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Kirchenrechtler über Synodalen Weg
Römisch-katholische Kirche "nicht reformierbar"

Norbert Lüdecke, Professor für Kirchenrecht in Bonn, hat ein provokantes Buch geschrieben: "Die Täuschung". Demnach täuschen Bischöfe die Gläubigen, indem sie ihre Macht mit dem kuscheligen Bild von Hirt und Herde verdecken. Die Schäfchen ließen sich davon einlullen, auch in der aktuellen Reformdebatte.

Norbert Lüdecke im Gespräch mit Christiane Florin |
Schafe grasen im Licht der untergehenden Sonne auf dem Tempelhofer Feld.
Das Bild von Hirte und Herde ist Teil des katholischen Selbstverständnisses (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
Die römisch-katholische Kirche in Deutschland ist auf dem Synodalen Weg. Das bedeutet: Bischöfe – gemeinhin Hirten beziehungsweise Oberhirten genannt – sprechen regelmäßig mit der Herde darüber, ob und was verändert werden sollte. Vertreten wird die Herde in diesem Diskussionsprozess durch das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken ZdK. Am Anfang des Synodalen Weges stand eine Studie, die das Ausmaß sexualisierter Gewalt in kirchlichen Einrichtungen und systemische Risiken benannt hat. Am Ende sollen Beschlüsse stehen.
Der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke nennt in seinem neuen Buch "Die Täuschung. Haben Katholiken die Kirche, die sie verdienen?" den Synodalen Weg eine "Partizipationsattrappe". Laien – so heißen nicht-geweihte Katholikinnen und Katholiken – bekämen zwar den Eindruck, mitreden zu dürfen, entscheiden dürften sie aber nicht. Diese Täuschung habe eine lange Tradition, schreibt Lüdecke. Sie sei schon in der Gründungsphase des Zentralkomitees in der Nachkriegszeit erkennbar gewesen: "Die Laien sollten das Gefühl haben, mit und in diesem Gremium zu führen und selbständig zu handeln, ohne es tatsächlich zu sein."
Im Interview mit dem Deutschlandfunk erklärt der Kirchenrechtler diese Schein-Beteiligung mit einer Demokratiephobie der römisch-katholischen Bischöfe: "Sie entwickelten Konkurrenzängste und Kontrollbedürfnis und vor allen Dingen etwas, das sich wie ein roter Faden bis heute durchzieht: eine Demokratie- und Parlaments-Phobie. Sobald der Eindruck entstand, das Selbstbewusstsein könnte in Richtung Entscheidenwollen gehen, dann wuchs der Argwohn." Laien würden zwar an die kurze Leine genommen, aber sie sollten es nicht merken.
Immer wenn der Druck im Kessel hoch und die Unzufriedenheit der Laien bedrohlich für Bischöfe werden könnte, griffen Hierarchen auf "Gesprächsarrangements" zurück – im Buch nennt er es "Partizipationsattrappe". "Dann war zunächst wieder Ruhe, und je nach Station dauerte es etwas länger oder auch kürzer bis der Pegel wieder so hoch war, dass ein erneuter Gesprächsprozess initiiert werden musste. Die Laien wiederum lassen sich gern locken mit "Weichzeichner"-Wörtern wie "gemeinsam", "unterwegs" und "miteinander auf dem Weg sein". Das lenke davon ab, dass die römisch-katholische Kirche eine ständische Instituion ist, in der Kleriker und Laien nicht gleichberechtigt sind. Wenn ein König mit seinem Gärtner durch den Park geht, dann sind die sicher auf einem gemeinsamen Weg. Aber die sind ja nicht gleich, geschweige denn gleichberechtigt", so Lüdecke.
Der Synodale Weg könne an dieser ständischen Institution nichts Grundlegendes verändern. "Ich halte das geschlossene System der römisch-katholischen Kirche für nicht reformierbar", sagt der Theologe und Professor für Kanonistik. Auf dem Synodalen Weg, an dem sich viele seiner Kolleginnen und Kollegen beteiligen, herrsche das Prinzip Hoffnung. "Man sieht die strukturelle Beschränktheit, man sieht die Sackgasse, aber man hofft, dass in diesem Prozess gruppendynamisch etwas passiert und etwas entsteht, dem sich die Hierarchen nicht entziehen können. Es belegt, dass man strukturell ohnmächtig ist und darauf hofft, die Hierarchen als Personen zu erreichen. Aber man bleibt in der Abhängigkeit, man bleibt im Appellmodus an die moralische Tugend der Hierarchen."
Sein Buch sieht er als Plädoyer für einen erwachsenen, aufgeklärten Blick auf die katholische Kirche. "Aufklärung ist die Voraussetzung für Emanzipation".

