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Kirchenasyl in Bayern
"Den Fall individuell betrachten"

Weil ihm die Abschiebung droht, befindet sich ein junger Afghane im bayerischen Neuenmarkt im Kirchenasyl. Der Bürgermeister des Ortes, Alexander Wunderlich, ist CSU-Mitglied und setzt sich für den jungen Mann ein. Es sei bei diesem Thema wichtig, Einzelfälle zu betrachten, forderte Wunderlich im Dlf. Einen Konflikt mit seiner Partei sieht er dabei nicht.

Alexander Wunderlich im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Eine Bayerische Fahne weht auf der Bayerischen Botschaft
    "Nicht nur die bestehenden Regelungen, sondern auch individuelle Angelegenheiten müssen mit einspielen", sagt Alexander Wunderlich (picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg)
    Christiane Kaess: Die Regierung und allen voran Bundesinnenminister Horst Seehofer will in der Asylpolitik Härte zeigen. Dazu gehört auch, dass diejenigen konsequenter abgeschoben werden, die kein Recht auf Asyl in Deutschland haben, und immer mehr wird auch trotz der prekären Sicherheitslage nach Afghanistan abgeschoben. Zu Beginn waren es oft Straftäter die zurückgebracht wurden, aber immer wieder trifft es auch Menschen, von denen das Umfeld glaubt, sie seien gut integriert. So ein Fall ist Danial M. Seine Familie gehört einer Minderheit in Afghanistan an, die von den Taliban verfolgt wurde oder immer noch wird. Nach seiner Flucht hat er in den letzten drei Jahren Deutsch gelernt und geht zur Berufsfachschule. Er hätte als einziger in seiner Familie eine neue Duldung beantragen müssen, was er nicht wusste, und so sollte er abgeschoben werden. Aber zu dem Zeitpunkt, als die Beamten ihn bei seiner Familie abholen wollten, war er nicht zuhause. Danial M. ist im Moment im Kirchenasyl in Bayreuth.
    Alexander Wunderlich gehört der CSU an. Er ist 2. Bürgermeister von Neuenmarkt, dem Ort, wo die Familie des afghanischen Flüchtlings Danial M. lebt. Und er ist am Telefon. Guten Morgen, Herr Wunderlich.
    Alexander Wunderlich: Guten Morgen!
    Kaess: Warum setzen Sie sich für Danial M. ein?
    Wunderlich: Weil Danial M. sich bei uns in Neuenmarkt hervorragend integriert hat, ein Teil auch unseres Fußballvereins geworden ist und nie auffällig im negativen Sinn geworden ist.
    Kaess: Was heißt denn das, gut integriert? Woran machen Sie das genau fest? Ist das nur der Fußballverein oder mehr?
    Wunderlich: Nein. Natürlich auch die kulturellen Veranstaltungen, die wir in Neuenmarkt abhalten, und nicht nur das Fußball spielen am Sonntag ist natürlich für ihn eine hervorragende Angelegenheit gewesen. Im Allgemeinen, im gesellschaftlichen Leben hat er sich mit eingebracht.
    Kaess: Warum soll er dann abgeschoben werden?
    Wunderlich: Das ist jetzt eigentlich die Frage. Wenn es nur an einer fehlenden Formalität liegt, dann ist meine Meinung, dass hier natürlich auch individuell der Fall betrachtet werden muss.
    Kaess: Das heißt?
    Wunderlich: Das heißt, dass nicht nur die bestehenden Regelungen, sondern auch individuelle Angelegenheiten mit einspielen müssen. Gerade weil Danial in den letzten drei Jahren oder knapp drei Jahren, als er die deutsche Sprache sehr gut gelernt hat, er willig war, die Ausbildung zu beginnen, sich integriert hat. Und, was für mich ganz, ganz wichtig ist, natürlich auch nicht straffällig geworden ist. Und dann muss man sich die Frage stellen: Warum soll man so einen jungen Herrn, der einen Beruf erlernen und auch Geld mit in unsere Sozialkasse geben will und Steuern zahlen will, abschieben.
    Kaess: Aber rein juristisch hat er kein Recht zu bleiben.
    Wunderlich: Juristisch gebe ich Ihnen vollkommen recht. Aber genau deswegen muss man auch sagen, ob nur dann das Recht gilt, oder auch mal individuell eine Betrachtung herangezogen werden muss.
    "Seine Familie kann noch bleiben"
    Kaess: Das sieht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wahrscheinlich anders, denn das schätzt den Fall so ein, dass Danial M. zuzumuten sei, in einer afghanischen Großstadt unerkannt einem Erwerb zum Lebensunterhalt nachzugehen. Und eine Klage gegen den Ablehnungsbescheid hat das Verwaltungsgericht Bayreuth zurückgewiesen. Warum widersprechen Sie all diesen Einschätzungen und Beurteilungen?
