Monika Dittrich: Angst vor dem Islam und Sorge um das christliche Abendland: Das sind zwei Argumente, die mit Religion zu tun haben und die im rechten Milieu immer wieder zu hören sind - bei der AfD, bei Pegida, bei der Neuen Rechten. Weshalb man sich fragen muss: Ist die Religion ein Einfallstor für rechte Populisten? Und welche Verantwortung haben die christlichen Kirchen, damit umzugehen? Um genau diese Fragen geht es bei einer Tagung, die heute in Darmstadt beginnt. "Die Kirchen und der Populismus" heißt das Thema, und das könnte aktueller nicht sein - zwei Wochen nach den fremdenfeindlichen und gewalttätigen Krawallen in Chemnitz, über deren Interpretation noch immer gestritten wird.
Gert Pickel, Professor für Religions- und Kirchensoziologie an der Universität Leipzig, wird heute bei der Tagung in Darmstadt neue Forschungsergebnisse vorstellen zum Thema: Welche Politik Kirchenmitglieder von ihren Kirchen erwarten. Eine spannende Frage, die Gert Pickel kurz vor seiner Abreise nach Darmstadt bei uns schon mal beantwortet hat. Herr Pickel, Sie halten einen Vortrag zur Frage, welche Politik Kirchenmitglieder von ihren Kirchen erwarten. Geben Sie uns mal einen kurzen Einblick: Was haben Sie herausgefunden?
Gert Pickel: Im Prinzip ist es so, dass, wenn man nachfragt, die Kirchenmitglieder eigentlich gar nicht so viel Politik von ihren Kirchen wollen. Die wollen eigentlich eher andere Sachen, die aber auch politisch sind. Zum Beispiel, sich um Arme, Kranke, Behinderte kümmern und natürlich auch für Werte zuständig sein. Sie sehen das nicht ganz so politisch, diese Dinge sind aber politisch und sind damit auch politisch positioniert.
Unterschiede zwischen Ost und West
Dittrich: Wenn wir nun über das Thema der Tagung sprechen, "Die Kirchen und der Populismus", wie sieht das dann aus bei den Kirchenmitgliedern: Macht Kirchenzugehörigkeit oder die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche immun gegen Populismus?
Pickel: Nein, es ist nicht so, dass die Kirchenmitgliedschaft für sich einen immunisiert gegenüber rechtspopulistischen Parolen oder eine Offenheit gegenüber solchen Vorgaben oder Überlegungen verhindert. Es ist umgekehrt allerdings auch nicht so, wie vor nicht allzu langer Zeit das amerikanische PEW-Institut sagte, dass es das befördert. Man könnte sagen: Es teilt sich auf in zwei Gruppen, die sich gleich stark gegenüberstehen: die einen, die sehr konservative Werte besitzen, denen das, was rechts ist, sehr nahe kommt in den eigenen Vorstellungen, gerade was die Haltung gegenüber Frauen und natürlich gegenüber Migranten angeht. Dann gibt es auf der Gegenseite eine sehr starke Gruppe gerade im aktiven Teil der Kirchenmitglieder, die solche Vorstellungen ganz vehement ablehnt. Man könnte fast sagen, in den Kirchen ist die Polarisierung, die wir in der Gesellschaft beobachten können, noch etwas stärker ausgeprägt, weil sich gerade die aktiven Gruppen hier positionieren.
Dittrich: Gibt es Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland?
Pickel: Gar nicht so große. Es gibt dahingehend Unterschiede, dass wir in Ostdeutschland einige kritische Bürger mehr finden, das ist, was wir auch allgemein beobachten können. Und vielleicht eine gewisse Radikalisierung an der einen oder anderen Stelle, die sicherlich aus dem Gefühl einer gewissen Nicht-Anerkennung seitens des Westens geprägt ist, was schon über Jahrzehnte geht. Und vielleicht einer Verbreitung von rechtsextremen Gedankenguts in ganz spezifischen Gebieten, wobei das in die Kirchen nicht ganz so stark hineinschlägt. Man muss hier ja zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus ein wenig unterscheiden.
"Die AfD vertritt eine Position, die für Kirchen nicht tragbar ist"
Dittrich: Mit diesen empirische Erkenntnissen im Hinterkopf: Was würden Sie denn den Kirchenleitungen empfehlen – wie sollen sie mit Populisten konkret umgehen?