Christiane Florin: Es gab schon viele Reformankündigungsrunden in den vergangenen Jahrzehnten. Der Kirchenrechtler Norbert Lüdecke hat analysiert, wie solche Diskussionen zwischen Bischöfen und Laien ablaufen. Und sein Buch heißt wie ein Kriminalroman, nämlich "Die Täuschung", da schwingt Vorsatz mit. Norbert Lüdecke ist Professor für Kirchenrecht an der Universität Bonn. Wir haben uns gestern gesprochen und zunächst einmal das Bild von Hirten und Herde betrachtet. Meine erste Frage an ihn war: Für wen ist die Schafsmetapher eine Beleidigung: Fürs Tier oder für die Menschen?
Norbert Lüdecke: Ich denke, dass die Laien sich dieses Bild des Schafs nicht selber suchen würden. Natürlich wird erklärt, biblisch sei dieses Hirten-Motiv gerade um der Fürsorge für die Schafe Willen gewählt worden. Aber klar ist ja auch, dass die Schafe deswegen der Fürsorge bedürfen, weil sie nicht selbstständig ihre Futterplätze finden und sich versorgen können, sondern dass dazu immer dieser Aufseher gehört. In dieser Position befinden sich dann in der realen Kirchenwelt Laien ja auch. Sie sind eben nicht selbstständig und autonom, sondern sie werden als ekklesionome Wesen verstanden, die nach lehramtlicher und hierarchischer Vorgabe ihr Leben zu leben haben.

"Manche fühlen sich in klerikaler Versorgung eingekuschelt"

Florin: Eine Herde ist nicht nur etwas Hierarchisches, sondern sie hat ja auch etwas kuschelig Wärmendes. Was wäre besser, wenn mehr Menschen so kühl wie Sie sagen würden: Liebe Laien, die katholische Kirche ist eine absolutistische Monarchie, da gilt eine Ständeordnung - und der untere Stand, der Laienstand hat eben nichts zu sagen und der Klerikerstand bestimmt.
Lüdecke: Na ja, es gibt ja durchaus Laien, die damit zufrieden sind. Das ist auch völlig okay. Im Übrigen ist das nicht meine Theorie, die Kirche sei eine absolutistische Monarchie, sondern das ist lediglich die Übersetzung des Kirchenrechts in eine politologische Terminologie. Es ist aber nicht meine Erfindung, sondern die Kirche sieht sich selbst in ihrem Rechtssystem ja auch so.
Florin: Was wäre besser, wenn das offen gesagt würde und nicht mit Schafswolle verdeckt wird wie im Bild von Hirten und Herde?
Lüdecke: Ich stelle mir vor, dass dann zumindest die Laien erwachsen, mit offenen Augen auf ihre Kirche schauen könnten und sich dann noch mal ineinander möglicherweise in ein anderes Verhältnis setzen könnten. Wie gesagt, manche fühlen sich ja durchaus in klerikaler Versorgung eingekuschelt. Das ist ja auch völlig respektabel.
Es gibt aber viele, die ihr Unbehagen dagegen äußern, dass sie sich ja in kognitiven und auch in existenziellen Dissonanzen befinden. Es wird auch von Synodalen der Konflikt geschildert, im demokratischen Staat selbstbewusster und mitbestimmender Bürger zu sein, gleichzeitig als Katholik aber religiöser Monarchist - und sogar kirchenamtlich mit dem Anspruch, dass die katholische Seele den demokratischen Bürger zu überformen hat.

