Archiv

Kirchenverfolgung in der kommunistischen Tschechoslowakei
"Pfarrer Toufar ist verschwunden"

Die Kirchenverfolgung ist eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der kommunistischen Tschechoslowakei. Ein Auslöser: das so genannte Kreuzwunder von Cihost. Das Kreuz der Dorfkirche soll sich bewegt haben, als Pfarrer Toufar 1949 eine Messe feierte. Danach strömten die Menschen. Das Regime wurde nervös: Toufar wurde so lang gefoltert, bis er starb.

Von Kilian Kirchgessner |
    das erste Opfer des kommunistischen Regimes, das aus den Reihen der Kirche stammt.
    Pfarrkirche von Cihost. Pfarrer Josef Tourfar war vermutlich das erste Opfer des kommunistischen Regimes, das aus den Reihen der Kirche stammt (Kilian Kirchgeßner)
    In Schwarz-Weiß laufen die Bilder aus einem böhmischen Dorf über den Fernsehschirm; Häuser mit kleinen Vorgärten, ein Schmied repariert die Deichsel einer Kutsche, eine Bäuerin treibt die Hühner in den Stall.
    "Es ist ein Wintermorgen, ein typischer Tag im Winter. Cihost ist eine kleine Gemeinde, die die Ruhe nach den anstrengenden Aufgaben des Tages genießt."
    Von 1950 stammt der Film, und was so harmlos beginnt, ist ein kommunistischer Propagandafilm zu einem Fall, der bis heute die Tschechen in Atem hält: Um ein Wunder geht es, das sich in einer kleinen Dorfkirche zugetragen haben soll, und vor allem um einen Pfarrer namens Josef Toufar, den die Staatssicherheit mit bestialischer Brutalität über Wochen zu Tode foltert.
    "Der Priester Toufar hat gestanden."
    "Er gab auch zu, dass er das Wunder inszeniert habe aus Hass gegen die Volksrepublik."
    "Dass er es auf Befehl des Vatikans und der Bischöfe getan hat."
    Die gleiche Dorfkirche im Jahr 2015, exakt 65 Jahre später. Wieder ist das Fernsehen hier, in ganz Tschechien wird ein Gottesdienst live übertragen, zu dem die Bischöfe aus dem ganzen Land zusammengekommen sind – auch viele Hundert Gläubige. Pfarrer Josef Toufar wird bestattet, kurz zuvor hat man seine Überreste in einem Massengrab der Staatssicherheit entdeckt. Er, der einst zur kommunistischen Propaganda missbraucht worden ist, soll jetzt heilig gesprochen werden – und ganz Tschechien nimmt Anteil an seinem Schicksal. Bischof Jan Vokál beim Beerdigungs-Gottesdienst:
    "Wir wissen, wofür Leben und Tod von Josef Toufar standen: Vor allem dafür, dass das Böse den Gerechten nicht bricht. Die Tatsache, dass Pfarrer Josef Toufar, den die Staatssicherheit ermordet hat, heute öffentlich in seiner Kirche beerdigt werden kann, ist aber auch ein Symbol des Sieges unserer Nation über die Tyrannei, die Gott und den Menschen verleugnet hat, die auf Lügen, Unfreiheit und Gewalt aufgebaut war."
    Das Wunder von Cihost - Ein Kreuz, das sich nach Westen neigt
    Der Ort Cihost liegt etwa eine Stunde östlich von Prag, 300 Einwohner, ein paar Dutzend Häuser und eine kleine Pfarrkirche.
    Milos Dolezal geht auf einem gepflasterten Weg zur schweren Eingangstür der Kirche, in der Hand ein Schlüsselbund. Dolezal ist der Biograph des Dorfpfarrers Josef Toufar, er hat in mehr als zwei Jahrzehnten Recherche den Fall von Cihost minutiös rekonstruiert. Dolezal ist 45 Jahre alt, ein Mann mit Cordsakko und modischem Schal um den Hals. Er tritt in den Kirchenraum, der nur neun Holzbänke und ein paar alte Stühle fasst. Das alles, sagt er, sehe noch fast genauso aus wie an jenem 3. Advent des Jahres 1949.
