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Kirchenasyl
"Das ist kein Sonderrecht"

Volker Jung, der Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, hat das Kirchenasyl gegen die Kritik von Bundesinnenminister Thomas de Maizière verteidigt. "Wir stehen auf dem Boden des geltenden Rechts", sagte Jung im DLF. De Maizière hatte von einem Missbrauch gesprochen.

Volker Jung im Gespräch mit Dirk Müller |
    Volker Jung, Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN).
    Volker Jung, Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). (imago / epd)
    Das Kirchenasyl sei "kein Recht neben dem Recht", sagte Volker Jung im Deutschlandfunk. Der Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau erklärte, es gehe darum, das geltende Recht im Zuge einer Güte-Abwägung noch einmal herauszufordern und "Grundrechte zu wahren" - vor allem in den Fällen, bei denen die Abschiebung "eine echte Verletzung der Menschenrechte" sei.
    Zudem würden die Kirchen in laufenden Verfahren keine Werbung für das Kirchenasyl machen, sondern den Menschen helfen, die selbst an die Kirchengemeinden wenden würden, sagte Jung, der auch Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration bei der Evangelischen Kirche in Deutschland ist. Dass sich die Zahl häufe, sei ein deutliches Zeichen dafür, dass "die Dublin-III-Regelung dringend überprüft werden muss", da sie verstärkt zu Härtefällen führe. Die Verordnung legt fest, welcher EU-Staat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Das Kirchenasyl wird immer mehr zum Zankapfel in der Großen Koalition, aber auch zwischen den Unions-Parteien und den Kirchen. Ausgangspunkt Thomas de Maizière. Im Deutschlandfunk-Interview am Wochenende hat er von Rechtsbruch gesprochen. Der CDU-Politiker lehnt als Verfassungsminister, wie er sagt, das Kirchenasyl prinzipiell und fundamental ab.
    O-Ton Thomas de Maizière: “Das geht eben nicht, dass eine Institution sagt, ich entscheide jetzt mal, mich über das Recht zu setzen. Ich will mal ein etwas anderes Beispiel nehmen: Die Scharia ist auch eine Art Gesetz für Muslime. Sie kann aber in keinem Fall über deutschen Gesetzen stehen.“
    Müller: So der Innenminister im Deutschlandfunk. - Empörung, Unverständnis bei den Kirchen einerseits, auch bei der Opposition, aber auch bei vielen Sozialdemokraten. Dabei geht es in Deutschland um derzeit 200 Kirchenasyle, also Kirchenorte mit 360 Personen. Das sind jedenfalls die Zahlen von der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl. - Unser Thema jetzt mit Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche Hessen und Nassau, zugleich Vorsitzender der EKD-Kammer für Migration. Guten Morgen!
    Volker Jung: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Warum braucht die Kirche Sonderrechte?
    Jung: Das sind keine Sonderrechte. Wir sind der festen Überzeugung, wir stehen mit dem Kirchenasyl ganz auf dem Boden des geltenden Rechts. Beim Kirchenasyl geht es darum, dass in einem Asylverfahren, wo eine Abschiebung ansteht, noch mal so eine Art Moratorium gewährt wird. Das Kirchenasyl ist kein verbrieftes Recht, aber es wird aus guten Gründen vom Rechtsstaat akzeptiert. Moratorium heißt, dass dann noch mal geprüft wird, sind wirklich alle Fragen in menschenrechtlicher Hinsicht bedacht, ist das nicht ein Einzelfall, wo die Abschiebung eine wirkliche Verletzung von Menschenrechten wäre und Menschen erneut in Gefahr bringt.
    "Appell, noch mal zu prüfen, ob alles bedacht ist"
    Müller: Das heißt, Sie fordern die Autorität und die Rechtsprechung des Gerichts heraus?
    Jung: Wir bleiben im Rahmen der Verfahren. Das heißt, das Kirchenasyl ist der Appell an die jeweiligen Behörden, noch mal zu prüfen, ob wirklich alles bedacht ist und ob nicht ein bleiberecht gewährt werden soll.
