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Kirchenkredite auf den Philippinen
Göttliches Geld

Eine Nähmaschine, eine Rikscha, ein Obststand - kleine Anschaffungen, die in den Hütten der philippinischen Stadt Davao große Hoffnungen wecken. Wer von evangelikalen Kirchen dafür Mikrokredite bekommt, erzählt im Gottesdienst vom Erfolg und zahlt das Geld öffentlich zurück.

Von Tilo Mahn |
Das Armenviertel Agdao gehört zu Davao City, einer der größten Städte der Philippinen. Rund 1,7 Millionen Menschen leben hier.
Das Armenviertel Agdao gehört zu Davao City, einer der größten Städte der Philippinen. Rund 1,7 Millionen Menschen leben hier. (Deutschlandradio/Tilo Mahn )
Durch die Gitterstäbe vor dem Fenster dringt schummriges Licht. Die Morgensonne kann die schmale Gasse vor dem Haus von Jovelyn Enot nur wenig erhellen. Doch einzelne einfallende Strahlen reichen aus, um der feinen Nadel der Nähmaschine auf dem Schreibtisch Licht zu spenden.
Jovelyn Enot schiebt mit konzentriertem Blick den weißen Stoff unter der hämmernden Nadel entlang. Unter der Nadel entstehen Muster aus rotem Faden auf einem weißen Rock. Zwei Kinder sitzen auf der Holztreppe hinter dem Nähtisch und spielen bimmelnde Spiele auf dem Handy. Ihre Mutter Jovelyn Enot hat mit ihren 28 Jahren viel zu tun - und wenn es nach ihr geht, auch bald eine feste Arbeit als Näherin.
"Meine Mutter ist hier in einem Bibelkurs bei der Organisation Dandelion und dem Verein Oasis engagiert. Sie hat mir von der Möglichkeit erzählt, einen Nähkurs als Fortbildung zu machen. Seit ich ein Kind war, habe ich immer davon geträumt, mehr übers Nähen und Schneidern zu erfahren und mit einer eigenen Maschine zu arbeiten. Meine Mutter hat mir klar gemacht, dass sie zu alt ist, um mir das beizubringen und viel zu viel im eigenen Haushalt um die Ohren hat. Außerdem sei ich noch zu jung gewesen, aber jetzt wo ich Familie mit Zwillingen habe, wäre das gut für mich. Also meinte sie: Geh doch zu dieser Schulung. Du bist noch jung und Du kannst Deinem Mann helfen, Euer Einkommen zu verbessern."
Jovelyn Enot träumt von einem festen Job als Näherin. Die 28-Jährige lebt in einem Armenviertel von Davao City auf den Philippinen.
Jovelyn Enot träumt von einem festen Job als Näherin. Die 28-Jährige lebt in einem Armenviertel von Davao City auf den Philippinen. (Deutschlandradio/Tilo Mahn)
Die Hütte von Joveyln Enot steht in der südphilippinischen Stadt Davao auf der Insel Mindanao.
Viele philippinische Familien sind darauf angewiesen, dass mindestens zwei Mitglieder Geld verdienen. 40 Prozent der philippinischen Familien bezeichnen sich selbst als arm. Ein hoher Anteil des Bruttoinlandsprodukts wird von Auslandsphilippinern ins Land überwiesen. Häufig kann die Familie nur so überleben.
Stadt im Kriegsrecht
Besonders in den Armenvierteln von Davao haben die Bewohner eine solche Möglichkeit allerdings nicht. Sie müssen vor Ort Arbeit finden. Religiöse Konflikte und ständige Arbeitsmigration haben im Süden des Landes eine Stadt hinterlassen, die wenig Möglichkeiten bietet.
Lange Zeit wurde Davao vom heutigen Präsidenten der Philippinen, Rodrigo Duterte, regiert. Bis heute herrscht dort Kriegsrecht. Verschiedene nationale und internationale Hilfsorganisationen versuchen, die Situation aufzufangen und die Armut vor Ort, Prostitution und Missbrauch gezielt zu bekämpfen.
Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte schreitet am Flughafen von Manila nach einem Besuch Russlands die Ehrengarde ab
Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte schreitet am Flughafen von Manila nach einem Besuch Russlands die Ehrengarde ab (AFP / Noel Celis)
Die katholische sowie einzelne evangelikale Kirchen auf den Philippinen machen sich für die Betroffenen stark – und suchen nach Ursachen. Der Australier Peter Prove ist für den Weltkirchenrat, den weltweiten Verbund von christlichen Kirchen, zuständig für Internationale Angelegenheiten. Für Peter Prove spielen in den Armenvierteln auf den Philippinen auch die politischen Entscheidungen und Gesetze im Land eine tragende Rolle.