    Milos Dolezal ist der Biograph des Dorfpfarrers Josef Toufar
    Milos Dolezal, Biograph von Josef Toufar (Kilian Kirchgeßner)
    "Es war der Gottesdienst um 11 Uhr, Pfarrer Toufar stand auf der Kanzel. Als sich seine Predigt dem Ende zuneigte, schaute er die Gemeinde an, deutete mit der Hand hinter sich auf das Kreuz und sagte sinngemäß: Unser Erlöser ist unter uns. In dem Moment bewegte sich das Kreuz, es ist aus Holz, 40 Zentimeter hoch. Es bewegte sich erst nach rechts, dann nach links und wieder nach rechts, dann neigte es sich nach vorn und blieb so stehen. Jeder dachte, das fällt gleich um, das geht physikalisch gar nicht, aber es blieb stehen. Pfarrer Toufar hat es nicht mitbekommen, er stand ja mit dem Rücken zum Altar auf der Kanzel – aber 19 Leute in der Kirche haben es gesehen."
    Nur ein Telefon gab es in Cihost, aber trotzdem sprach es sich rasend schnell herum, was hier in dieser Kirche passiert ist. In Scharen strömten die Gläubigen aus der ganzen Diözese und schließlich sogar aus dem ganzen Land nach Cihost, bis den Kommunisten der Trubel unheimlich wurde. Das Kreuz habe sich nach Westen geneigt, hin zum Klassenfeind – so interpretierten sie den Vorfall.
    Die Kommunisten waren damals erst kurz an der Regierung. Sie fühlten sich ihrer Macht noch nicht sicher. Und Pfarrer Toufar wurde allmählich nervös.
    "Er kam nach und nach darauf, welche Folgen die Sache haben könnte. Er sagte sich: Entweder die nehmen die 19 Zeugen fest – oder eben mich. Und dann beruhigte er sich: Was sollten sie ihm schon nachweisen, was sollte ihm schon passieren, er habe sich ja nichts vorzuwerfen. Toufar ahnte nicht, dass er in einen riesigen politischen Prozess gerät."
    Nach fast einem Monat Verhör und Folter starb Toufar
    Als sich das Wunder von Cihost ereignete, war Pfarrer Josef Toufar 48 Jahre alt. Sein Foto hängt heute im Vorraum der Kirche: Es zeigt einen hochgewachsenen Mann im langen Priestergewand, die kurzen Haare an den Schläfen ergraut, den Blick beinahe abwesend in die Kamera gerichtet. Heute leitet Pfarrer Tomas Fiala die Gemeinde in Cihost; mit seinem Vorgänger hat er sich intensiv beschäftigt.
    Pfarrer Josef Toufar - sein Foto im Vorraum der Pfarrkirche von Cihost
    Pfarrer Josef Toufar - sein Foto im Vorraum der Pfarrkirche von Cihost (Kilian Kirchgeßner)
    "Toufar war ein einfacher Priester. Diejenigen, die ihn erlebt haben, erinnern sich daran, wie gesellig er war, wie unkompliziert. Damit hat er sich hier ins Gedächtnis eingebrannt: Er entwickelte einen guten Draht zu den Menschen, zu seinen Nächsten."
    Weil er beliebt war in seiner Gemeinde und eine unangefochtene Autorität, wollten die Kommunisten ihn nicht einfach festnehmen – sie fürchteten, die Gläubigen würden sich den Polizisten in den Weg stellen. Und so nahm das dramatische Nachspiel des Wunders von Cihost denkbar brutal seinen Anfang. Milos Dolezal, der Biograph des Dorfpfarrers, steht vor dem Pfarrhaus gleich gegenüber der Kirche.
    "Es war der Abend des 28. Januars 1950, es war schon dunkel, die beiden unteren Fenster hier waren erleuchtet, weil der Pfarrer noch Besuch hatte von Caritas-Mitarbeitern. Da kamen zwei Autos der Staatssicherheit ins Dorf, zwei weitere warteten vor dem Ort. Ein Auto ist bis zum Tor gefahren. Zwei Diensthabende versteckten sich hier in dem dunklen Hof, zwei gingen zur Eingangstür. Sie klopften, sagten, sie seien Journalisten und drängten darauf, dass der Pfarrer ihnen in der Kirche zeige, was passiert sei. Er nahm sich also seinen Mantel, den Schlüssel, und als er aus dem Haus trat, stürzten sie sich auf ihn, drehten ihm die Hände auf den Rücken, knebelten ihn und warfen ins gestartete Auto. Seit diesem Moment hat ihn niemand mehr gesehen."