    Wunderlich: Erst mal muss man dazu sagen, es gibt Regularien und Regeln, keine Frage, die eingehalten werden müssen. Afghanistan als sicheres Herkunftsland komplett oder ganz Afghanistan damit einzustufen, das liegt im Sinne des Betrachters. Vor allem muss man auch dazu sagen: Seine Familie, die kann ja noch hier bleiben. Das heißt, er wäre der einzige, der hier nach Afghanistan abgeschoben werden soll. Das muss man jetzt überlegen, ob das in dieser Angelegenheit und natürlich in anderen Fällen – es bezieht sich ja nicht nur auf den Danial, sondern auch auf andere Fälle – genauso richtig ist.
    "Selbstverständlich würde ich mir Sorgen machen"
    Kaess: Würden Sie sich Sorgen um ihn machen, wenn er abgeschoben werden sollte?
    Wunderlich: Selbstverständlich würde ich mir Sorgen machen, und ich glaube, dass diese Sorgen auch nicht unbegründet sind.
    Kaess: Warum?
    Wunderlich: Genau aus diesem Grund mit Afghanistan, und wir wissen ja alle, dass auch in seiner Familie leider schon der Onkel umgebracht wurde, eben aufgrund der Verfolgung. Und wenn jemand allein in dieses Land zurückgeht – ich denke, dass hier Sorgen berechtigt sind.
    Kaess: Wie geht es Danial M. damit im Moment? Haben Sie Kontakt zu ihm?
    Wunderlich: Nächste Woche wollen wir uns treffen. Über den Betreuer will ich das mit ausmachen oder habe das ausgemacht. Er wird jetzt zurzeit auch gut betreut mit seiner Schwester, auch mit den Fußball-Kollegen, die natürlich regelmäßig Kontakt zu uns suchen.
    Kaess: Wie geht die Familie damit um?
    Wunderlich: Die Familie ist natürlich in sehr großer Sorge, auch verständlicherweise, weil sie natürlich wollen, dass der Danial hier in Deutschland bleiben kann.
    Kaess: Herr Wunderlich, hat man in Ihrer Partei eigentlich Verständnis für Ihr Engagement?
    Wunderlich: Grundsätzlich musste es ja Änderungen geben. Seit 2015 haben wir den Flüchtlingsstrom. Und dass hier jetzt eine Regelung hereingekommen ist, ist ja grundsätzlich überhaupt nicht verkehrt. Aber wir müssen es differenzieren auf diejenigen, die jetzt bei uns sind, und auch diejenigen, die jetzt noch nach Deutschland kommen. Und ich finde schon, dass eine Regelung notwendig war und notwendig ist. Aber wie gesagt, ich will den Fall noch als Einzelfall betrachten, wo es natürlich auch über den Danial hinaus Einzelfälle sein können, um dann eine richtige Entscheidung treffen zu können.
    Kaess: Für Einzelfälle lässt die Linie der CSU und die Linie von Horst Seehofer im Moment nicht viel Platz.
    Wunderlich: Das müssen wir abwarten, was rauskommt. Wir haben ja hier eine breite Allianz gegen genau solche Angelegenheiten, dass eine Einzelfallentscheidung, eine individuelle Entscheidung getroffen werden kann. Und dann hoffen wir natürlich, dass was Positives herauskommt.
    Kaess: Haben Sie Parteikollegen gegen sich?
    Wunderlich: Nein, überhaupt nicht. Überhaupt nicht. Weil: Ich bin ja grundsätzlich nicht gegen eine Regelung. Ich sage nur, das muss ausgeweitet werden mit individuellen Entscheidungen.
    Kaess: Ich meinte, haben Sie Parteikollegen gegen sich, die jetzt sagen, das ist nicht in Ordnung, dass Sie sich für einen Einzelfall so engagieren?
    Wunderlich: Nein! Nein, überhaupt nicht.
    Kaess: Inwiefern merken Sie denn dann die Spannungen innerhalb der CSU zum Thema Asylpolitik?
    Wunderlich: Was natürlich jetzt in München oder in der Bundespolitik in Berlin gemacht wird, kann ich natürlich nicht beurteilen. Ich bin der 2. Bürgermeister einer kleinen Kommune.
    Kaess: Aber Sie werden wahrscheinlich darüber sprechen.
    Wunderlich: Wenn wir darüber sprechen, aber ich habe bis jetzt noch keinen Anruf erhalten, dass das Ganze hier negativ ist, dass ich mich für Danial hier mit einsetze.
    Kaess: Ich meinte jetzt auch eher bei Ihnen vor Ort.
    Wunderlich: Vor Ort habe ich überhaupt kein Problem.
    Kaess: Sitzt Ihnen die AfD im Nacken?
    Wunderlich: Überhaupt nicht. – Nein, überhaupt nicht. Hier ist weder ein positiver, noch ein negativer Kontakt.
    Kaess: Weder ein positiver, noch ein negativer Kontakt. – Wie stark ist denn die AfD bei Ihnen?
    Wunderlich: Die Prozente kann ich jetzt nicht einmal sagen. Natürlich haben wir auch AfD-Politiker hier in unserem Landkreis, aber da kann ich mich jetzt nicht beschweren oder springe nicht auf das Pferd auf oder davon ab. Das kann ich jetzt überhaupt nicht sagen, nein.
