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Kirchenburgen in Rumänien
Eine Reise in die Vergangenheit

In Siebenbürgen gab es im späten Mittelalter etwa 300 Kirchburgen. Sie dienten der Bevölkerung als Schutzort gegen osmanische Einfälle und Räuber. Heute sind noch etwa 130 von ihnen erhalten und ziehen zunehmend Touristen in die Region - eine wichtige Einnahmequelle für die Bevölkerung.

Von Thomas Wagner |
    Bodenständiges Leben: Ein Landwirt aus der siebenbürgischen Gemeinde Deutsch-Weisskirch wartet mit seinem Pferdekarren auf Touristen.
    Bodenständiges Leben: Ein Landwirt aus der siebenbürgischen Gemeinde Deutsch-Weisskirch. (Thomas Wagner)
    "Wir befunden uns hier am Aufgang der Kirchenburg. Der ist um das Jahr 1700 gebaut worden."
    Eine halb verwitterte, steinerne Mauer, über zwei Meter hoch, fast 40 Zentimeter dick. Der Weg führt durch erst durch einen mächtigen Torbogen hindurch, dann, über eine mit Moos überwucherte Steintreppe, steil nach oben. Von innen erkennen die Besucher allerlei Hohlräume in der Mauer, versteckte Lagerplätze, von außen nicht einsehbar. Die Mauer bildet ein großes Rechteck. Mitten drin: eine Kirche, auch die gut gesichert.
    "Eine der Besonderheiten ist dieses Türschloss. Es hat eine Rundung nach oben. Und eine nach unten."
    Ulf Ziegler, ein schlanker, jugendlich wirkender Mann Mitte 40, zieht einen Riesen-Eisenschlüssel aus der Tasche. Das Öffnen der mächtigen Kirchentüre mit den zwei übereinander angeordneten Schlössern wird zur Tüftelei. Viel Geschicklichkeit ist gefragt.
    "Zweimal umdrehen, ist immer noch nicht offen..."
    Fast eine Minute dauert es, bis Ulf Ziegler die Türe geöffnet bekommt - jene Tür, die den Blick freigibt ins Innere der Kirchenburg in der ehemals von Rumäniendeutschen bewohnten Gemeinde Birthälm, rumänisch Birta. Ein prunkvoller Altar und ein sorgsam geschnitztes Chorgestühl legen Zeugnis davon ab, dass hier einst der Bischof der evangelischen Kirche in Rumänien seinen Sitz hatte. Und heute noch gilt Birthälm als eine der Kirchenburgen Siebenbürgens, die am besten erhalten ist.
    "Also, es gab in Siebenbürgen insgesamt, in dem deutschen Siedlungsgebiet und im ungarischen Siedlungsgebiet, etwa 300 Kirchenburgen. Und von diesen Kirchenburgen sind vielleicht fünf, sechs eingenommen worden bei den osmanischen Einfällen nach Siebenbürgen. Und diese dauerten von 1395, das war der erste Einfall nach Siebenbürgen, bis in die österreichische Zeit. Bis kurz bevor die Österreicher nach Siebenbürgen kamen, waren noch immer osmanische Einfälle in Siebenbürgen zu verzeichnen, also fast 300 Jahre."
    Fliehburgen für den Notfall
    Martin Rill ist Kirchenburg-Kenner durch und durch. Der Historiker wuchs im nahe gelegenen Hermannstadt, rumänisch Sibiu, auf und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Geschichte der siebenbürgischen Kirchenburgen. Deren Bauweise bot der Bevölkerung ab dem späten Mittelalter guten Schutz nicht nur gegen osmanische Einfälle, sondern auch gegen Räuber und andere Feinde: Stets bildet eine mächtige, steinerne Mauer einen Außenring, in deren Lager-Hohlräume innen Vorräte eingelagert waren.In der Mitte schließlich die eigentliche Kirche, von deren ungewöhnlich hohem Turm die Rumänien-Deutschen in früheren Jahrhunderten heranrückende Feinde erkennen konnten. Das war auch in Birthälm so, weiß Pfarrer Ulf Ziegler:
    "Das sind eigentlich Fliehburgen, gebaut von Bauern. Flieh- oder Bauernburgen mag man sie nennen. Und da gibt es eine kleine Anekdote, die das Prinzip der Fliehburg erzählt. Es wird Alarm gegeben. Und alles, was laufen kann, nimmt Hab und Gut mit, vom Dorf in die Kirchenburg, um sich von da an im Notfall zu verteidigen. Aber meistens sind die Dorfgemeinden von Plündertruppen überfallen worden und nicht von den großen, durchziehenden Herden. Und so soll es sich zugetragen haben, dass in einem kleinen Dorf erst der Tatarensturm kam. Und da kam der Alarm. Alle liefen in die Kirchenburg hinein. Aber eine Frau, die ein bisschen habgierig war, und man sagt auch, zänkisch soll sie gewesen sein, die konnte nicht genug mitnehmen. Und die wird von den Tataren mit aufs Pferd genommen. Und da steht auch schon auf der Burg ihr Mann mit der Waffe in der Hand. Und er schüttelt den Kopf und sagt: 'Arme Tataren, arme Tataren.'"