"Demokratie und Parlamentsphobie der Bischöfe"

Florin: In Ihrem Buch gehen Sie zurück in die Nachkriegszeit. Sie beschreiben, wie die Bischöfe damals das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, also die organisierten Laien, eingebunden haben. Ich nehme zwei Zitate aus Ihrem Buch. Sie schreiben: "Die Laien sollten das Gefühl haben, mit und in diesem Gremium zu führen und selbständig zu handeln, ohne es tatsächlich zu sein." An anderer Stelle schreiben Sie: "Die Laien sollten sich frei fühlen, ohne es wirklich zu sein." Warum war diese Selbstständigkeit Ihrer Ansicht nach nicht substanziell, sondern nur ein Gefühl?
Lüdecke: Man muss sehen: Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken stellt sich heute immer noch in seiner Selbstdarstellung in die Tradition des Zentralkomitees der Katholikentage im 19. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert erwarten sich die Laien ein ziemlich starkes Selbstbewusstsein in katholischen Verbänden. Sie nahmen nämlich die neuen Menschenrechte, Grundrechte, vor allem das der Vereinigungsfreiheit, im Staat wahr, um für die Kirche politisch erfolgreich zu sein. Natürlich funktionierte in demokratisch werdenden Staaten das alte System "Papst richtet es mit den jeweiligen Monarchen" nicht mehr, sondern die Laien wurden jetzt als Transmissionsriemen kirchlicher Interessen gebraucht. Das taten sie auch im 19. Jahrhundert, wurden erfolgreich und nahmen an Selbstbewusstsein zu.
Das rief aber den Argwohn der Bischöfe auf den Plan. Sie entwickelten Konkurrenzängste und Kontrollbedürfnis und vor allen Dingen etwas, das sich wie ein roter Faden bis heute durchzieht: eine Demokratie- und Parlaments-Phobie. Sobald der Eindruck entstand, das Selbstbewusstsein könnte in Richtung Entscheidenwollen gehen, dann wuchs der Argwohn.
Ehemaliger Schüler am Canisius-Kolleg - Kollektiver Rücktritt deutscher Bischöfe wäre angezeigt gewesen
Matthias Katsch löste vor zehn Jahren die Berichterstattung über sexuelle Gewalt mit aus. In einem Buch zieht er Bilanz. Er vermisst, dass Bischöfe und Laien Verantwortung übernehmen.
Das Ganze wurde dann aber in der Nazizeit zerschlagen. Und wir haben nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland die Situation, dass die deutschen katholischen Bischöfe die Chance sahen, jetzt, wo alles am Boden liegt und Aufbau angesagt war, auch wieder eine Rekatholisierung der Gesellschaft und des Staates vornehmen zu können. Da kamen die Laien als Helfer wieder ins Spiel.
Allerdings gab es unter den Laien auch Ansätze, an die alte starke Verbandstradition anzuknüpfen, so etwas wie den Katholischen Volksverein Deutschlands, der eine einflussreiche Organisation war, wiederzubeleben. In dem Moment schalteten sich die Bischöfe, inspiriert vor allem von einem politisch sehr begabten Kölner Prälaten - Wilhelm Böhler - ein und riefen das Zentralkomitee der deutschen Katholiken sozusagen wieder in Erinnerung.