Peter Prove sagt: "Häufig hat sich in unserer Arbeit in Hinblick auf unschuldige Opfer im bestehenden resoluten Kampf der Regierung gegen Drogen gezeigt, dass dieser Krieg seltener wirklich das Drogenmilieu trifft, sondern häufig vielmehr arme Leute."
Das Problem der Armut auf den Philippinen vermischt sich stark mit Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, die ständig geschehen und besonders häufig arme Leute treffen. Die Situation vor Ort zu kennen und zu verstehen, ist der erste Schritt für die Arbeit der ansässigen Hilfsorganisationen und für Kirchenvertreter.
In Agdao spielt sich das Leben auf der Straße ab.* Ein löchriges Plastikdach über Metalltraversen spendet etwas Schutz vor der Sonne. Darunter spielen Jugendliche barfuß Basketball. Rikschas und Fußgänger queren das Spielfeld. Am Straßenrand schippen Männer Steine auf einen Haufen. Aus den kleinen Läden blicken aus dem Schatten die Gesichter von alten Frauen hervor. Kinder sitzen am Boden und spielen mit bunt bemalten Plastikdeckeln. Dahinter dringt lautes Hämmern in die Gassen – aus Hinterhofwerkstätten, wo Metallsammler alte Autoteile zersägen und Hausgeräte recyceln.
In Agdao, einem Armenviertel der philippinischen Stadt Davo City, spielt sich das Leben auf der Straße ab.
In Agdao, einem Armenviertel der philippinischen Stadt Davo City, spielt sich das Leben auf der Straße ab. (Deutschlandradio/Tilo Mahn)
Jmark Palua ist hier in Agdao groß geworden. Als Jugendlicher hat er sich viel in der Kirchengemeinde und bei der Organisation Oasis Family Ministry ehrenamtlich engagiert. Heute arbeitet er zusätzlich als so genannter Administrator für die Hilfsorganisation Dandelion. In einer der engen Gassen zwischen den Häusern liegt im zweiten Stock das Büro seines Arbeitgebers. Jmark Palua öffnet die Tür oberhalb der steinigen Stufen. Auf dem Schreibtisch in der Mitte des kleinen Zimmers liegen Anträge und Formulare. Denn neben Schulungen und Workshops bietet Dandelion als eine der Möglichkeiten zur Selbsthilfe zinsfreie Mikrokredite an.
"Entweder direkt in der Kirche oder auch daheim bei unseren Ansprechpartnern: Die Leute suchen uns auf. Weil sie von anderen Leuten davon erfahren haben. Oder andere Kreditnehmer ihnen erzählt haben von den zinslosen Krediten und wie sie sich damit etwas aufgebaut haben. Also fragen sie nach uns und informieren sich. Und daher kennen sie auch mich. Weil viele von ihnen an mich weitervermittelt werden. Und die anderen Kreditnehmer erzählen ihnen auch, wer wir sind und was wir machen…"
In der nahe gelegenen King´s Chapel International, einer der vielen evangelikalen Kirchen in Davao, findet regelmäßig ein Gottesdienst statt.
"Dort erzählen die so genannten Recipients, die Kreditempfänger, woher sie kommen, wer sie sind und was sie mit dem geliehenen Geld gemacht haben. Am Ende des Gottesdienstes zahlen sie ihre Kredite zurück."
Mitarbeiter wie Jmark Palua verteilen das Geld und sammeln geliehenes Geld ein, tragen den Betrag in Listen ein und führen darüber akribisch genau Buch. Die Geldübergabe gleicht einer Gabe – ähnlich der Hostiengabe. Im anschließenden Gottesdienst geht es fröhlich zu. Junge Bands spielen Jesus-Lieder. Die Kirchengemeinde singt mit und wippt auf den Stühlen.
Nähmaschine statt Geld
Auch Jovelyn Enot hat auf der kleinen Bühne vor der Wand mit der Aufschrift "I love Jesus" ihre Geschichte erzählt. Im Innenhof vor ihrer Hütte, nicht weit von der Kirche, hinter durcheinander geworfenen Brettern und Eimern hängt Wäsche auf einer improvisierten Leine. Auf dem Küchentisch im Inneren legt Jovelyn Enot Kleider mit Rüschen und Spitzen zusammen und ordnet sie auf einem Stapel.