    Den Sparziergang mit Pfarrer Ulf Ziegler empfinden die Besucher dann auch als spannende Zeitreise, um einige Jahrhunderte zurück. An so manchem Stein lässt sich herauslesen, die die Deutschen, die ab dem 12. Jahrhundert nach Rumänien kamen, auf und rund um die Kirchenburgen gelebt haben. Ulf Ziegler zeigt auf ein kleines, steinernes Gemäuer:
    "Da hat man hier, in der Ost-Bastei, ein Ehegefängnis eingerichtet. Diejenigen, die es nicht so negativ sehen wollen, sagen Versöhnungsturm. Man erzählt sich: Beide sollen gemeinsam eingeschlossen worden sein und mussten sich alles in einmaliger Ausführung teilen, damit sie eben im Gespräch bleiben. So hatten sie einen Tisch, einen Stuhl, einen Teller, eine Gabel, ein Bett, ein schmales Bett. Ich will aber noch mitteilen, dass in der Biografie von Birthälm der Pfarrer Salzer schreibt, dass dank dieser von Gott gegebenen Einrichtung in der Zeit der Superintendentur, und das waren etwa 300 Jahre, eine einzige Ehescheidung stattgefunden hat."
    Reichersdorfer Wein war bekannt
    Nur wenige Kilometer weiter: das kleine Örtchen Reichersdorf, auf Rumänisch Richis. 'Musica Populare', rumänische Volksmusik, dröhnt aus einem alten Kofferradio in der Dorfmitte; Frauen in Kopftüchern laufen mit Handwagen über die schmalen Wege. Hier erhebt sich eine weitere, mächtige Kirchenburg. Ein alter Mann, so um die 80, hockt vor dem Eingang.
    "Alle unsere Berge waren mit Wein bepflanzt. Wir waren einst das Zentrum in dieser Gegend. Wir sind so stolz auf unseren Wein, dass ich auch heute noch sagen kann: Reichersdorfer Wein war in Bukarest sehr bekannt."
    Johann Schaas ist einer jener wenigen Rumäniendeutschen, die nach dem Ende der kommunistischen Ceaucescu-Diktatur im Dezember 1989 nicht nach Deutschland ausgewandert sind. Schaas blieb in seiner Heimatgemeinde Reichersdorf, kümmert sich seit Jahrzehnten um die Kirchenburg - und das mit großer Leidenschaft. Sie ist ihm ans Herz gewachsen:
    "Nun ein wenig ernster zur Kirche. Die Kirche wurde 1400 als große Kirche als Zisterzienserkirche gebaut."
    Immer häufiger kommen Gäste aus dem In- und Ausland nach Reichersdorf, lauschen dem, was ihnen Johann Schaas ihnen zu erzählen hat. Plötzlich spricht ihn eine Frau, Mitte 40, an. Ratlos stehen die Besucher um das ungleiche Paar herum. Diesen Dialekt verstehen sie nicht - Alt-Sächsisch.
    "Das war unser Luxemburgisch, unser Sächsisch. Er hat gesagt, dass er auf dem Acker Weizen gestreut hat. Und er muss ihn bis heute Abend noch zudecken. Also er muss noch aufs Feld gehen heute, damit der Weizen wächst."