    Kaess: Aber die AfD würde sich für Danial M. wahrscheinlich nicht einsetzen?
    Wunderlich: Ich gehe von der politischen Ausrichtung her davon aus, dass sie sich nicht einsetzen würden. Nein, das ist richtig.
    Kaess: Haben Sie schon Widerstand von Menschen im Ort erlebt, die sagen, das ist nicht in Ordnung, was Sie da machen?
    Wunderlich: Ich persönlich, was ich jetzt mache?
    Kaess: Ja.
    Wunderlich: Nein, im Gegenteil! Ich werde bekräftigt dadurch, weil, wie ich bereits eingangs erwähnt habe, der Danial sich sehr gut integriert hat. Hier haben wir eigentlich nur Rückenwind, sei es von den CSU-Politikern, aber auch von der SPD, und das ist parteiübergreifend. Hier ist eigentlich, finde ich, ein Denkfehler, dass man immer nur eine Partei dann sieht. Man muss ja den Menschen an sich sehen und die Partei sollte hier keine Rolle spielen.
    "Seehofers Satz erscheint nicht glücklich"
    Kaess: Jetzt hat Horst Seehofer gesagt, 69 Abgeschobene an seinem 69. Geburtstag, das habe er so nicht bestellt. Danial M. hätte der 70. Sein sollen. Einer der Männer hat sich mittlerweile umgebracht, die nach Afghanistan zurückgebracht worden sind. Was denken Sie bei diesem Satz von Horst Seehofer?
    Wunderlich: Erst mal: Das ist tragisch, dass sich jemand hier das Leben genommen hat. Da gibt es wirklich das ganze Mitgefühl, ohne Frage. Dieser Satz – und ich habe es auch dann schon formuliert – ist natürlich aus dem Zusammenhang rausgenommen worden, der natürlich dann hier nicht glücklich erscheint – keine Frage. Der Horst Seehofer hat auch heute in der Augsburger Zeitung das Ganze versucht, klarzustellen, dass es herausgerissen wurde.
    Kaess: Aber er hat auch von einer Kampagne in seiner Partei gegen sich gesprochen.
    Wunderlich: Ich merke jetzt nichts von einer Kampagne. Persönlich hier auf dem Dorf kann ich das nicht beurteilen.
    Kaess: Aber kann sich ein Bundesinnenminister mit so einem Satz so äußern? Ist das in Ordnung?
    Wunderlich: Der Herr Seehofer, unser Innenminister, ist ein erfahrener Politiker. Ich kenne diesen ganzen Ausschnitt von der Presse beziehungsweise von dem Interview nicht. Ob das jetzt dann genauso rübergekommen ist, oder was rübergekommen ist, ist natürlich nur dieser Ausschnitt, dieser Satz. Wenn, dann müssten wir das Ganze schon hören oder sehen, so dass man sich hier eine Meinung erlauben kann.
    Kaess: Gehen wir noch mal zurück zu Danial M. und Ihren Einsatz dafür, dass er nicht abgeschoben wird. Es gibt eine ganze Allianz aus Politikern und Kirchenvertretern, haben Sie jetzt auch schon ein bisschen geschildert. Wie groß ist denn Ihre Hoffnung, dass sich da was bewegen könnte?
    "Diese breite Allianz macht mir Hoffnung"
    Wunderlich: Sehr, sehr groß. Das muss ich sagen. Da appelliere ich wirklich daran, weil sich gerade so eine breite Allianz geschmiedet hat, dass man diesen Fall noch einmal aufrollt, um hier zu überlegen, ist das sinnvoll oder nicht, so einen jungen Menschen, der sich willig zeigt, abzuschieben.
    Kaess: Was macht Ihnen Hoffnung, dass das in der Praxis auch so kommen könnte?
    Wunderlich: Eben genau diese breite Allianz macht mir Hoffnung, dass hier die breite Bevölkerungsmasse dahinter steht. Und was für mich auch ganz wichtig ist, dass der nie straffällig geworden ist, sich eingesetzt hat und den Willen zeigt, nicht nur in Deutschland zu bleiben, sondern auch für unseren Staat, für unsere Bevölkerung, für unser Land was zu tun.
    Kaess: Aber letztendlich müssen Gerichte das entscheiden. Wo sehen Sie einen Ansatzpunkt, dass sich dort was bewegen könnte?
    Wunderlich: Oftmals hängt es an einer Formalität. Damit sollen sich dann die Juristen dementsprechend auseinandersetzen. Vielleicht ist ja hier ein Formfehler. Wie schnell kann ein Formfehler passieren, dass das Ganze hier wieder gekippt werden kann. Wir sehen das erst am jüngsten Beispiel, was man gestern in der Presse oder in der Zeitung gelesen hat.
    Kaess: … sagt Alexander Wunderlich von der CSU. Er ist 2. Bürgermeister von Neuenmarkt. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen, Herr Wunderlich.
    Wunderlich: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.