Das kleine Studio, in dem Kirill Kobantschenko trainiert, liegt in der Nähe vom Prater, an einer viel befahrenen Straße gleich am Donaukanal. Die Sonne heizt den Asphalt auf, die Luft ist stickig, die Tür zum Trainingsraum mit Gummimatten, spiegelwand und schwarzen Sandsäcken steht weit offen.
"Es ist wahnsinnig, gerade jetzt im Sommer bei diesen Temperaturen, aber ist auch das Gute für den ganzen Körper, ich glaube, dass man da auch sehr viel gereinigt wird und das sehr, sehr gut ist, weil danach trinkt man auch unglaublich viel Wasser. Man fühlt sich einfach sehr, sehr gut nachher."
Die hohen Temperaturen schrecken Kirill Kobantschenko nicht. Vor dem eigentlichen Training läuft sich der Enddreißiger warm in schwarzer Trainingshose, schwarzgrauem Shirt. Gute eins sechzig groß, kinnlanges, nach hinten gegeltes Haar, Vollbart, kräftige Statur, aufmerksamer, freundlicher Blick. Sein Trainer gibt Anweisungen, auf Russisch: laufen, springen, beschleunigen, abstoppen, Pause. Eine Dame, Mitte Fünfzig, kommt aus der Umkleide, auch sie spricht russisch, verabschiedet sich. Es herrscht eine familiäre Atmosphäre. Kirill Kobantschenko hat lange gesucht, bis er seinen jetzigen Trainer gefunden hat.
"Ich habe mich immer für Kampfsport interessiert, ich hatte als Kind in Odessa auch was gemacht, aber ich weiß nicht mehr was. Und dann war ich in Österreich und hatte lange Zeit nicht die Möglichkeit, was zu machen, weil keine Zeit und kein Geld und Studium, viel Üben und dann kam mehr und mehr der Wunsch und hab mich in ein Karatestudio eingeschrieben. Das war ein sehr, sehr gutes Training, hat aber dann zeitlich mir nicht gepasst. Da ich mit meinem Orchester zeitlich nicht flexibel bin und dann habe ich in Salzburg einen Boxtrainer kennengelernt vor drei Jahren, dann haben wir während der Festspiele dort trainiert auf einer wunderschönen Alm bei ihm, das war eine super Sommertrainingsmöglichkeit zwischen den Orchesterproben bin ich immer rauf gefahren auf 1500 Meter, wunderschöne Aussicht auf die Berge, tolle Luft. Und dann habe ich in Wien meinen momentanen Trainer kennengelernt. Und seitdem ist es das, was ich mir vorgestellt habe oder was ich mir wünsche."
"Am Ende des Trainings fühlt man sich super"
Nämlich einen Trainer, der auf seine speziellen Bedürfnisse und Anforderungen eingeht, der nachfragt, wann ein wichtiges Konzert ansteht, eine intensive Probenphase und das Training danach ausrichtet. Je nachdem mehr Fußarbeit macht oder mehr Ausdauer trainiert und die Hände schont. Oder eben nicht. Heute ist Handarbeit angesagt. Der Trainer umwickelt Kobantschenkos Hände zum Schutz mit rotem Tapeband bevor er die Boxhandschuhe anzieht. Warum hat er sich als Geiger ausgerechnet fürs Boxen entschieden? Eine gute Möglichkeit, sich abzureagieren?
"Ich glaube nicht, dass ich ein Mensch bin, der irgendwelche Aggressionen hat, nein. Aber dieses Gefühl, dieser Kontakt, wenn die Faust mit dem Handschuh auf den Sack trifft und dieser Energiefluss, der da raus geht aus der Schulter, aus dem Arm, aus dem ganzen Körper, diese Kraft, die man da hineinprojiziert, in diesen Schlag, das macht ja alles ein unglaublich tolles Gefühl. Und man ist natürlich auch glücklich, dass man eine gewisse Konsequenz erreicht hat, dass man jetzt öfters geht, dass man was tut, dass man an seine Grenzen geht und da ist man am Schluss des Trainings natürlich sehr, sehr ... fühlt man sich super! Man hat was geschafft, man hat was geleistet, man hat was erreicht auch."