Joveyln Enot: "Erst einmal will ich die Fortbildung abschließen, um eigene Kleider nähen zu können. Und irgendwann später hätte ich gerne einen eigenen kleinen Laden – vielleicht für Kleider oder andere Dinge, die ich selbst gestalten kann. Das ist mein Traum für die Zukunft."
Für Jovelyn Enot war der Kurs eine Unterstützung für ihren beruflichen Start. Wie viele Bewohner in philippinischen Armenvierteln hat sie nie wirklich gewerblich gearbeitet. An Stelle von Geld hat die vollautomatische Nähmaschine gestellt bekommen. Wenn sie genug Geld verdient, um etwas davon zurückzulegen, will Jovelyn Enot den Preis für die Maschine zurückzahlen. Das ist vertraglich vereinbart. Auf einem Formular mit Kirchenstempel und der Unterschrift von Jmark Palua.
Er erklärt: "Die Leute, die sich an unsere Ansprechpartner wenden, sind meist fast mittellos. Sie wissen auch nicht mit Geld umzugehen. Rücklagen für später zu machen, ist ihnen unmöglich. Häufig haben sie keine Arbeit oder ein regelmäßiges Einkommen. Doch viele von ihnen haben Ideen für ein kleines Geschäft. Und dann wenden sie sich damit an den Pastor oder unsere Ansprechpartner direkt mit ihrer Idee, wie sie ihrer Familie helfen können und auch für die Zukunft vorsorgen können."
Mikrokredite erhalten schätzungsweise mittlerweile 150 bis 200 Millionen Menschen weltweit. Viele Banken und Hilfsorganisationen bieten verschiedene Modelle an. Initiativen wie die Global Micro Initiative vergeben ebenfalls Mikrokredite auf den Philippinen - immer mit dem Ziel, dass sich Einheimische ein eigenes Geschäft aufbauen können. In Agdao nehmen inzwischen mehr als 200 Menschen jährlich einen zinslosen Kredit mit Hilfe der evangelikalen Kirche wie Jovelyn Enot auf. Für Peter Prove vom Weltkirchenrat ein durchaus probates Mittel.
"Allgemein verfolgen auch wir weiter die Linie, dass ökonomische Unterstützung und das Angebot von kleinen Mikrokrediten wichtige Bestandteile bei der Hilfe für einen Weg aus der Armut für Menschen auf den Philippinen sein können. Vor allem für Menschen, die sonst wahrscheinlich nie einen Zugang zu normalen Bankgeschäften oder anderen Finanzmöglichkeiten hätten."
Gewalt gegen kirchliche Helferinnen und Helfer
Das Geld aus den Mikrokrediten geht ausschließlich an Bewohner der Armenviertel, die sich über die Kirchengemeinde bewerben können. Sie gründen damit ein sari-sari store, einen kleinen Gemischtwarenladen, eröffnen einen Obststand oder bauen sich ein eigenes Fahrrad-Taxi.
Der Gründer der Organisation Dandelion, Johannes Hoffmeister, ist überzeugt, dass Geld spenden allein als Unterstützung nicht ausreicht - und dass die Kirchen, sowohl die katholische als auch die evangelikalen, auf den Philippinen für wirksame Hilfe im Alltag ein wichtiges zwischenmenschliches Bindeglied sind. "Wir brauchen hier vor Ort ein Netzwerk aus Partnern. Wir können das nicht alleine machen. Obwohl wir hier eine Menge Leute kennen, sind wir auf Mitarbeiter aus der Gesellschaft angewiesen, die sich hier auskennen. Das zieht weite Kreise. Wenn wir hier also vorankommen wollen - und das wollen wir – müssen wir auch unser Netzwerk vergrößern. Deshalb brauchen wir andere Organisationen, die hier bereits aktiv sind."
Daher arbeiten Hilfsorganisationen und die einzelnen Kirchen oft Hand in Hand. Den Betroffenen fehlt häufig der Überblick, an wen sie sich überhaupt wenden sollen. Denn ihr Alltag ist häufig davon bestimmmt, zu überleben.
Besonders in den Armenvierteln von Davao hat die aktuelle Regierung unter Rodrigo Duterte hart durchgegriffen - und so nicht nur die Bewohner stark verunsichert, sondern auch die Arbeit für Kirchenmitarbeiter und Hilfsorganisationen erschwert. Von den Philippinen erreichen Peter Prove immer wieder Nachrichten von Bedrohungen und Gewalt gegen Kirchenmitarbeiter.