    Caroline Fernolent hält inne, lächelt verschmitzt. Auch sie ist in diesem Landstrich großgeworden. Und auch sie setzt sich für den Erhalt der Natur und der Kulturgüter ein, im Auftrag des Eminescu-Trusts, den der britische Thronfolger Prinz Charles ins Leben gerufen hat. Und deshalb weiß sie auch, wie Luxemburgisch zum geläufigen Dialekt der Siebenbürger Sachen werden konnte:
    "Wir sind schon 1142 hierhergekommen, aus Luxemburg. König Ghiasa II hat uns eingeladen, hierherzukommen. Und wir sprechen noch dieses alte Luxemburgische, das man jetzt hier sächsisch nennt, weil man uns Sachsen nennt. Und in jedem Dorf ist der Dialekt ein bisschen verschieden. Aber wir verstehen uns doch alle."
    Kirchenburgen werden zur Touristen-Attraktion
    Auch um die Reichersdorfer Kirchenburg ranken sich so manche Geschichten. Wer sich das alles in dem mächtigen Kirchenschiff anhört, das von dem eher winzigen Dorfkern umgeben ist, denkt unwillkürlich an die vielen Menschen, die in den zurückliegenden Generationen an derselben Stelle ähnlich andächtig verharrt sind. Heute werden hier nur noch selten Gottesdienste angeboten. Stattdessen kommen immer mehr Besucher aus nah und fern; die Kirchenburgen werden zur Touristen-Attraktion.
    "Also diese Architektur hier mit den vielen Türmchen, die ist schon beeindruckend. Niemals hätte ich gedacht, dass sich Rumänien von so einer Seite zeigt."
    Shierley kommt aus Seattle. Seit sie sie weiß, dass ihre Vorfahren aus dem rumänischen Siebenbürgen stammen, wollte sie immer mal dorthin reisen - für die Amerikanerin ein faszinierendes Erlebnis:
    "Und wenn ich an die weit zurückreichende Geschichte zurückdenke. Ich meine, die Vereinigten Staaten sind ja wirklich noch sehr jung dagegen, gerade mal ein paar hundert Jahre alt. Und das, was wir hier sehen, ist 1000 Jahre alt. Wir schätzen das sehr."
    Eine Berg-und-Talfahrt auf einem alten siebenbürgischen Pferdefuhrwerk - das geht mächtig in die Knochen. Gut festhalten - das Gefährt ist nicht gefedert. Das Ziel: die Gemeinde Deutsch-Weisskirch, rumänisch Viscri. Doch plötzlich hält das Fuhrwerk auf freier Fläche an. Der Geruch von Verbranntem zieht durch die Nase.
    "Dau me. In der Mitte muss immer ein Loch bleiben, von außen, wo sie das Feuer anfachen."
    Ein alter Mann und eine Frau haben fachgerecht Holz in der Form einer Pyramide aufgestapelt und ihn von innen her angezündet - die Arbeit eines Köhlers, der hier sein Handwerk so betreibt wie sein Vater, sein Großvater und sein Urgroßvater. Geduldig erklärt er, wie er das Holz von innen unter Glut hält - ein faszinierendes Schauspiel. Die Besucher drücken ihm ein paar rumänische Lei in die Hand. Und das ist nur ein Beispiel, wie die Menschen vor Ort immer mehr von den Gästen leben, die noch in überschaubarer Anzahl kommen - ein Projekt, das Caroline Fernolend behutsam vorantreiben will.
    "Wir machen jetzt die Pferdewagentour zum Köhler. Danach geht es wieder zurück ins Dorf. Wir bieten diese Tour an, damit mehrere Leute die Möglichkeit haben, etwas zu verdienen im Dorf. Die Leute, die keine Gästezimmer haben, also vor allem die Roma, dass sie da ein Einkommen haben und auch mitziehen. Je mehr davon profitieren, desto begeisterter machen sie auch mit, dass das Dorf reiner wird und so."
    Und auch dass erfahren die Besucher von Carolin Fernolend: Dass zumindest hier, in Deutsch-Weisskirch, jene Bemühungen gefruchtet haben, die ein besseres Leben für die vielen Roma im Dorf zum Ziel hatten.
    "Ich war für neun Jahre Hilfslehrerin hier in der Schule. Und 1990, als ich das begonnen habe, war es für mich sehr schwer, die Kinder in die Schule zu schicken. Sie haben gesagt: Die werden sowieso nur Kühe melken. Die werden keine Minister. Wieso sollen die zur Schule gehen? Und dann hatte ich das erfunden, dass ich Feste organisiert habe, für die Kinder und für das Dorf. Die Kinder können schön singen, tanzen. Ich habe gelernt, zur Gemeinschaft zu sprechen. Ihr habt einmalige Kinder. Ihr müsst sie zur Schule schicken. Und heute haben wir 16 Roma-Kinder, die ein Abitur machen, zwei, die das schon gemacht haben. Das ist der messbarste Erfolg!"
