Barocke Gemälde und viel gleißendes Blattgold dominieren den Innenraum der Paderborner Marktkirche. Der Theologe Josef Meyer zu Schlochtern gibt Studenten eine Einführung in die Kunst, die jetzt - temporär - außerdem noch im Kirchenschiff zu sehen ist: Eher am Rand aufgestellt sind ein knappes Dutzend Skulpturen und Objekte von Thomas Rentmeister; im schroffen Kontrast zu der üppigen Barockkunst, die die Kirche ansonsten schmückt und biblische Geschichte illustriert: Da schmiegt sich ein flaches, längliches Objekt in eine Nische und erinnert – von einer Kirchenbank aus betrachtet – an eine Matratze.
Da presst sich ein stählernes, überdimensioniertes Etagenbett mit weißen Laken unter eine Empore wie ein Fremdkörper - und "kontaminiert" den sakralen Raum? Verseucht die so genannte 'moderne Kunst' das so genannte "Gotteshaus"? Auf den Begriff "kontaminiert" als Titel der Ausstellung haben sich der Künstler Thomas Rentmeister und der Theologe - sowie Kurator in diesem Fall – Josef Meyer zu Schlochtern geeinigt.
"Dass etwas, das eigentlich rein und sauber sein soll, von Giftstoffen durchsetzt oder verderbt ist – Stichwort radioaktive Belastung; Stichwort verdorbene Nahrungsmittel; das ist sehr schnell möglich, das auf viele Ebenen zu beziehen, dieses Wort 'kontaminiert'", erläutert Josef Meyer zu Schlochtern aus der Perspektive der Theologie und der Kirche.
"Die Beziehung von Mensch und Gott ist nicht ganz rein"
"Das kann zum einen bedeuten, dass Nahrungsmittel – 3000 Liter H-Milch – verdorben sind. Aber es kann auch zu der Frage führen, was sonst im Leben nicht ganz so ist, wie es sein sollte. Im religiösen Kontext würden die Gläubigen sagen: die Beziehung von Mensch und Gott ist nicht ganz rein, nicht sauber, ist kontaminiert."
Die rötlich schimmernde, vermeintliche Matratze in der Nische entpuppt sich auf den zweiten Blick tatsächlich als Stapel aus 3000 Litern H-Milch: akkurat nebeneinander drapierte Tetra-Packs, 3 Tonnen Milchvorrat. Thomas Rentmeister bezeichnet sich selbst als Bastler. Omnipräsentes Alltagsmaterial zu Stapelware zu verbauen, das ist ein Strang seines Schaffens seit den 1980ern. So hat er mit Nutella und Penatencreme, tonnenweise, gemalt und gekleckert. Und Tausende Packungen Tempo-Taschentücher zu einem Kubus gruppiert - und in einer Kirche postiert; an prominenter Stelle, fast schon als Altar-Ersatz. Dies allerdings in einer umgewidmeten Kunstkirche. Thomas Rentmeister ist kein Kirchen-Künstler. Für "kontaminiert" indes, doch:
"Wann kann man eine Kirche als Ausstellungsraum nutzen?"
"Ja, das macht aber Spaß. Wann hat man schon mal die Möglichkeit, einen historischen Raum von solchen Ausmaßen als Ausstellungsraum zu benutzen. Also ich habe bisher drei Ausstellungen in Kirchen gemacht. Also in Münster, in Köln und jetzt hier in Paderborn. Die Kreuzform, also diese unregelmäßig herausstehenden Stahlprofile, das war auch wirklich eine Anspielung auf: Kreuz, auf solche, ja, Tabernakel."
Thomas Rentmeister spricht jetzt über dieses vermeintliche Etagenbett. Die Enden der rostigen Vierkant-Stahlträger ragen hier und da heraus und bilden Kreuze. Oder zumindest sieht man darin – im Kontext eines Kirchenraums – Kreuze und stilisierte, christliche Zeichensprache.
Die Kunst und ihr Ort
Der Künstler arbeitet fast immer ortsspezifisch, mit und für Räume. Die Kunst und ihr Ort, das ist im Fall Kunst und Kirche besonders interessant. Was ist das für ein Verhältnis, wenn aktuelle Kunst und Kirche zusammenkommen? Der Theologe Josef Meyer zu Schlochtern:
"Ich lade Künstler ein, ihre Arbeiten in einer Kirche zu zeigen, damit dieser Kontrast zu leben beginnt: wo autonome Kunst, selbständige Kunst auf Kirche trifft und da Spannung erzeugt. Kritiker gibt es, ja, die alte Formen behalten wollen, ohne dass zeitgenössische Schöpfungen da den innerkirchlichen Betrieb stören. Aber ich bin der Meinung, dass zeitgenössische Schöpfungen die Kirche herausfordern. Diese Spannungen können sowohl Künstler auf mögliche ungesehene Aspekte ihrer eigenen Werke aufmerksam machen. Und umgekehrt können Kirchenbesucher sehen, dass – aus Perspektive der Kirche – solche autonomen Werke inhaltliche Potenzen haben, Anknüpfungspunkte zu den Kirchenräumen."