"Was auch passiert, ist, dass Kirchenvertreter quasi gebrandmarkt werden, indem sie irgendwie in Verbindung gebracht werden mit den bewaffneten Flügeln der kommunistischen Partei, der New People´s Army oder anderen Gruppen. Das ermutigt dann andere, diese Menschen zu attackieren, sowohl mit Worten als auch mit Taten von unbekannten Splittergruppen."
"There is Freedom"
Häufig werden Kirchenvertreter festgenommen. Viele von ihnen sollen eingeschüchtert werden – gerade, wenn und weil sie sich auch für den Erhalt von Rohstoffen, das nachhaltige, regionale Bewirtschaften von Nutzflächen gegen die Interessen von Großkonzernen oder für die Menschenrechte einsetzen.
Prove: "Oft sehen sich die Kirchenmitarbeiter, die sich auf eine solche Arbeit mit ihrer Sichtweise eingelassen haben, nicht nur als Vertreter, sondern auch als das Sprachrohr ihrer Gruppen. Sie wollen sie auf gewisse Weise auch beschützen. Und sie sind damit konfrontiert, dass sonst eventuell niemand für diese Gruppen einstehen würde. Also sehen sie das als religiöse und moralische Pflicht, sich weiterhin auf diese Weise, auch unter Risiken, Gehör zu verschaffen."
Um dem nicht nur Gehör zu verschaffen, sondern bestenfalls eine Lebensgrundlage zu bieten, ist Jmark Palua fast täglich in Agdao unterwegs. Zwischen den Holzwänden der Hütten Agdaos, über zerdrückte Plastikflaschen hinweg, bahnt er sich seinen Weg durch die Gassen. Er ist unterwegs zu einer Bewerberin. Auf dem T-Shirt vor seiner Brust steht in großen weißen Buchstaben: There is freedom.
In der Mappe unter seinem Arm liegen die Antragsformulare für einen Kredit über umgerechnet etwa 200 Euro. Als er den Vorhang zur schummrigen Hütte aufschiebt, sitzt ihm eine Frau auf einem kleinen Schemel gegenüber und bittet ihn an den kleinen runden Tisch davor. Für Jmark Palua ist das alltägliche Arbeit: Mit Menschen sprechen, ihnen Dinge erklären und von Erfolgen anderer erzählen.
"Eines unserer ersten Projekte startete mit Triksikad, einer Fahrradrikscha. Für acht arbeitslose Männer, die auch nicht lesen konnten und deren Tag aus Rumsitzen bestand: Von morgens bis abends, betteln und dabei Leute anquatschen. Wir haben ihnen Triksikads geliehen, um Geld zu verdienen. Und das war der Anfang, bis hin zu heute über 200 Kreditnehmern. Das Ergebnis macht sich bemerkbar. Ich treffe inzwischen viele dieser Leute wieder, die ein Geschäft gegründet haben und tatsächlich mit dem Geld haushalten und investieren. So denken sie auch langfristiger und machen sich Gedanken über ihre Zukunft."
Anstehen an einer der Megachurches von Davao City.
Anstehen an einer der Megachurches von Davao City. (Deutschlandradio/Tilo Mahn)
Wer sonntags in Davao unterwegs ist, kommt nicht daran vorbei, an einer der riesigen Betonkirchen anzuhalten. Vor den Eingängen stehen Schlangen von Menschen. Vor der pompösen Bauten der katholischen Kirche werden Getränke und kleine Snacks verkauft. Die philippinische Bevölkerung ist sehr religiös. Über 90 Prozent gehören dem christlichen Glauben an. Gottesdienste, besonders die der vielen freien evangelikalen Kirchen, füllen im größten katholischen Land Asiens ganze Stadien. So kommen auch die Helfenden mit den Betroffenen in Kontakt.
"Nachdem der Pastor oder einer unserer Ansprechpartner die Daten des Bewerbers aufgenommen hat, geht das meist an mich weiter. Ich besuche die Leute dann daheim, stelle ein paar Fragen und sammele Informationen, um zu sehen, wie die Familie am besten unterstützt werden kann und was sie selbst glaubt, wie wir helfen können."
Kredite als Gabe und Bürde
Ohne die Kirche und den Glauben wäre das System der Mikrokredite auf den Philippinen schwer umsetzbar. Die Kirche gilt als moralische Instanz, wenn sie Geld leiht, ist das Gabe und Bürde zugleich. Denn einige der Kreditnehmer fürchten insgeheim den Ausschluss aus der Kirche, falls sie nicht zurückzahlen.