Die Laien sollen die kurze Leine nicht merken

Florin: Und das bedeutete?
Lüdecke: Man erinnerten an alte Zeiten. Böhler hat Frings (Kardinal Frings, damals Erzbischof von Köln) gesagt, ich habe eine bestimmte Vorstellung von diesem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, nämlich drei Gruppen: Leute aus den Gemeinden, Verbandsmitglieder und Personen des öffentlichen Lebens. Und er sagte: Wir müssen aufpassen – manche der Bischofskollegen wollen die Laien an die ganz kurze Leine nehmen. Und das ist gefährlich, denn wenn die die kurze Leine merken, dann demotiviert das möglicherweise. Deswegen müssen wir dafür sorgen, satzungsmäßig, dass einerseits eine Bindung bestehen bleibt, sie aber andererseits das Gefühl haben, in ihrem Bereich doch selbständig arbeiten zu können, ohne aber wirklich selbständig zu sein. Und satzungsmäßig sind sie personell und finanziell nach wie vor abhängig von den Bischöfen.
Professor Norbert Lüdecke lächelt in die Kamera
Norbert Lüdecke hält die Kirche in zentralen Punkten für nicht reformierbar (wbg Theiss / Uni Bonn / Volker Lannert)
Florin: "Die Täuschung" heißt Ihr Buch. Wer täuscht da eigentlich wen? Nach Ihrer bisherigen Schilderung, wenn ich die Nachkriegszeit nehme, hat der Prälat die Laien getäuscht.
Lüdecke: Die Täuschung ist bewusst nicht mit einem Akteur versehen, sondern ist mehrdeutig. Es gibt einerseits Leute, die täuschen die Laien, und das sind Leute, die Kirche nicht so darstellen, wie sie realistisch ist. Und realistisch heißt, wie sie in ihren unaufgebbaren Strukturen sich auch amtlich artikuliert. Das ist die Täuschung der Laien.
Es gibt aber auch einen Selbsttäuschungsanteil. Ich habe den Eindruck, dass manche Laien gar nicht sehen wollen, wie diese Kirche ist, weil sie möglicherweise durch diese Wahrnehmung genötigt sind, sich in ein neues Verhältnis zur Kirche zu bringen oder vielleicht in ein kritisches Verhältnis zur Kirche zu bringen oder in ein kritisches Verhältnis. Und das wollen sie gar nicht.

Sind die Bischöfe virtuose Täuscher und Trickser?

Florin: Wenn ich Ihre Ausführungen mit einer machiavellistischen Brille lese, Sie beschreiben ja die verschiedenen Reformen: Versuche, Gesprächsprozesse bis hin zum Synodalen Weg, dann würde ich sagen: Kompliment an die Bischöfe, die es trotz all der Krisen und der Reformdiskussionen geschafft haben, dass ihre Macht nie gefährdet war. Sind die Bischöfe so virtuose Täuscher, haben die so viele Tricks drauf?
Lüdecke: Ob denen das immer bewusst ist, also ob das jetzt wirklich die machiavellistischen Strategen sind, die hier trickreich unterwegs sind, lasse ich mal dahingestellt. Mir geht es auch nicht so sehr darum, Etiketten zu kleben, sondern ich beschreibe einfach, was im Nachkriegskapitalismus passiert ist und hoffe, dass diese Beschreibungen zutreffend sind und als Augenöffner fungieren.
Ich nehme wahr: Es gab verschiedene Stationen, an denen der Druck im Kirchenkessel sehr groß war und der Laien-Unmut für Hierarchen doch bedrohliche Stärke und Intensität annahm. Immer dann haben die Hierarchen - das sind ja verschiedene Generationen von Bischöfen - auf dasselbe wie ich es nenne "Skript" zurückgegriffen und legten solche Gesprächs-Arrangements auf, die im Effekt dazu führten, dass der enorme Druck zunächst einmal ein Ventil fand, daher abgelassen werden konnte und sich verringerte. Dann war zunächst wieder Ruhe, und je nach Station dauerte es etwas länger oder auch kürzer bis der Pegel wieder so hoch war, dass ein erneuter Gesprächsprozess initiiert werden musste.

"Es gelingt, die Kirche mit einem Weichzeichner zu beschreiben"