    Von Hochzeitssteinen und Schandsteinen
    Geschichten wie diese spiegeln jenen Wandel wieder, den die Menschen in den weitläufigen Landschaften Siebenbürgens unterworfen sind. Dazwischen das Schnattern der Gänse, der Duft der Wiesen. Reisen auf dem flachen Land in Siebenbürgen - das spricht alle Sinne an. Für viele ist der Streifzug zwischen Orten wie Hermannstadt, Birthälm, Reichersdorf, Deutsch-Weisskirch und Honigberg...
    "... eine Reise in die Vergangenheit in diesem Ort. Es ist ein bisschen schwierig möglicherweise, das alles für ein großes Publikum aufzuarbeiten. Andererseits ist es gut, dass gerade in diesen Ort nur sehr schlechte Straßen führen. Denn sonst wäre das vielleicht überlaufen wie manche Zentren in Deutschland, Rothenburg in Deutschland, dass es so boomt, dass der Tourismus nicht mehr authentisch wirkt."
    In Siebenbürgen dagegen, zwischen all den Kirchenburgen auf den Anhöhen ringsum, empfindet Gert Nils Wötzel aber vieles noch authentisch:
    "Die alten Straßen, die alten Häuser. Hier laufen Truthähne und Gänse auf den Straßen herum. Die Leute sind sehr ältlich gekleidet zum Teil ein bisschen, aber sehr freundlich. Und die alten Geräte, die hier stehen, oder so ein Wagen hier dabei, das ist für mich faszinierend."
    Die Gemeinde Michelsberg, oder auf Rumänisch Cisnadiora, liegt ganz in der Nähe von Hermannstadt, dem Zentrum Siebenbürgens. Auch hier liegt die Kirchenburg auf einer Anhöhe. Besucher kommen auf dem steilen Weg dorthin ganz schön ins Schwitzen. Ganz oben steht ein älterer Mann, blickt versonnen ins Tal hinab. Er war schon öfters hier, selbst in jenen Zeiten, als in Rumänien noch die kommunistische Diktatur den Lauf der Dinge bestimmte. Peter Miroshnikov berichtete über Jahrzehnte hinweg als Korrespondent für die Fernsehprogramme der ARD aus Rumänien. Versonnen blickt er auf mehre mächtig wirkende Gesteinsbrocken vor der Burgmauer.
    "Ganz kräftig große Steine, ich würde sagen, die haben schon ihre 40, 50 Kilo. Und es gehörte zum Brauchtum der Siebenbürger Sachsen, dass junge Männer, die heiraten wollen, sich beweisen musste, mit Muskelkraft, nämlich diese Steine den Berg hinauf zu rollen, um damit zu beweisen, dass sie also heiratsfähig sind. Deshalb heißen sie eben Hochzeitssteine. Und das hatte für die Gemeinde den Nebensinn, dass man die Steine hier oben hatte, um mögliche Angreifer damit zu beglücken, als sie versucht haben, hier Michelsberg zu erobern."
    Doch nicht nur angehenden Ehemänner hatten im Angesicht der Kirchenburgen ordentlich zu schuften. Auch für so manche zukünftige Ehefrau war der Besuch einer Kirchenburg nicht ohne, vor allem dann, wenn das eine oder andere bekanntgeworden ist, das nicht hätte bekanntwerden dürfen. Caroline Fernolend blickt ebenfalls auf einen Stein, diesmal im Inneren der Kirche und erheblich kleiner als die Hochzeitssteine draußen:
    "Ja, der Schandstein ist da. Und die Mädchen mussten sich darauf knien, als die anderen aus dem Gottesdienst herausgekommen sind. Ja, wenn sie einen Seitensprung hatten oder schwanger waren vor der Hochzeit, also wenn sie etwas Unanständiges getan haben. Und der Mann, mit dem sie es getan haben, ist da nur vorbeigeschlichen und hat nichts gesagt. Er musste dort auch nicht niederknien. Das finde ich nicht gut. Jetzt sollten die Männer da knien."
    Geschichten, die das Leben schrieb - in Siebenbürgen. Und wer weiß: Vielleicht findet sich ja irgendwo auch der Schandstein für den Mann - auf einer der 130 übrigen Kirchenburgen in der Mitte Rumäniens.