Pickel: Es ist nicht so einfach. Einerseits darf man sich dem Dialog da und dort nicht verweigern, man muss aber auch seine klaren Grenzen ziehen. Es ist durchaus angebracht, wie beim Leipziger Katholikentag, zu sagen: Nein, wir laden euch nicht ein, weil ihr mit euren Parolen bei Weitem nicht das vertretet, was wir vertreten. Was man aber auch sagen kann: Den Kirchen kommt in gewisser Hinsicht eine starke Vermittlungsrolle zu. Denn einer der zentralsten Punkte, den Populisten aufbieten, neben der Differenz zwischen Volk und Eliten, ist das Thema Migration, also die Ausländer, die Migranten, die Fremden, die Muslime. In dieser Hinsicht ist der Bildungsauftrag, der Vermittlungsauftrag, der Diskussionsauftrag an die Kirchen sehr stark. An dieser Stelle muss man überlegen, wie man damit umgeht, wie man bestimmte Positionen sichtbar macht und wie man Wissen über den anderen, was ja meistens Muslime sind, weitergibt.
Dittrich: Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, hat davor gewarnt, die AfD zu wählen, weil er Parallelen zum Nationalsozialismus sieht. Ist es klug, wenn Kirchenvertreter politische Positionen beziehen und davor warnen, eine Partei zu wählen?
Pickel: Ich glaube, jeder Vertreter einer Kirche ist auch eine Person, die eine eigenständige politische Meinung hat. Das ist seine Sicht der Dinge, die aber auch dadurch getragen ist, dass er sagt: Bestimmte Werte, die wir als Kirche vertreten, sind durch die AfD nicht abgedeckt. Die AfD äußert sich ja dahingehend, dass sie zwar das christliche Abendland irgendwie vertritt, aber andererseits muss man klar sagen: Sie haben sehr deutlich kirchenfeindliche Aussagen vertreten und vertreten mit ihrer Ausgrenzungspolitik gegenüber Fremden eine Position, die für Kirchen nicht tragbar ist. Insofern halte ich es für legitim, vielleicht auch für notwendig, dass man die Position, die man hat, sichtbar macht.
"Der fehlende Kontakt zu Muslimen befördert die Distanz"
Dittrich: Herr Pickel, Sie sind Professor an der Universität Leipzig in Sachsen und zu Ihren Forschungsgebieten gehören seit vielen Jahren auch Extremismus, Demokratieentwicklung, Politikverdrossenheit. Nun wollen wir mit Ihnen natürlich auch über die Ausschreitungen in Chemnitz sprechen. Derzeit wird viel über die Frage gestritten, ob die Menschen in Sachsen rassistischer oder fremdenfeindlicher sind als anderswo in Deutschland. Was ist Ihr Eindruck?
Pickel: Es ist sicherlich nicht so, dass die Sachsen per se rassistischer sind als anderswo in Deutschland. Was wir sehen ist, dass sich in Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt Gebiete entwickelt haben, in denen auf der einen Seite sich kleine, aktive Milieus von Rechtsextremismus gebildet haben, dass sich zweitens anhand des Migrationsthemas und des Anti-Islam-Themas eine Bettung sich ergeben hat von Personen, die für populistische Parolen offen sind, die sich gegen Migration und gegen Islam richten. Das ist ganz besonders verwunderlich im ersten Moment, wenn man sieht, dass es in Ostdeutschland kaum Muslime gibt. Aber gerade diese fehlenden Kontakte scheinen eine Distanz befördern.
Das ist kein Spezifikum in Sachsen. Aber was wir in Sachsen sehen ist, dass es sich zugespitzt hat. Das hängt mit der jüngeren Vergangenheit zusammen, dass man eine sehr aktive Bevölkerung hat auf der einen Seite. Auf der anderen Seite hat sich so eine Art Tourismus ergeben. Wenn, wie jetzt in Chemnitz, rechte Gruppen aufrufen, was über das Internet sehr schnell geht, dann kommen aus vielen umliegenden Gebieten weitere Rechtsextremisten und sorgen dafür, dass eine Veranstaltung stärker aussieht als die Gesamtgruppe der wirklichen Extremisten ist. Ein Problem ist, dass Extremisten sich jetzt mit einem Rückenwind versehen fühlen dadurch, dass sehr viele Personen gerade in Abgrenzung gegenüber Migration und Islam populistischen Aussagen folgen und zustimmen.
Dittrich: Das heißt, die Grenze zwischen rechtsextrem und rechts verschwimmt ins bürgerliche Milieu hinein?