Florin: Ein wichtiger Punkt ist die Würzburger Synode, die ist 50 Jahre her. Das war nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und hatte auch mit der Aufregung um die päpstliche Enzyklika "Humanae Vitae" zum Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung zu tun. Die Themen damals vor 50 Jahren waren dieselben wie heute auf dem Synodalen Weg: Machtverteilung, Partizipation der Laien, Gleichberechtigung von Frauen. Woher kommt diese Geduld zur Immer-Wiedervorlage?
Lüdecke: Ehrlich gesagt weiß ich das nicht genau. Ein Moment ist, dass der historische oder zeitgeschichtliche Überblick möglicherweise fehlt. Da bin ich als Älterer natürlich etwas im Vorteil, wenn ich daran denke. Ich war im Teenie-Alter als die Würzburger Synode stattfand. Ich habe nichts davon mitbekommen, sondern meine theologische Ausbildung in Bonn war von zwei Hoffnungssymbolen geprägt, nämlich Zweites Vatikanisches Konzil und Würzburger Synode. So ist das vermittelt worden, als die großen Reformversprechen der Ereignisse.
Aber auf Dauer musste man doch merken, dass das, was man wollte, nicht dabei herausgekommen ist, dass damals schon die Voten, die man an den Apostolischen Stuhl gesandt hat, nicht einmal beantwortet wurden, geschweige denn positiv beschieden wurden.
Also der eine Punkt ist, dass dieser zeitgeschichtliche Horizont fehlt. Der andere Punkt ist: Dass es offenbar den Bischöfen und auch Theologen, denen daran liegt, dass die Laien bei der Stange bleiben, es immer wieder gelingt, die Kirche mit einem solchen Weichzeichner zu beschreiben, dass von vornherein es schon länger dauert bis der Unmut-Druck wieder ansteigt.

"Im katholischen Wörterbuch ist Gleichheit mit Nicht-Gleichberechtigung völlig verbindbar"

Florin: Zum Weichzeichnen gehört, so stellen Sie es dar, die Sprache. Es gibt Zauberwörter, wie "unterwegs sein, gemeinsam, miteinander" - ein bisschen neuer, aber auch schon ein paar Jahre alt: "auf Augenhöhe". Worin liegt die Zauberkraft oder der Zaubertrick bei der Verwendung dieser Worte?
Lüdecke: Es gibt eine Art katholisierende Semantik, also eine katholische Bemächtigung von umgangssprachlich vertrauten Wörtern, die man aber dann mit einem katholischen Inhalt füllt. Für mich der schlagendste Beweis ist die Rede von der Gleichheit aller Gläubigen in der Kirche. Wobei das schon verkürzt ist: Denn in den Texten steht "die wahre Gleichheit", und dann denken natürlich alle Gläubigen: Wahre Gleichheit - das heißt Gleichberechtigung.
Aber mitnichten. Die Gleichheit in der Kirche ist lediglich eine in der Würde, die aber, anders als im Staat, in keiner Weise umgemünzt wird in eine Gleichberechtigung hinsichtlich der politischen Willensbildung oder auch der Gleichheit im Gesetz oder vor dem Gesetz. Das, was im Staat menschenrechtlich begründet zwingend verkoppelt ist, nämlich Würde, Gleichheit und Gleichberechtigung, das ist gerade im katholischen Sprachgebrauch der katholischen Gleichheit entkoppelt. Im katholischen Wörterbuch ist Gleichheit mit Nicht-Gleichberechtigung völlig verbindbar.
Florin: Und "gemeinsam" heißt eben auch nicht gleichberechtigt. "Nur ich" kann auch gehen innerhalb einer ständischen Ordnung.
Lüdecke: Richtig. Also Gemeinsamkeit wird permanent beschworen und auch in dem Wort "Communio "immer wieder angezeigt. Aber Gemeinsamkeit heißt ja mitnichten zwingend Gleichheit. Wenn ein König mit seinem Gärtner durch den Park geht, dann sind die sicher auf einem gemeinsamen Weg. Aber die sind ja nicht gleich, geschweige denn gleichberechtigt.