    Müller: Also ist es kein Sonderrecht, wie Sie sagen? Sie sagen, kein Sonderrecht. Das heißt, wenn das bei anderen Verfahren, bei irgendwelchen Strafverfahren letztendlich in der Praxis umgesetzt werden würde, dass bestimmte Gruppierungen sich dazu berufen fühlen, dort zu intervenieren und zu sagen, Moment, ihr müsst das alles noch mal überprüfen, ist das für Sie nicht vergleichbar?
    Jung: Das ist in diesem Fall nicht vergleichbar. Um das noch mal deutlich zu sagen: Es geht wirklich nicht um ein Sonderrecht. Es geht nicht um ein Recht neben dem Recht, sondern es geht darum, das geltende Recht im Sinne einer Güterabwägung noch mal herauszufordern und zu sagen, "Bitte prüft, ob der Rechtsanspruch, der mit dem Rechtsstaat ja verbunden ist, nämlich Grundrechte zu bewahren, auch wirklich gewährleistet ist".
    "Ein fundamentales Missverständnis des Instrumentes Kirchenasyl"
    Eine afghanische Familie wartet in Bayern auf ein Asylverfahren. 
    Eine afghanische Familie wartet in Bayern auf ein Asylverfahren. (picture alliance / dpa / Sven Hoppe)
    Müller: Dann hat Thomas de Maizière, der Bundesinnenminister, also zu wenig Ahnung vom Recht?
    Jung: Das möchte ich ihm jetzt an dieser Stelle nicht unterstellen, dass er hier zu wenig Ahnung hat. Ich meine, hier liegt ein fundamentales Missverständnis des Instrumentes Kirchenasyl vor. Noch mal: Der Rechtsstaat tut gut daran, eine solche Möglichkeit einzuräumen. Das sind ja jeweils Einzelfälle, um die es geht, in denen Menschen sehr sorgfältig aus der Wahrnehmung eines Einzelfalles heraus sagen, Moment, hier müssen wir noch mal intervenieren, hier gibt es unter Umständen Situationen, die bisher nicht ausreichend gewürdigt sind.
    Müller: Herr Jung, wir haben eben das Statement von Thomas de Maizière ja gehört. Im Vergleich mit der Scharia hat er gesagt, das gilt auch nicht in Deutschland, also kann diese spezielle Situation Kirchenasyl eben auch nicht in Deutschland als Sonderstatus wie auch immer gelten. Hat Sie das geärgert?
    Jung: Das hat mich schon geärgert, weil es wirklich nicht um ein Recht neben dem Recht geht. Es geht auch nicht um die Beanspruchung eines besonderen Kirchenrechtes, sondern es geht wirklich darum, dass das Kirchenasyl, noch mal, nicht als verbrieftes Recht, aber ein gutes Instrument im Rechtsstaat ist, Prüfung zu gewährleisten.
    Müller: …, weil es toleriert wird?
    "Wir reden über verschwindend geringe Zahlen"
    Jung: …, weil es toleriert wird. Und wir sind ja eigentlich sehr dankbar und es hat sich in vielen Fällen in den zurückliegenden Jahren auch immer bewährt, dass Behörden dieses Kirchenasyl respektiert haben. In vielen Fällen ist es nach dem Kirchenasyl wirklich zu einem dauerhaften Bleibestatus gekommen, weil man gesehen hat, hier sind wirklich nicht alle Dinge, die man berücksichtigen müsste, berücksichtigt worden.
    Müller: Jetzt wird ja im Moment darüber heftig diskutiert, weil unter anderem die Flüchtlingszahlen so rasant ansteigen. 200.000 ist die Zahl, die im Moment ja diskutiert wird. Und damit steigen in der Konsequenz, so die Interpretation auch von Thomas de Maizière, auch die Flüchtlingszahlen in Kirchenasyl entsprechend an. Wir haben eben die Zahlen gefunden: Es geht um 200 Orte, 200 Kirchenasyle, 360 Personen. Das sagt die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl. Das Innenministerium sagt, nein, im Bereich der Dunkelziffer ist es viel, viel mehr. Welche Erkenntnisse haben Sie?
