Papst Pius XI. und Benito Mussolini kamen beide 1922 an die Macht. Der Vatikan – seit der Auflösung des Kirchenstaates 1870 ohne geklärten Status – suchte eine Einigung über seine rechtliche Stellung mit der italienischen Regierung. Das eröffnete Mussolini einige Optionen, sagt der US-Historiker David Kertzer:
Mussolini war antiklerikal, kein religiöser Mensch, aber er sah die Chance einer Allianz mit der Kirche, wenn er dem Vatikan gab, was der seit 50 Jahren forderte, um die Trennung von Kirche und Staat zu beenden. Und was der Papst ihm gab: die Legitimität, die er nicht hatte.
Beide verband eine tiefe Furcht vor dem Kommunismus:
1922 – das waren gerade mal fünf Jahre nach der bolschewistischen Revolution. Die Angst vor dem Kommunismus war sehr verbreitet in der Kirche; der Antikommunismus war wichtig für Mussolini. Er präsentierte sich als die Person, die Italien vor dem Kommunismus schützen könne.
Und beide – das damals 65-jährige Kirchenoberhaupt und der 39-jährige Duce – stimmten in einigen Grundsatzfragen überein:
Beide vertraten die Ansicht, dass Demokratie schlecht sei, dass der Parlamentarismus schlecht sei, dass die Menschen der Obrigkeit gehorchen sollten, und sie nicht in Frage stellen durften. Das waren Prinzipien, die der Papst und Mussolini teilten.
Die Liebe zum Gehorsam verbindet
Schon früh nach der Machtübernahme durch Mussolinis der italienischen Faschisten kamen sich Pius XI. und Mussolini schnell näher. David Kertzer schreibt in seinem Buch:
"Trotz aller offensichtlichen Unterschiede hatten der Papst und Mussolini vieles gemein. Beide konnten keine echten Freunde haben, denn Freundschaft implizierte Gleichheit. Beide bestanden auf Gehorsam, und ihre Umgebung fürchtete stets, ihnen etwas zu sagen, was ihnen missfallen könnte. Sie waren ein seltsames Paar, aber der Papst hatte rasch erkannt, dass es nützlich war, sich mit dem früheren "Priesterfresser" zu verbünden. Damit war ein Jahr nach dem Marsch auf Rom aus der faschistischen Revolution eine klerikal-faschistische geworden."
Benito Mussolini kam dem Vatikan weit entgegen. Trotz seiner prinzipiell antiklerikalen Haltung ordnete er an, dass in allen Klassenzimmern, Krankenhäusern und Gerichtssälen wieder Kruzifixe aufgehängt wurden; einen Priester zu beleidigen oder abwertend von der katholischen Religion zu sprechen, wurde zum Straftatbestand; Priester und Bischöfe erhielten eine bessere staatliche Versorgung; die Kirche bekam etliche Millionen Lira, um Gotteshäusern zu restaurieren. Allerdings fuhr Mussolini eine Doppelstrategie: einerseits erfüllte er zahlreiche Wünsche des Vatikans; andererseits gingen seine Schlägertrupps gegen politisch aktive Katholiken vor:
Kertzer sagt: "Der Papst war sehr verärgert über die Übergriffe der Faschisten auf Priester und die Führer der katholischen Volkspartei. Aber er nahm Mussolini in Schutz, indem er sagte: Das sei das Werk einzelner radikaler Faschisten. Er forderte Mussolini auf, diese zu kontrollieren. Die Ironie dabei war, dass Mussolini diese Gewalt gegen Priester und katholische Politiker nutzen konnte. Er sagte dann immer: Ich bin der einzige, der diese Leute kontrollieren kann. Ihr seid auf mich angewiesen."
"Der Papst war absolut entscheidend für die Etablierung einer Diktatur"
David Kertzer ist überzeugt, dass Papst Pius XI. Mussolini den Weg geebnet hat. Denn in der ersten Hälfte der 1920er Jahre war die Machtbasis Mussolinis durchaus fragil und die katholische Volkspartei für die Faschisten eine ernstzunehmende Gefahr.
Der Papst war ganz entscheidend für den Erfolg Mussolinis. Vor allem am Anfang. Als Mussolini Premierminister wurde, waren die Faschisten nur eine kleine Minderheit im Parlament. Für ihn war es von zentraler Bedeutung, dass der Papst seine Unterstützung für die katholische Volkspartei aufgab.
Vor allem 1924, als die Regierung Mussolini nach der Ermordung des sozialistischen Politikers Giacomo Matteotti kurz vor dem Sturz stand, sprang ihm der Papst zur Seite:
"Die einzige Alternative zu Mussolinis Regierung war damals eine Koalition zwischen den Sozialdemokraten und der katholischen Volkspartei. Der Papst erklärte aber, die Volkspartei dürfe keine Verbindung mit den Sozialdemokraten eingehen. Der Papst verhinderte jede Alternative zu Mussolini, und das erlaubte Mussolini 1924, die anderen Parteien zu verbieten und eine Diktatur aufzubauen. Der Papst war absolut entscheidend für die Etablierung der italienischen Diktatur", sagt Kertzer.