Welche Kunst passt in eine Kirche?
Seit Jahren lädt Josef Meyer zu Schlochtern, Professor unter anderem für Fundamentaltheologie an der Theologischen Fakultät Paderborn, Künstler in sakrale Räume ein. Skulpturen, Performance. Lichtinstallationen – als Dialog und auch mal Herausforderung für Kunst und Kirche, wechselseitig. Seine Arbeit hat er unlängst als Buch dokumentiert: "Interventionen", eine ästhetische und theologische Untersuchung. Ein Ergebnis: Es bleibt auch im 21. Jahrhundert umstritten, welche Kunst in eine Kirche passt. Die Kunst darf und soll stören – kontaminieren – aber auch nicht den Raum schrill für sich einfordern.
Viele Kirchen in Deutschland stellen sich inzwischen programmatisch liberal auf. Lichtinstallationen, Techno-Ambient-Musik oder, das gab es am 2. April in einer Kirche im Ruhrgebiet: Der Organist improvisiert über ein Thema von Helene Fischer. Die Besucher zücken ihre Smartphones und senden dies alles – als Kunsttouristen - hinaus in die Welt. Droht da nicht eine Eventisierung von Kirchenräumen?
Josef Meyer zu Schlochtern: "Die Gefahr besteht, dass Kirchen – wie hat jemand gesagt – in Galerien des Herrn verwandelt werden und eben zeitgenössische Kunst präsentieren. Aber es ist schnell zu bemerken, ob es ernst gemeint ist oder ob es Dekoration, Anpassung an neuere Entwicklung ist."
"Die Kirche war lange wichtigster Auftraggeber für Künstler"
Grundsätzlich müsse sich die Kirche für neue Kunst öffnen, sie sei "nicht von der Welt, sondern in der Welt", argumentiert der Theologe. Was sagt Thomas Rentmeister, der Künstler? Ist es nicht aktuell eher unpopulär, sich in einem kirchlichen Rahmen dienstbar zu machen?
"Die Kirche war ja immerhin Jahrhunderte lang größter Auftraggeber für die Künstler. Insofern ist es so, dass die Verbindung immer da war. Die wurde dann aufgelöst, in der Aufklärung. Und ist jetzt neu zustande gekommen. Das ist von mir her erstmal von der Form, von der Ästhetik und vom Material her gedacht."
Drei Tonnen H-Milch Packungen, eine runde Wulst an der Wand, als sei die Bausubstanz der Kirche kontaminiert oder als würde Frittenfett aus der anliegenden Fußgängerzone hier eindringen. Eine echte Matratze, rostbraun eingefärbt oder ein abstraktes, an einen Hackstock oder an ein Weihwasserbecken erinnerndes Gebilde. Thomas Rentmeisters Objekte begegnen einem nur hier und da in der Marktkirche. Sie sind – auch - da, behutsam postiert. Der Raum färbt die Kunst, lenkt die Wahrnehmung. Das ist, was am Ende die Qualität dieses Dialogs zwischen Kunst und Kirche ausmacht.
"Wer über Kunst nachdenkt, findet fast immer einen Sinn"
Thomas Rentmeisters akribisch ausgearbeitete Werke haben per se den Charakter von Meditationsobjekten. Man müsse sie allmählich entschlüsseln, sagt der Künstler. Oder zumindest offenbaren sie, je länger man sie betrachtet, immer neue Facetten. Vielleicht ist so ein Kirchenraum, den man etwas vorsichtiger, bewusster betritt, sogar der ideale Ort für - seine - Kunst?
Thomas Rentmeister: "Also viele Leute verstehen Kunst nicht, weil sie sie sich auch gar nicht richtig angeguckt haben. Wenn man sich einfach mal vor ein Kunstwerk hinsetzt und betrachtet es einfach eine halbe Stunde lang und denkt darüber nach, was einem alles dabei in den Sinn kommt, dann kommt man fast immer zu irgendeinem Ergebnis, wo man nicht darauf kommt, wenn man nur kurz vorbeigeht und sagt: Was soll das?"