    Jung: Na ja, viel, viel mehr würde ich nicht sagen. Es ist ja immer die Frage, Kirchenasyle wirklich als Orte und Personen. Da differieren manchmal die Angaben. Aber ich gehe schon davon aus, dass die Zahl der Bundesarbeitsgemeinschaft ungefähr das trifft. Ich kann für meine Kirche, die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau sagen, wir haben derzeit neun Kirchenasyle mit vielleicht etwa 20 Personen. Wir reden über verschwindend geringe Zahlen. Wir reden immer noch wirklich über Einzelfälle. Dass diese Zahl sich im Moment häuft, ist natürlich ein Indiz dafür, dass offensichtlich die Dublin-III-Regelung, die die Abschiebung in das Land vorsieht, in dem man zuerst in Europa europäischen Boden betreten hat, dass diese Dublin-III-Regelung dringend überprüft werden muss, denn da kommt es immer wieder zu Härtesituationen, die genau diese Kirchenasyle herausfordern.
    "Dublin-III-Regelung dringend überprüfen"
    Müller: Diese Regelung besagt ja, dass diejenigen, die durch ein Erstland einreisen, im Grunde dorthin auch zunächst mal wieder geschickt werden müssen für das Asylverfahren. Da hat man sich in einem langen, zähen Ringen innerhalb der Europäischen Union drauf geeinigt. Und jetzt sagt der Innenminister, das konterkariert das Ganze, was Sie machen.
    Jung: Ich kann Ihnen einen Fall berichten, dass ein Flüchtling aus dem Iran ein Visum der italienischen Botschaft bekommen hat und zuerst nach Deutschland kam, ihm jetzt aber die Abschiebung nach Italien drohte, weil dieses Visum über die italienische Botschaft gewährt wurde. Das ist deshalb problematisch, weil er mit seiner Familie hier ist und Italien für ihn nicht gewährleisten kann, dass diese Familie mit einem kleinen Sohn vernünftig untergebracht werden kann. Diese Familie wurde von einer unserer Kirchengemeinden in ein Kirchenasyl übernommen. Solche Situationen und ähnliche gibt es in diesem Zusammenhang. Ich glaube, dass man dringend überlegen muss, welche Regelung hier angemessen ist, natürlich um auch europäische Solidarität zu gewährleisten. Das heißt, dass es unter besonderen Umständen Ausgleichsmechanismen geben muss für Länder, die mehr aufnehmen als andere.
    Müller: Herr Jung, lassen Sie mich da noch einmal nachfragen, nachhaken. Sie haben dieses Beispiel genannt des Iraners samt seiner Familie. Gleiches Recht für alle gilt in der Regel, sollte gelten. Die Kirchen gehen so weit und selektieren aus und sagen, das ist besonders schlimm und deswegen hast Du unser Asyl verdient, der andere daneben, der aus dem Irak kommt, hat Pech gehabt?
    Jung: Erst mal ist es so, dass die Kirchen ja nicht von sich aus aktiv werden. Das sind ja Menschen, die sich bei Kirchengemeinden melden, die einfach sagen, wir brauchen Hilfe und Unterstützung, und darauf reagiert man. Das ist kein prinzipielles Handeln, sondern hier geht es darum, dass man dann auf einen solchen Einzelfall reagiert.
    "Wir machen ja keine Werbung für dieses Kirchenasyl"
    Müller: Sie haben kein Verständnis für die Kritik, wenn dort gesagt wird, das sind Privilegien, die da umgesetzt werden?
    Jung: Ich finde, es ist in diesem Sinn etwas, was natürlich von im Prinzip jedem beansprucht werden kann. Allerdings machen wir - und das ist auch der Sinn dieses Kirchenasyles - ja keine Werbung für dieses Kirchenasyl im Rahmen geregelter Verfahren, sondern wir setzen ja darauf, dass die Verfahren als solche dies gewährleisten, dass Einzelfallprüfungen erfolgen. Aber es gibt immer wieder Situationen, die aus dem Rahmen fallen, oder wo Menschen in besonderer Situation Hilfe suchen, und darauf reagieren Kirchengemeinden zunächst auch erst mal mit dem guten Empfinden, Menschen in ihrer besonderen Situation nicht allein zu lassen.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche Hessen und Nassau, zugleich Vorsitzender der EKD-Kammer für Migration. Danke für das Gespräch, dass Sie Zeit gefunden haben. Ihnen noch einen schönen Tag.
    Jung: Ihnen auch. Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.