    Die Männer brachten den Überrumpelten in eines der am meisten gefürchteten Gefängnisse der Tschechoslowakei und setzten ihm mit Schlafentzug und Essensverweigerung zu. Biograph Milos Dolezal:
    "Sie dachten, er gesteht beim ersten Verhör, dass er die Gemeinde betrogen habe. Die Polizisten waren Atheisten. Aber Pfarrer Toufar konnte nichts sagen, er hatte nichts zu gestehen."
    In mehreren Schichten pro Tag verhörten sie ihn, fast einen Monat lang, und als das alles nichts nützte, banden sie ihn fest und prügelten ihn, immer und immer wieder, so lange, bis er schließlich starb. In einem Massengrab verscharrten sie ihn, in alle offiziellen Unterlagen trugen sie einen falschen Namen ein, auf dass man den kleinen Dorfpfarrer niemals mehr wiederfinden würde.
    Es war der 25. Februar 1950 – und der Fall Cihost, den die Staatssicherheit am liebsten vergessen machen wollte, der begann an diesem Tag sein Eigenleben.
    Beginn der brutalen Übergriffe gegen die Kirche
    Ein Besuch bei Oldrich Tuma in Prag. Der Historiker ist Direktor des Zentrums für zeitgenössische Geschichte an der Tschechischen Akademie der Wissenschaften. Die Geschehnisse um den Pfarrer Josef Toufar, sagt er, standen am Anfang einer verheerenden Entwicklung.
    "Vermutlich war er das erste Opfer des kommunistischen Regimes, das aus den Reihen der Kirche stammt. In den folgenden Jahren wurden dann etliche weitere Priester zum Tode verurteilt und hingerichtet; aber was mit Toufar geschah, war sicherlich ein Vorzeichen. Damit begannen die brutalen Übergriffe des Staates gegen die Kirche."
    Die Kirchenverfolgung in der Tschechoslowakei, sie ist eines der dunkelsten Kapitel der kommunistischen Vergangenheit im Land – und sie unterscheidet sich von den Nachbarstaaten. In Polen etwa, sagt Historiker Tuma, sei der Glaube so fest in der Gesellschaft verankert gewesen, dass sich das Regime keine Ausschreitungen gegen die Kirche erlauben konnte. Nation und Kirche, das sei quasi eins gewesen. In der Tschechoslowakei hingegen war der Antiklerikalismus schon lange salonfähig - und zwar seit Jan Hus.
    "Der Kirchen-Reformer Jan Hus ist zentral fürs tschechische Geschichtsbewusstsein; seine Bewegung wurde von Habsburgern und Katholizismus unterdrückt, so die Lesart. Nach dem Ersten Weltkrieg wollten die tschechoslowakischen Politiker sich von Wien lösen - und damit auch vom Katholizismus. An diese antikatholische Strömung konnten die Kommunisten noch Jahrzehnte später nahtlos anknüpfen – die schlechte Beziehung zwischen Staat und Katholiken war schließlich schon lange Teil des politischen Denkens."
    In den 1950-er Jahren, kurz nach Pfarrer Toufars Ermordung, schlugen die Machthaber zu, brutal und flächendeckend.
    "Als es einmal angefangen hatte, ging es immer weiter: Klosterschließungen, Internierungen von Ordensleuten. Und innerhalb kurzer Zeit waren die meisten Bischöfe und der Erzbischof im Gefängnis oder zumindest im Hausarrest."
    Ein Kirchengesetz, wie es nur die Tschechoslowakei hatte
    Als die Kommunisten 1948 an die Macht kamen, sei es wohl noch nicht geplant gewesen, einen so harten Kurs gegen die Kirche einzuschlagen, vermutet Historiker Oldrich Tuma. Aber schon bald war die katholische Kirche die einzige Organisation im Land, die sich nicht kontrollieren ließ. Denn sie hing von Rom ab - und nicht vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei. Das änderte sich erst mit einem Kirchengesetz, wie es nur die Tschechoslowakei hatte. Historiker Oldrich Tuma:
    "Ohne die Zustimmung des Staates konnte niemand Bischof oder Pfarrer werden. Das hatte natürlich langwierige Verhandlungen zwischen dem Vatikan und Prag zur Folge – und lange waren die Bischofsstühle unbesetzt, weil sich niemand fand, der für beide Seiten akzeptabel war."