Kirill Kobantschenko hat viel im Leben erreicht. Vielleicht auch, weil es Zeiten gab, in denen er und seine Familie sich durchboxen mussten. Gleich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, als sie aus der Ukraine weg in den Westen wollten, damit der begabte Sohn eine gute Ausbildung und gute Arbeitsbedingungen erhalten sollte und ein Visum nur sehr schwer zu bekommen war. Mit vier Jahren begann Kirill Kobantschenko mit dem Geigenspiel. Die Mutter war klassische Pianistin, der Vater Jazzmusiker. Beim David-Oistrach-Wettbewerb 1989 in Odessa lernte Kirill Kobantschenko den legendären Geiger und Pädagogen Zakhar Bron kennen, bekam von ihm Unterricht. 1991 gelangte Kirill Kobantschenko als 13-Jähriger dann mit seiner Familie nach Wien und studierte dort bei Boris Kuschnir. Seit 2001 ist er nun erster Geiger der Wiener Staatsoper, seit 2004 außerdem Mitglied der Wiener Philharmoniker. Kirill Kobantschenko hat es geschafft. Kann der Geiger Kirill Kobantschenko etwas vom Boxer Kirill Kobantschenko lernen und umgekehrt?
Sehr viel Disziplin und Fokus
"Vom Boxer kann ich vielleicht im ersten Augenblick nicht so viel lernen, aber sehr wohl so, dass ich mich ... in der Vorbereitung. An seine Grenzen zu gehen. Fokussieren, Ziele zu haben. Wie weit möchte ich gehen. Sagen wir mal außerhalb des Orchesterlebens in der Kammermusik oder manchmal spiel ich solo, welche Werke möchte man studieren, wann plant man das ein, wann plant man das Training ein in den Alltag. Da braucht man sehr wohl im Sport, aber glaub ich in allen Sportarten wie auch beim Musizieren sehr, sehr, sehr viel Disziplin und Fokus, was will ich eigentlich in der Musik ausdrücken und im Sport erreichen."
Kirill Kobantschenko ist mit verschiedensten Musikstilen aufgewachsen. Mit seinem Ensemble "Plattform K+K Vienna" spielt er alles von Klassik über Jazz bis elektronische Musik. Seiner Vorliebe für Popmusik lässt er als DJ freien Lauf. Auch zum Boxtraining bringt Kirill Kobantschenko seinen eigenen Soundtrack mit.
Kirill Kobantschenko tropft der Schweiß von der Stirn. Er schiebt sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht. Bei der naheliegenden Frage nach der Verletzungsgefahr beim Boxen, zuckt er mit den Schultern.
"Ich sage ihnen, beim Fahrradfahren auf der Straße kann mehr passieren wie im Boxstudio. Das ist meine Meinung. Weil da braucht man wirklich nur irgendwo hängen bleiben mit dem Vorderrad bei einer Straßenbahnschiene und schon ist man weg. Gott behüte! Aber wenn man einen guten Trainer hat, dann ist das alles total im überschaubaren Bereich. Und man darf natürlich jetzt nicht absolut wahnsinnig übertreiben. Also, das soll man nicht."
Wichtiger Ausgleich zum Beruf
Maß halten einerseits, sich verausgaben andererseits. Auf die richtige Mischung kommt es an. Boxen ist für Kirill Kobantschenko ein wichtiger Ausgleich zu einem Beruf, der nicht nur mental, sondern auch physisch Tag für Tag beim Üben genauso wie im Orchestergraben und auf dem Konzertpodium Höchstleistung abverlangt.
"Ich geh jetzt deshalb relativ regelmäßig Boxen, weil ich einfach drin bin und es macht mir Spaß. Das ist natürlich unglaublich anstrengend. Und man quält sich. Aber man würde lügen, wenn man sagen würde, beim Geige üben über die Jahre quält man sich nicht. Man quält sich auch, weil das ist sehr, sehr, sehr harte Arbeit. Und da, das ist nämlich der nächste Punkt, das Boxen gleicht unglaublich diese ganze Rückenmuskulatur aus, was natürlich beim Geigen über Stunden in dieser Haltung erstarrt und sich verzieht und die Wirbelsäule ... was weiß ich, was da alles passiert. Also, das macht es wieder gut."
Hat er als Ukrainer zum Boxen als Volkssport eine besondere Affinität? Kirill Kobantschenko überlegt kurz und schüttelt den Kopf. Nein, dafür lebt er schon zu lange in Österreich. Dass die beiden Klitschko-Brüder aus seinem Heimatland kommen, macht ihn allerdings durchaus stolz. Er selbst ist nie für einen echten Fight in den Ring gestiegen und es stand nie zur Debatte das Hobby zum Beruf zu machen.
"Nein, das ist nur für mich. Ich bin 39, ich geh jetzt nicht irgendwelche Wettkämpfe machen. Nein, ich spiel Geige."