben zu versorgen sind, wird keine Zukunft haben und wird nicht funktionieren.
    Alternative Form des Pastorats
    Florin: Lassen die Bischöfe die Priester allein mit ihren Problemen?
    Sternberg: Das will ich so nicht sagen. Ich will auch keine Bischofsschelte hier machen, das bringt uns auch nicht weiter.
    Florin: Aber warum? Es gibt doch konkrete Vorschläge, das sind zum Teil Punkte, die eben doch nur auf bischöflicher Ebene entschieden werden können.
    Sternberg: Das ist richtig. Aber ich meine, das ist ja auch so, dass das auch in den Bistümern sehr unterschiedlich läuft und sehr viele wissen natürlich auch, was da ist. Was ich überhaupt nicht verstehen kann ist, warum jedes Mal eine Diskussion über grundsätzliche Zulassungsbedingungen, zum Amt etwa, so weggewischt werden, dass man sagt, das darf nur in Rom diskutiert werden. Ja, wieso denn das? Ich habe doch selbstverständlich eine Meinung zu Themen, die ich selbst nicht entscheiden kann. Ich habe ja auch eine Meinung zur amerikanischen Außenpolitik, obwohl ich die sicherlich nicht selber beeinflussen kann. Das ist mir eine ganz, ganz fremde Vorstellung. Und ich weiß nicht, warum die Bischöfe nicht eine Thematik aufgreifen, die sich so massiv verändert hat, auch in der katholischen Bevölkerung. Die Frage, warum nicht auch erwachsene Männer, verheiratete Männer Priester werden können, die wird einfach nicht mehr verstanden. Noch vor dreißig Jahren wurde über den Zölibat mit großer Energie diskutiert, heute hat er seine Plausibilität verloren.
    Florin: Was können die Laien dazu beitragen, um die "Katastrophe", von der Sie vorhin gesprochen haben, zu verhindern?
    Sternberg: Ja. Ich denke, wir werden eben auf der einen Seite Diskussionen einfordern, werden auch Forderungen stellen müssen, auch darauf hinweisen müssen, wo wir Lösungsmöglichkeiten sehen in einer wirklichen Zusammenarbeit mit Bischöfen, Priestern, Ordensleuten in diesem Sinne gemeinsam Kirche zu sein. Aber es wird auch darauf ankommen, dass eben die Laien selbstbewusst und eigenständig ihre Dinge in die Hand nehmen. Denn, wie gesagt, es wird eine Frage werden, wie wir zu einer ganz anderen Form von Pastoral kommen können, die das nicht als Versorgung begreift und auch nicht mit irgend einem fernen Priester, der dann gelegentlich eingeflogen kommt, sondern wie wir es erreichen können, dass wir in den Gemeinden Persönlichkeiten haben, die in spirituellen und liturgischen und theologischen Fragen Ansprechpartner sein können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.