    Ganz verbieten konnte man die Kirche nicht. Schließlich herrschte Religionsfreiheit. Zumindest auf dem Papier. Aber die Kirche klein halten, ihre Vertreter kontrollieren und gefügig machen – das war gang und gäbe. Diese Kirchenverfolgung hielt an bis zum Ende des Regimes, aber am schlimmsten waren die ersten Jahre – jene Jahre, in denen der Dorfpfarrer Josef Toufar in die Fänge der Staatssicherheit geriet.
    An ihm, sagt Historiker Oldrich Tuma, habe die Geheimpolizei all jene Methoden ausprobiert, die später weiterentwickelt wurden.
    "Als Toufar schon im Gefängnis saß, schaltete sich sogar der Staatspräsident ein. Er rief direkt bei den Ermittlern an: ‚Wie kann das sein, dass der nicht gesteht? Wohnt der bei euch im Kurhotel oder was?' Danach haben sie zu anderen Methoden gegriffen bei ihren Verhören, der Untersuchungsbeamte war wohl auch Sadist, wie wir heute wissen. Eigentlich wollten sie nicht, dass er stirbt, schließlich brauchten sie ihn ja für ihre Propaganda."
    Primitiver Mechanismus statt Wunder?
    Mit dem Propaganda-Film, der im Örtchen Cihost entstanden war und landesweit in den Kinos gezeigt wurde, sollte nachgewiesen werden, dass das Wunder rund um Josef Toufar kein Wunder war. Ein Kreuz, das sich beugt? Das sei nichts als eine Inszenierung des Pfarrers gewesen. Milos Dolezal lacht sarkastisch, wenn er daran denkt. Der Toufar-Biograph steht in der Kirche von Cihost und zeigt auf den Altarraum.
    "Die Staatssicherheit hat ihre technische Abteilung in die Kirche geschickt, immer nachts, und die versuchte, einen Mechanismus zu konstruieren. Ihre Theorie war, dass Toufar das Kreuz von der Kanzel aus mit einem System aus Drähten, Gummirollen und Federn bewegt habe. Dieses System wollten sie hier zum Beweis aufbauen, aber stießen auf zwei Probleme. Erstens: Man hat in dieser winzigen Kirche von jedem Platz aus gesehen, was sie an der Wand installiert haben. Und zweitens: Es hat nicht funktioniert. Zwei Nächte haben die hier durchgearbeitet und es nicht hinbekommen."
    Dieser Fehlschlag hat die Staatssicherheit aber nicht davon abgehalten, ihren Propagandafilm zu drehen – zu einem Zeitpunkt, als Josef Toufar schon längst tot war.
    "Mit Blumen hat er einen primitiven Mechanismus verborgen. Und während er mit der linken Hand auf das Kreuz zeigte, zog er mit der rechten Hand an den Drähten."
    In dem Film steigerten sich die Propagandisten in eine weltumspannende Verschwörung hinein, die von Cihost ihren Ausgang nehme. Die Bilder ließen schon 1950 den unerbittlichen Hass erahnen, den das Regime in den folgenden Jahren säen würde.
    "... und wenn wir die Spuren dieser billigen Schmierenk
    omödie weiterverfolgen, finden wir die schmutzige, vor nichts zurückschreckende Hand der Imperialisten und des ihnen hörigen Vatikans."
    Toufar ist zu einer Ikone geworden
    Die Kirchen-Gemeinde von Cihost ist bis heute ausgesprochen lebendig, ganz gegen den tschechischen Trend. An Sommertagen kommen regelmäßig Busladungen von Pilgern in die kleine Kirche, um hier beim Gottesdienst dabei zu sein. Heute ist es Pfarrer Tomas Fiala, der hier die Messe zelebriert.