Atencio Quibo ist extra mit seiner Familie umgezogen, um seine finanzielle Situation zu verbessern. Jeden Tag verkauft seine Frau im Laden, nur abgetrennt durch eine Holzwand vom Wohnzimmer, kleine Chipstüten, Seife oder Getränke, um das Familieneinkommen aufzubessern. Atencio Quibo selbst pendelt mit dem Motorroller jeden Tag zu seinem Obststand vor dem nahe gelegenen Einkaufszentrum.
Er sagt: "Wir haben uns entschieden, hierher zu ziehen, weil es günstiger ist und wir den Kredit schneller zurückzahlen können. Insgesamt sind unsere Ausgaben weniger geworden. So können wir jetzt Geld sparen und noch mehr vom Kredit profitieren. Der Umzug und das neue Geschäft haben also unsere Kosten gesenkt und uns bleibt am Ende mehr."
Jmark Palua verteilt die Klein-Kredite im Auftrag der Kirche und führt Buch über die Rückzahlung.
Jmark Palua verteilt die Klein-Kredite im Auftrag der Kirche und führt Buch über die Rückzahlung. (Deutschlandradio/Tilo Mahn)
Der Alltag von Atencio Quibo hat inzwischen eine feste Struktur. Morgens Vorräte besorgen, Obst zum Stand vor dem Einkaufszentrum fahren, wo sein Cousin bereits auf dem kleinen Trittbrett davorsteht und Mangos und Papayas in kleine Stücke schneidet. Atencio Quibo sammelt die Stücke in kleinen Bechern, steckt Plastikgabeln dazu und verkauft die Portionen an vorbeieilende Geschäftsleute.
Am frühen Abend fährt er dann zurück, tankt unterwegs noch den Motorroller. Daheim am Küchentisch zählen die Quibos gemeinsam Geld und rechnen die Einnahmen im Taschenrechner zusammen. Draußen auf der staubigen Straße bellen herrenlose Hunde im Schatten tiefhängender Palmenblätter.
Von Frauen kommen die meisten Anfragen
Längst nicht alle Kreditnehmer können das Geld in der vereinbarten Zeit zurückzahlen. Häufig müssen sie erst andere Schulden tilgen. Oder es geht etwas am Haus kaputt. Schnell wird dann das zurückgelegte Geld ausgegeben. Der Alltag und die Realität, von der Hand in den Mund zu leben, holt viele Bewohner in Agdao schnell wieder ein. Längst nicht alle Investitionen sind Erfolgsgeschichten. Doch über die Jahre blicken die Organisationen auf immer bessere Rücklaufquoten in den dicken handgeschriebenen Büchern. Und neue Geschäfte entstehen: Kleine Bäckereien, provisorische Werkstätten und Unternehmen.
Nach wie vor kommen die meisten Anfragen von Frauen. Um das Überleben der Familie zu sichern, übernehmen viele von ihnen Zusatzjobs oder kleine Verkaufsstände. So wie eben auch Jovelyn Enot. An ihrem Nähtisch daheim in der Hütte liegen mittlerweile gestapelte Stoffe und halbfertige Kleider. Auch dank ihrer Eltern läuft ihr kleines Geschäft immer besser an.
Joveyln Enot erzählt: "Für mich war das eine große Hilfe. Gerade, wo meine Mutter und mein Vater auch Schneider sind und Kleider herstellen. Häufig haben sie so viel zu tun, dass sie jetzt einige ihrer Arbeiten an mich abgeben, um zum Beispiel Kleider fertig zu nähen. Von ihren Aufträgen oder denen ihrer Nachbarn – das können sie mir dann weitergeben, was mir wiederum natürlich hilft."
Um die Ecke oberhalb der Stufen vor Jovelyn Enots Haustür knattern Motorrad-Taxis vorbei. Menschen schleppen Metallteile über die Straße. Keine 500 Meter entfernt liegt im kleinen Büro der Hilfsorganisationen ein Stapel von Anträgen. Von anderen Menschen mit wenig Geld und kleinen Ideen für die Zukunft. Von Menschen, die sonntags gerne ihre Geschichte in der King´s Chapel erzählen würden, wie ihnen ein Kredit geholfen hat, ein besseres Leben zu führen.
*Der Autor war vor der Corona-Pandemie in Davao City. Seit dem 17. März 2020 gelten strenge Quarantänemaßnahmen, die nur kurze Einkäufe und den Weg zur Arbeit erlauben. Zwischen 20.00 Uhr und 5.00 Uhr gilt eine Ausgangssperre.