Pickel: Das ist eben eine der großen Gefahren, dass an gemeinsamen Gegnern sag ich mal, wie es jetzt gerade über die Geflüchteten und Muslime aufgebaut wird, solche Grenzen ins Wanken kommen könnten, die bisher eigentlich relativ klar waren, wo jemand sagt, eigentlich mit so einem Menschen hätte ich mich früher nicht an einen Tisch gesetzt, aber hier vertritt er etwas, was ich auch unterstütze. Und genau da liegt das Risiko. Diese Grenze, und da muss die Politik dran arbeiten, diese muss sie wieder einziehen, damit deutlich wird, wo letztendlich die Gegner des demokratischen Rechtsstaats sind. Und auf der anderen Seite, wo diejenigen sind, die vielleicht auch berechtige Ängste und auch berechtigte Anforderungen haben, diese allerdings auch mit Gruppen in einen Dialog zu bringen, die durchaus ja auch mehrheitlich sind, die wiederum andere Positionen haben, die eben deutlich progressiv und liberal aufgestellt sind.
Das christliche Abendland als Synonym für Ausgrenzung
Dittrich: Und das gemeinsame Feindbild in diesem Milieu ist der Islam. Woher kommt diese Angst und was ist das für eine Angst vor dem Islam?
Pickel: Also der Islam eignet sich besonders gut oder die Muslime, die auch zum Islam gehören, die dann gleich mitgetroffen werden, als ein kollektiver Feind, als ein kollektiver Gegner. Wir wissen aus der Sozialpsychologie, dass es immer günstig ist, wenn man sich selbst unter Druck fühlt, dass man einen Feind findet, auf den man das sozusagen projizieren kann. Und dieser muss aber durch eine Gruppe klar abgrenzbar sein, und Muslime sind das aus Sicht vieler. Und sie sind auch deswegen gut geeignet, weil man sie sehr, sehr gut natürlich in Verbindung bringen kann mit islamistischem Terrorismus. Und zudem kann man sie natürlich jetzt auch mit Bildern von Geflüchteten in Verbindung bringen, also aus Sicht der meisten Befragten würde man immer sagen, also Geflüchtete sind ja per se Muslime. Damit hat man auch eine – man könnte auch sagen – Ethnisierung der Abgrenzung, man hat eine klare Gruppe. Und eine der größten Ängste viele derer, die sich jetzt so massiv zeigen, ist die Angst vor kultureller Überfremdung.
Dittrich: In diesem rechten Milieu wird ja nun auch zur Rettung des christlichen Abendlandes aufgerufen. Sie haben das eben schon mal angesprochen, dass Ostdeutschland ja eigentlich eher eine religionslose Gegend ist, also zumindest die Mehrheit der Menschen gehören keiner Kirche oder keiner Religionsgemeinschaft an. Passt das zusammen, oder würden Sie als Religionssoziologe sagen, doch, das passt?
Pickel: Also es ist in der Tat so, dass in bemerkenswerter Weise die stärksten sichtbaren Proteste erst in Ostdeutschland waren, wo man recht sicher davon ausgehen kann, dass die Masse der Personen, die bei entsprechenden Demonstrationen wie von Pegida oder auch Legida mitgelaufen sind, eben Nicht-Christen sind, möglicherweise sogar schon in der zweiten Generation Nicht-Christen, und auch sonst kaum eine religiöse Bindung haben. Das christliche Abendland ist quasi das Synonym, das man benötigt, um die Muslime, als jene, die nicht dazugehören, auszugrenzen.
Und da freut man sich natürlich auch, wenn in der gängigen Politik immer wieder mal Streit aufkommt und Aussagen wie 'der Islam gehört nicht zu Deutschland' aufkommen, weil man an denen auch festmacht, dass man quasi auch in einer Mehrheitsposition ist - die gehören eigentlich nicht hierher, weil sie Muslime sind. Und da ist man sich zwischen eben einigen Christen und auch einigen Nicht-Christen durchaus einig. Aber das Religiöse spielt dann eben nicht eine Rolle auf der Seite derer, die die Position haben – das war, was ich ja ausgeführt habe, dass die Differenzen in den Haltungen nicht besonders stark sind zwischen Nicht-Christen und Christen. Es ist eher so, dass die Religion auf der Seite der Markierung der anderen Gruppe eine große Bedeutung spielt, weil darüber kann man diese Gruppe eben sehr, sehr gut zuordnen, zudem eben auch versehen mit diesen Labeln von Gefährlichkeit, von Fremdheit, kultureller Distanz.
Dittrich: Sagt Gert Pickel, Professor für Religions- und Kirchensoziologie an der Universität Leipzig.
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