Das Prinzip Hoffnung

Florin: Am Synodalen Weg beteiligen sich viele Kolleginnen und Kollegen von Ihnen, Theologinnen und Theologen. Die sind doch nicht alle naiv. Die wissen doch, dass in einem hierarchischen System Augenhöhe qua Verfassung nicht gegeben sein kann. Warum machen sie mit?
Lüdecke: Das ist natürlich eine Frage an meine Kolleginnen und Kollegen.
Florin: Aber Sie sprechen ja miteinander, vermute ich.
Lüdecke: Ja. Das Motiv, das ich dahinter sehe und wahrnehme ist ein Prinzip Hoffnung. Man sieht die strukturelle Beschränktheit, man sieht die Sackgasse, aber man hofft, dass in diesem Prozess gruppendynamisch etwas passiert und etwas entsteht, dem sich die Hierarchen nicht entziehen können.
Es belegt, dass man strukturell ohnmächtig ist und darauf hofft, die Hierarchen als Personen zu erreichen. Aber man bleibt in der Abhängigkeit, man bleibt im Appellmodus an die moralische Tugend der Hierarchen.
"Synodaler Weg" in der katholischen Kirche - "Wir werden die Reformen hinbekommen"
Es scheint, als sei der Reformprozess in der katholischen Kirche durch Papst Franziskus beendet worden. Doch er bleibe optimistisch, sagte der Theologe Thomas Söding im Dlf.
Florin: Aber es hat sich im Laufe der langen Geschichte der römisch-katholischen Kirche doch ab und an etwas verändert, auch etwas Grundlegendes. Nehmen wir das Verhältnis zu anderen Religionen, auch das Verhältnis zur Demokratie. Warum meinen Sie, das Prinzip Hoffnung habe keine sachliche Grundlage?
Lüdecke: Na ja, weil die Beispiele, die Sie nennen, so grundlegend auch wieder nicht sind. Das Verhältnis zur Demokratie hat sich geändert, ja - aber die große Frage ist: Ist das eine wirkliche Akzeptanz oder ist das ein opportunistisches Hinnehmen? Aber nehmen wir es mal als Akzeptanz. Wenn man genau hinschaut, auch in den Katechismus: Da wird nicht einfach die Demokratie anerkannt, sondern auch da wird - dieses verräterische Wort "wahr" – die "wahre Demokratie" thematisiert. Die besteht dann, wenn die zehn Gebote eingehalten sind. Also die perfekte Demokratie ist dann erreicht, wenn sie auch katholisch imprägniert ist.
Wenn Sie sagen, es kann sich was ändern: Es kann sich in den vom kirchlichen Lehramt als unveränderbar markierten Punkten eben nichts ändern! Deswegen sind all die heißen Eisen inzwischen alte Eisen, die schon in der Würzburger Synode thematisiert wurden, ohne dass sich etwas ändert. Das ständische System, das zugleich ein geschlechterhierarchisches System ist, gilt als von Christus, als von Gott gestiftet und gewollt und damit als nicht änderbar. Dann meint man, mit dem Wort "synodal" etwas Demokratieanaloges hineintragen zu können. Aber auch das ist wieder eine sprachliche Verwischung, denn "synodal" heißt nichts Anderes als beratend. Punkt.

Reicht der Reformwille?