Damit war auch das Ende der katholischen Volkspartei besiegelt. Papst Pius XI., der dem parlamentarischen Wirken katholischer Politiker ohnehin misstrauisch gegenüberstand, opferte die Volkspartei für weitere Zugeständnisse Mussolinis. Der Papst sah in dem Duce den staatlichen Partner für eine Rechristianisierung Italiens. Mit dem Abschluss der Lateranverträge 1929, in dem die italienische Regierung die Unabhängigkeit und Souveränität des Vatikans garantiert, erreichte die Zusammenarbeit zwischen dem Papst und Mussolini einen Höhepunkt.
Religiöse Begleitmusik des Faschismus
David Kertzer hat auch zahlreiche Berichte von Spitzeln ausgewertet, die im Vatikan für die italienische Regierung tätig waren. So wusste Mussolini über einige Geistliche aus dem Umfeld des Papstes, die der Pädophilie verdächtig waren. Einen von ihnen, Monsignore Caccia Dominioni, beförderte der Papst sogar zum Kardinal.
Zugleich wandte sich der Papst fast wöchentlich über einen jesuitischen Mittelsmann an den Duce mit besonderen Forderungen: So beschwerte er sich über zu viel Bein- und Rückenfreiheit bei jungen Frauen in Rom, über bestimmte Bücher, Filme und Theaterstücke, die die Regierung verbieten müsse. Er war verärgert über Protestanten, die sich in Italien breit machen würden – wobei Mussolini ihn da beruhigte: 42 Millionen Katholiken stünden gerade mal 135.000 Protestanten gegenüber.
Trotz einige Dissonanzen – im katholischen Italien sorgte der Vatikan für die religiöse Begleitmusik des Faschismus, schreibt David Kertzer:
"Die katholische Kirche spielte eine entscheidende Rolle dabei, dem Mussolini-Kult eine religiöse Note zu verleihen, indem er eine berauschende Mischung aus faschistischem und katholischem Ritual förderte. Priester waren ein integraler Bestandteil der faschistischen Jugendorganisationen; den über vier Millionen Mitgliedern standen 2500 Seelsorger zur Seite."
Pius XI. – so die Erkenntnis des US-Historikers – habe seine italienischen Erfahrungen mit dem Faschismus zunächst auf den deutschen Nationalsozialismus übertragen. Ähnlich wie in Italien habe er in Deutschland die katholische Partei – das Zentrum – geopfert, um mit Hitler einen Deal zu schließen. Von dem Konkordat von 1933 erhoffte er sich ein ähnlich gedeihliches Zusammenwirken zwischen Nationalsozialismus und katholischer Kirche wie in Italien.
Hitler als Feind der Kirche
Kertzer erzählt: "Pius XI. hat dann schnell eingesehen, dass er einen Fehler gemacht hatte. Er kam zu einer sehr negativen Einschätzung Hitlers und der Nationalsozialisten als Feinde der katholischen Kirche. Was ich in den Vatikanarchiven entdeckt habe, ist, dass der Papst versuchte, Mussolini zu bewegen, bei Hitler zu intervenieren: zum Beispiel sich für die katholischen Schulen in Deutschland einzusetzen. Der Papst war der Überzeugung, dass die deutschen Erzbischöfe kaum einen Einfluss auf Hitler hatten, aber Mussolini."
Anfangs versuchte Mussolini tatsächlich, Hitler die italienische Einbindungsstrategie nahezulegen: Privilegien für die Kirche, um sie ruhig zu stellen. Doch nachdem deutlich wurde, dass Hitler einen anderen Weg verfolgte, nämlich die weitgehende Kaltstellung der katholischen Kirche – unternahm der italienische Duce keine weiteren Versuche, den deutschen Diktator in kirchliche Dingen reinzureden.
Zur Frage der Judenverfolgung tobte – wie Kertzer nachweisen kann – ein Machtkampf innerhalb des Vatikans. Vor allem die Jesuiten versuchten in den 20er und 30er Jahren, ihre antisemitischen Positionen im Umfeld des Papsts zu etablieren.
Gegen Ende seines Lebens – Pius XI. stirbt am 10. Februar 1939 – kann der Papst die vatikanischen antisemitischen Geister, denen er sich nicht entgegengestellt hatte, nicht mehr einfangen. Eine Enzyklika, in der er den Antisemitismus verurteilen will, kann vor seinem Tod nicht mehr veröffentlicht werden und verschwindet in den Archiven.
David Kertzer ist es gelungen, eine faszinierende Parallelbiographie von Papst Pius XI. und Mussolini zu schreiben; spannend, ohne trivial zu werden. Gerade aus deutschem Blickwinkel ist es erhellend zu sehen, wie die Beziehung zwischen dem Vatikan und Mussolini als Blaupause diente für die Bewertung Hitlers durch Papst Pius XI. - eine fatale Fehleinschätzung mit katastrophalen Folgen.