"Teklemariam, sag mir doch noch mal die Umlaute: ö – ö ..."
Seit Ende 2012 lebt Teklemariam Hailessilase in Hessen, und mit den Umlauten tut sich der junge Eritreer schwer. Doch er ist davon überzeugt, dass es sich lohnt, die für ihn so schwierige Sprache zu lernen. Der junge Mann wirkt schmächtig, aber sein Wille in Deutschland zu bleiben: unumstößlich. Zweimal in der Woche kommt Carola Woodard zur ehrenamtlichen Doppelstunde Deutsch ins Kirchenasyl in einem Kasseler Hinterhofgebäude.
"Er ist mir wirklich sehr ans Herz gewachsen, als wenn er eins meiner Kinder wäre."
Kirchenasyl heißt für den 27-Jährigen, eingeschlossen zu sein in den Räumen der Baptistengemeinde. Die hat ihm den Sitzungsraum des Kirchenvorstands als Schlafzimmer überlassen: Matratze auf dem Boden, ein Tisch, ein Stuhl. Seine Habseligkeiten passen in einen Koffer und ein paar Plastiktüten. Die Außenwelt: ein Fensterausschnitt mit Blick auf ein bemoostes Garagendach.
"Freiheitsgefängnis ist das, ohne Polizei."
"Freiheitsgefängnis ohne Polizei", lacht Hailessilase, doch es klingt bitter. In Eritrea floh er aus der Armee der Militärdiktatur. Pfarrer Frank Fornacon achtet auf den Flüchtling und erinnert ihn daran:
"Dass er nicht auf die Straße gehen darf, weil das einfach viel zu gefährlich ist und ich keine Lust habe, ihn in Ingelheim in Abschiebehaft zu besuchen."
Hailessilase betrat europäischen Boden erstmals auf Malta. Zweimal schon sollte der eritreische Deserteur deshalb über den Frankfurter Flughafen dorthin zurückgeschoben werden. Doch er wehrte sich so heftig, dass die Airline ihn nicht mitnehmen wollte, danach saß er jeweils im Ingelheimer Abschiebegefängnis.
"O.k., Malta ist gut für Urlaub."
"Er ist nicht untergetaucht"
Aber für afrikanische Flüchtlinge die Hölle, meint der junge Eritreer, er fürchtet dort Haft und Obdachlosigkeit. Der Hessische Flüchtlingsrat sprach die Kasseler Gemeinde im Sommer auf Kirchenasyl für Hailessilase an. Denn die Baptisten beherbergen in ihrer Hinterhofkirche die eritreische Gemeinde, deren Mitglieder vor Jahrzehnten vor dem Krieg in ihrem Heimatland flohen. Hailessilase hat dort Anschluss gefunden, viele Gemeindemitglieder haben längst den deutschen Pass. Er dagegen hat auch nach einem halben Jahr Kirchenasyl kaum Aussicht, als Asylbewerber in Deutschland zugelassen zu werden.
"Bis zum Sommer 2014 wurde angenommen, dass Kirchenasyl den Behörden bekannt ist, und dass, wer sechs Monate legal in Deutschland gewesen ist, hier das Asylverfahren absolvieren kann."
Wäre es bei der gängigen Praxis geblieben, hätte Hailessilase Anfang kommenden Jahres einen aussichtsreichen Asylantrag stellen können. Denn wer aus der Armee der eritreischen Militärdiktatur flieht, hat beste Chancen auf Anerkennung. Aber, so Pfarrer Fornacon:
"Seit diesem Sommer scheint das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Praxis geändert zu haben, jedenfalls ist er, so wie wir wissen, der erste, bei dem gesagt wurde, du bist untergetaucht, du bist illegal. Er ist nicht untergetaucht. Wir haben per Einschreiben natürlich die Information an die zuständigen Behörden weitergegeben, die können auch jederzeit herkommen und ihn besuchen, aber sie tun einfach so, als ob er sich in die Illegalität begeben hätte."
Paradox: ein Untergetauchter mit fester Meldeadresse. Hailessilase aufzunehmen, hieß für die Kasseler Gemeinde auch, sein Leben mithilfe von Spendengeldern zu finanzieren und die psychische Ausnahmesituation im Kirchenasyl über Monate hinweg zu begleiten. Die gesamte Mitgliederversammlung sprach sich dafür aus; leicht gemacht hat man sich das nicht, erzählt der Pfarrer:
"Ein Mitarbeiter unserer Gemeinde war extra in Malta und hat dort mit unserer Partnerkirche Kontakt aufgenommen. Wir haben abgeklärt: Gibt es in Malta Möglichkeiten, dass er vernünftig leben kann? Die haben gesagt, bitte tut alles, dass er dableiben kann, weil die Möglichkeiten auf Malta so beschränkt sind, dass auch die Kirchengemeinden völlig überfordert sind."
Dublin-Verordnungen verändern, nicht unterlaufen
Die eritreischstämmige Hausmeisterin besucht Hailessilase, er schenkt ihr und seiner Deutschlehrerin Kaffee ein - in seinem Provisorium, das zur Dauer-Einzelhaft ohne Perspektive mutieren könnte. Pfarrerin Anna-Sophie Schelwis schaut vorbei. Ein paar Straßen weiter berät sie für die Diakonie Hessen Gemeinden in Sachen Kirchenasyl. Zur Fristverlängerung für angeblich Untergetauchte sagt sie:
"Sollte das so sein, dass grundsätzlich die Frist auf 18 Monate bei Kirchenasyl erhöht wird, dass das wirklich auf Kosten der Flüchtlinge geht. Also, die Belastungen für die Menschen, 18 Monate quasi in Gefangenschaft, die ist natürlich enorm hoch."
Dass die rund 360 Kirchenasyle in Deutschland zum Großteil Einzelpersonen und Familien Zuflucht gewähren, die über sogenannte "sichere Drittstaaten" eingereist sind, bestreitet Schelwis nicht. Die Kirchen wollen die sogenannten Dublin-Verordnungen verändern, sagt sie, aber nicht via Kirchenasyl unterlaufen.
"Sie erpressen damit nicht ein Bleiberecht für Flüchtlinge in Deutschland," stellt die Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck klar. "Vorratsbeschlüsse", um Kirchenasyl massenhaft auszuweiten, wie das Bundesamt argwöhnt, gebe es nicht. Bundesamt und Kirchen im Clinch? Im kommenden Jahr wollen sie sich an einen Tisch setzen. Hailessilase übt unterdessen weiter Deutsch, mit Punkt, Komma und:
"Aus-ru-fe-scheisen" (Lachen.)
"Wir haben immer was zu lachen."
"Aus-ru-fe-zei-chen."
"Wir haben immer was zu lachen."
"Aus-ru-fe-zei-chen."