Florin: Die Austrittszahlen sind hoch, auch wenn sie 2020 nicht ganz so hoch waren wie 2019. Wie lesen Sie solche Zahlen?
Lüdecke: Die Kirchenaustrittszahlen haben immer solche Peaks in einem Abstand von Jahrzehnten manchmal gezeigt und sind dann wieder gesunken. Aber sie sind nie auf den Ursprungszustand zurückgegangen, sondern pendeln sich jeweils auf einem höheren Niveau ein. Wir haben im Moment wirklich, wieder so einen Peak. Ich halte es auch für eine Selbstberuhigung und Verharmlosung zu sagen: Na ja, 2020 waren es etwas weniger als 2019. Man wird sehen, was passiert, wenn der Synodale Weg scheitert, also die Hoffnungen, die in ihn gesetzt werden, nicht erfüllt werden.
Symbolbild Kirchenaustritt
Immer mehr Menschen kehren der Kirche den Rücken (dpa / Ingo Wagner)
Florin: Auch wenn es viele sind, die austreten, ist es doch auffällig, dass noch sehr viele bleiben, mehr als 20 Millionen. Vielleicht, weil sie im Großen und Ganzen zufrieden sind, weil sie die Kirche als Heimat empfinden, weil sie die Liturgie für den Glauben brauchen, die Gemeinschaft, vielleicht, weil sie sagen: Eine Gesellschaft braucht große Institutionen. Kann es sein, dass der Reformwille nicht so entschieden ist, dass er eben nicht reicht, um zu sagen: Wenn das jetzt nicht kommt, dann gehe ich?
Lüdecke: Das ist in der Tat so, das sehe ich ganz genauso. Für mich ist zum Beispiel nicht nachvollziehbar, dass das ZDK sich auf diesen Synodalen Weg eingelassen hat, obwohl die Bedingungen, die es vorher nannte, zum Beispiel Frauenordination, Gleichberechtigung von Klerikern und Laien, nicht erfüllt sind. Und die Laien machen trotzdem mit. Warum hat man nicht als ZDK auf die Anfrage der Bischöfe hin gesagt: "Gerne. Aber erst ab dem Moment, wo wir erkennen können, dass jemand bei dem eigentlichen Problem, um das es ja gehen sollte, nämlich dem Missbrauchsskandal, dass hier einer oder mehrere einmal wirklich Verantwortung übernimmt und auch persönliche Konsequenzen zieht." Das kann ich bis heute nicht nachvollziehen, warum das nicht gemacht wurde. Stattdessen geht man auf den Synodalen Weg, befasst sich mit Binnenthemen und der Missbrauch ist zu einem Berichtsgegenstand von Bischöfen geworden.
Sexueller Missbrauch: "Laien merken sehr spät: Wir sind nicht unschuldig, wir sind in Mitverantwortung"
Florin: Wir hatten in dieser Sendung ein Interview mit Mara Klein. Das ist die einzige diverse Person im Plenum des Synodalen Wegs. Mara Klein hat öffentlich gesagt, dass die Verantwortlichen für die Vertuschung des Missbrauchs nicht irgendwo auf dem Mars oder auf fremden Planeten sitzen, sondern in Gestalt von Bischöfen im Plenum des Synodalen Weges. Wünschen Sie sich, dass Bischöfe jetzt in diesen Versammlungen offensiv zur Rede gestellt werden?
Lüdecke: Damit ist es doch nicht getan. Das mag vielleicht entlasten und man kann mal Dampf ablassen. Aber das Entscheidende ist doch, dass Aufarbeitung im Sinne von Beseitigung der Ursachen passiert, das kann man auf dem Synodalen Weg nicht. Jedenfalls erkenne ich nicht, wie das geschehen soll.
Man kann natürlich viel Geld in Prävention stecken. Aber man muss doch wissen: Wovor beuge ich vor? Wenn ich das nicht vorher geklärt habe, sondern bestimmte Dinge schon ausscheiden - also der Zölibat darf es nicht sein, die Sexuallehre darf es nicht sein – dann brauche ich mich an Aufarbeitung gar nicht zu machen. Wenn ich wahrnehme, dass im Bistum Trier, also dem Bistum des Missbrauchsbeauftragten der Deutschen Bischofskonferenz, im Jahre 2021 die Aufklärung und die Aufarbeitung beginnen, dann fällt mir wenig ein.
Katholische Kirche und Diversität - Mara Klein: "Ich bin zornig"
Mara Klein nimmt am Diskussionsprozess "Synodaler Weg" teil – als einzige diverse Person. Mara Klein vermisst die redliche Aufarbeitung sexualisierter Gewalt.
Florin: Das hat doch mutmaßlich auch damit zu tun, dass von den Laien in Sachen Aufarbeitung wenig Druck erfolgt ist. Die Aufarbeitung oder auch die Suche nach Gerechtigkeit wurde den Betroffenen selbst überlassen und auch den Medien, die den Betroffenen zugehört haben und ihre Geschichten erzählt haben. Warum ist es nicht ein Kernanliegen der Laien, aufzuarbeiten?
Lüdecke: Genau so sehe ich das auch. Die Laien haben sich hier zurückgehalten und haben gesagt: Na ja, das sind Priester-Täter. Und es sind Bischofs-Täter, also die Täter über den Tätern. Aber sie haben sich selber schön rausgehalten. Da ist im Moment - allerdings sehr spät, glaube ich - ein gewisses Umdenken im Gange. Laien merken doch, da sind wir nicht unschuldig dran. Wir sind ja in der Mitverantwortung, denn wir gehören zu den Menschen, die Priester zum Beispiel als völlig unbezweifelbare Autoritäten hingestellt haben. Es ist ein Risikofaktor, der besonders gefährlich ist für Kinder, wenn es solche Personen gibt.
Wobei ich dann die Schuld der Laien ein klein bisschen mindern möchte: Wenn katholische Gläubige Jahrhunderte in dieser Ehrfurcht vor den Priestern, vor den Hirten erzogen worden sind, dann kann man ihnen später redlicherweise schlecht vorwerfen, dass sie Priester als hoch anzusehende Persönlichkeiten gesehen haben. Bis heute steht im Codex (Kirchenrecht) die Rechtspflicht aller Gläubigen, den Hirten mit Ehrfurcht und Gehorsam zu begegnen.