    "Es ist für mich eine große Ehre, an einem Ort zu dienen, wo sich Gottes Einwirken auf unser Leben gezeigt hat. Es ist schwer, sich die Geschehnisse von damals zu erklären, aber jeder kann hier Gottes Segen spüren und seine Anwesenheit."
    Pfarrer Tomas Fiala ist heute Priester in Cihost
    Pfarrer Tomas Fiala ist heute Priester in Cihost (Kilian Kirchgeßner)
    Josef Toufar, der Dorfpfarrer, ist in Tschechien zu einem Synonym geworden für den Schrecken des totalitären Regimes – und das in dem atheistischen Land, wo die meisten die Kirche kritisch beäugen. Selbst kirchenferne Historiker nennen den Namen des Geistlichen in einem Atemzug mit anderen prominenten Opfern und Widerstandskämpfern.
    Es war vor allem Milos Dolezal, der Biograph, der den Fall wieder ins öffentliche Bewusstsein gebracht hat – in seinen Recherchen stieß er auf immer mehr verschollen geglaubte Archivmaterialien, mit denen die Brutalität der Staatssicherheit in allen Details erkennbar wurde. Und er war es auch, der schließlich die Stelle fand, an der der Pfarrer unter falschem Namen verscharrt worden war. Aber dass seine Arbeit solche Kreise ziehen würde?
    "Ich bin selbst überrascht von dem Phänomen: Josef Toufar ist in den vergangenen Jahren zu einer Ikone geworden, er steht stellvertretend für Tausende von Ermordeten und Unterdrückten des kommunistischen Regimes. Diesen Fall umweht ein Hauch von Geheimnis. Wir berühren hier etwas Mystisches, etwas, was dem Verstand nicht zugänglich ist. Und wer feinfühlig ist, der nimmt das sehr stark wahr."
    Der Prozess der Heiligsprechung läuft bereits. Als Märtyrer soll Josef Toufar, der standhafte Dorfpfarrer, geehrt werden. Eine Kommission beschäftigt sich derzeit mit dem Fall - wie im Kirchenrecht vorgeschrieben.
    Seit sieben Jahrzehnten ein Rätsel
    Und das Wunder von Cihost, diese Bewegung des Kreuzes? Was steckt dahinter – und warum haben es in der vollbesetzten Kirche nicht alle Gläubigen gesehen? Milos Dolezal erklärt es sich damit, dass das 40 Zentimeter große Kreuz einfach zu unscheinbar sei, und die meisten eben den Pfarrer angeschaut haben und nicht den Altar.
    "Mit einigen Zeugen habe ich gesprochen, und natürlich habe ich auch gefragt: Warum habt ihr nichts gesagt, warum habt ihr nicht eure Sitznachbarn darauf aufmerksam gemacht? Die meisten verstanden es als individuelles Zeichen für sie persönlich und haben sich damit nicht gebrüstet. Oder sie dachten, es seien Halluzinationen, das hat mir auch jemand gesagt. Erst am nächsten Tag, am Montag, kam der Dorfschmied zu Josef Toufar und war ganz aufgewühlt: Herr Pfarrer, wissen Sie was? Bei Ihrer Predigt hat sich das Kreuz bewegt! Toufar hat das nicht weiter ernst genommen, aber kurz darauf sprach ihn jemand anders an."
    Der Pfarrer, der das Wunder in seiner eigenen Kirche nicht bemerkt – das ist eine Kuriosität am Fall von Cihost. Historiker Oldrich Tuma von der Prager Akademie der Wissenschaften schüttelt den Kopf, wenn er daran denkt.
    "Ich hätte erwartet, dass diejenigen, die zu Josef Toufar forschen, auch herausfinden, was es mit dem Wunder auf sich hat. Aber es gibt bis heute keine Erklärung. Ich bin selbst kein Katholik; vielleicht war es eine Massensuggestion, die da stattfand, das können nur Psychologen beurteilen. Aber dass eine transzendente Macht ausgerechnet diesen abgelegenen Ort Cihost auswählt, um zu zeigen, dass sie mit der Politik nicht einverstanden ist – ich kann mir das einfach nicht erklären."
    Und so bleibt es auch nach mehr als fast sieben Jahrzehnten ein Rätsel – das Wunder von Cihost, mit dem eines der dunkelsten Kapitel in der Tschechoslowakei seinen Anfang nahm.