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Kirchliche Lobbyarbeit
Einfluss in Gottes Namen

Kirchenvertreter sitzen in Kommissionen zu medizinethischen Fragen, zum Umweltschutz und zur Flüchtlingspolitik. Argumentieren sie selbstlos oder selbsterhaltend? An der Evangelischen Akademie Loccum wurde darüber kontrovers diskutiert.

Von Michael Hollenbach |
    Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm.
    Wie groß ist der kirchliche Einfluss auf politische Entscheidungen? (imago / Christian Ditsch )
    Mit Lobbyisten der Pharmaindustrie oder etwa der Glücksspielbranche möchte der hannoversche Landesbischof Ralf Meister keinesfalls in einen Topf geworfen werden. Die Kirche wolle ja kein Produkt verkaufen:
    "Dafür würde ich sagen, ist der große Auftrag, den Jesus Christus uns gegeben hat, eine andere Nummer. Das kann man nicht als Lobbyismus verkaufen. Da geht es um das Reich Gottes, das geht es um eine andere Welt. Die kann man nicht mit Lobbyistenstrategien vertreten, die hat einen anderen Geist."
    "Klare Position für die Sprachlosen"
    Meister verweist auf seine Rolle in der Endlagerkommission des Bundes. Hier hat der Bischof als Vertreter der evangelischen Kirche zwei Jahre mitgewirkt, um mit verschiedenen Interessenvertretern, Wissenschaftlern und Politikern Empfehlungen zur Lagerung des hoch radioaktiven Atommülls zu erarbeiten. Gegner und Befürworter der Kernenergie bescheinigten dem Bischof, moderierend und ausgleichend gewirkt zu haben. Vor allem wenn es um ethische Fragen ging, sah Ralf Meister in dem politikberatenden Gremium seine Kompetenz gefragt:
    "Ich glaube, dass es eher an manchen Stellen die Frage war: Wie kann man Fragen, die wir nicht klären können, wenn wir über ein Endlager sprechen, das in einigen 100.000 Jahren noch sicher sein soll, wie kann man mit nicht-lösbaren Fragen angemessen umgehen? Das sind Fragen, mit denen geht die Kirche immer um, ohne in Phantasie abzufallen, sondern das auch rational zu machen."
    Ralf Meister hat sich in der Endlagerkommission mit einer politischen Positionierung eher zurückgehalten; allerdings hört man aus konservativen Kreisen immer wieder den Vorwurf, die Kirche mische sich zu stark in politische Diskussionen ein – zum Beispiel in die Flüchtlingsdebatte oder in ökologische Fragen. Meister weist diese Kritik zurück. Er wehrt sich auch gegen eine Unterscheidung von eher konservativer Verantwortungs- und eher fortschrittlicher Gesinnungsethik; denn auch Verantwortungsethik könne gar nicht ohne eine Gesinnungsethik funktionieren. Was der Bischof allerdings ablehnt, ist die kirchliche Einmischung in kleinteilige Sachfragen:
    "Die Kirche muss keinen Vorschlag machen über die Auslaufzonen bei Freilandhaltung oder muss nicht die genaue Maßabgabe für die Antibiotikamedikation bei Massentierhaltung abgeben, das nicht, aber es gibt eine klare Position der Kirchen für die Sprachlosen", sagt Ralf Meister.
    Bei der Tagung in der Evangelischen Akademie konnte leicht der Eindruck entstehen, die Kirchen würden im politischen Raum vor allem als selbstlose Experten und Propheten agieren. Dem hält der Münchener Historiker Jonathan Spanos entgegen:
    "Ich würde sagen, jeder Akteur, der irgendwie im politischen Raum auftritt, hat auch ein gewisses Selbsterhaltungsinteresse."
    Der Münchener Theologieprofessor Reiner Anselm ist der Vorsitzende der EKD-Kammer für Öffentliche Verantwortung.
    Die Trennung hinkt
    Er sagt: "Da agieren die Kirchen auch nicht so ganz geschickt. Die große Rhetorik, man würde ganz aus dem christlichen Ethos heraus selbstlos agieren, mag für die Akteure stimmen, aber man darf nicht darüber hinwegsehen, dass durch die Hintertür dem Staat die Miete in Rechnung gestellt wird, dass es natürlich auch darum geht, Stellen zu sichern, dass der Ausbau des Sozialstaates der Kirche zu Gute kommt. Da sollte man etwas sensibler und vorsichtiger sein, dass man den Mund nicht zu voll nimmt."
    In der Tat stößt man in den Kirchen auf eine verbreitete Haltung, eigene wirtschaftliche Interessen unter den Teppich zu kehren. Doch die beiden Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände generieren einen Umsatz von rund 140 Milliarden Euro im Jahr. Sie verfügen nach Berechnungen des Politologen Carsten Frerk über knapp 90.000 Immobilien in Deutschland sowie über 830.000 Hektar an Grundbesitz. Von der Wiege bis zur Bahre, von der kirchlichen Kinderklinik bis zum Friedhof geht es nicht nur um ethische, sondern auch um ganz profane, finanzielle Interessen. Bislang werden diese Interessen durch ein ausgezeichnetes Miteinander zwischen den Kirchen und der Politik weitgehend geschützt. Der Politikwissenschaftler Oliver Hidalgo verweist auf die historisch gewachsene Nähe in Deutschland.
    "Die hinkende Trennung von Staat und Kirche, von der Rudolf Smend einmal gesprochen hat, das ist unsere Tradition, und ich denke, daran müssen wir auch andocken. Das ist letztendlich ein Punkt, der heute unter einem starken Rechtfertigungsdruck geraten ist."
    Trotz dieses Rechtfertigungsdrucks: Auffallend ist die große Anzahl von kirchenaffinen Politkern in den Machtzentren. Zu Beginn dieser Legislaturperiode waren alle Mitglieder der Bundesregierung zugleich Mitglieder der beiden großen Kirchen. Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck ein Pfarrer, Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Pfarrerstocher, Bundestagspräsident Norbert Lammert ein engagierter Katholik.
    "In der arabischen Welt macht man Witze darüber, dass Deutschland eine Theokratie ist. (..) Wenn man nur die Fakten anschaut, wie die Vermischung ist, das würde verdächtigt wirken. Ich sehe aber de facto nicht, dass das das eigentliche Problem ist", sagt der Politikwissenschaftler Oliver Hidalgo. Zumal der kirchliche Einfluss auf politische Entscheidungen mittelfristig zurückgehen wird. Das sieht zumindest Landesbischof Ralf Meister so:
    "Die Stimme wird in der Wahrnehmung schwächer, weil es viel mehr Stimmen gibt. Es gibt viel mehr Akteure, die sich melden, und darunter bleibt die Kirche nur eine. Das ist in der Vergangenheit anders gewesen. Da gab es den Staat und die Kirche und sonst fast niemanden."