"Das einzige, worauf es mir ankommt, ist Aufklärung"

Florin: Wie erkennen Sie, ob jemand wirklich etwas verändern will?
Lüdecke: Kardinal Marx hat mal gesagt, die Kirche reagiert nur auf Druck. Ob jemand wirklich etwas verändern will erkenne ich daran, dass jemand nicht nur redet, sondern sich auch Gedanken macht: Wie kann ich das, was ich hier als Reform-Anliegen äußere, zumindest mit einem gewissen Gegendruck versehen?
Ich bin der Überzeugung, dass es in den den Kernpunkten gar nicht geht. Ich halte das geschlossene System der römisch-katholischen Kirche für nicht reformierbar. Aber die Laien, die sagen: Doch, das geht - von denen würde ich erwarten, dass man irgendwie erkennen kann, was sie denn tun, wenn der Synodale Weg nicht so funktioniert, nämlich als Reformweg, wie sie sich das versprochen haben.
Florin: Wenn der Synodale Weg ein so aussichtsloses Reformprojekt ist, wie Sie es beschreiben, warum wird er dann von rechtskatholischer Seite, vonseiten derer, die alles so lassen wollen, wie es ist, so entschieden bekämpft bis hin zur Diffamierung?
Lüdecke: Ich halte das für eine überzogene Angst. Ich halte den Synodalen Weg im Endeffekt für völlig ungefährlich. Ich denke, dass diese Menschen einfach wahrnehmen, dass es immer mehr gibt, die das, was sie als heile Kirche verstehen, ganz anders sehen und dass sie sich immer mehr möglicherweise in einer Minderheitsposition sehen. Das drängt sie zur Abgrenzung und möglicherweise auch zur Denunzierung.
Florin: Wenn Katholikinnen und Katholiken mehr auf Sie hören würden und weniger auf auf Benedikt XVI., Kardinal Marx, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken oder wen auch immer: Was wäre anders?
Lüdecke: Mir kommt es nicht darauf an, dass jemand auf mich hört. Also eine politische Agenda habe ich nicht. Wenn manche jetzt schon in den ersten Reaktionen sagen, das sei Polemik, was ich schreibe, dann verstehe ich das ehrlich gesagt nicht. Denn ich beschreibe nur. Die einzige Würze, die ich benutze, ist vielleicht etwas mehr Anschaulichkeit als normalerweise in Texten von Kanonisten der Fall ist.
Ich fordere niemanden auf, etwas zu tun. Das einzige, worauf es mir ankommt, ist Aufklärung. Aufklärung ist die Voraussetzung für Emanzipation. Wenn man meint, man sei in einer Abhängigkeits-Position von der katholischen Kirche, mit der man nicht fertig wird, an der man leidet und aus der man raus möchte, dann steht Emanzipation an. Aber die muss jeder selber leisten. Für mich geht es nur darum, dass man sehenden Auges eine Entscheidung trifft.
Norbert Lüdecke - "Die Täuschung - Haben Katholiken die Kirche, die sie verdienen?"
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Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.