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Kita-Gipfel
GEW-Vorstandsmitglied fordert Qualitätsoffensive

Gemeinsam mit Awo und Caritas macht sich die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft für bundesweite Standards in der frühkindlichen Bildung stark. GEW-Vorstandsmitglied Norbert Hocke will dabei die Länder nicht überfordern: Nach einem Bundestagsbeschluss sollten sie sechs bis sieben Jahre Zeit für die Umsetzung erhalten.

Norbert Hocke im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Benedikt Schulz: Nächste Woche ist in Berlin Qualitätsgipfel zwischen Bund und Ländern, wir haben es auch gerade im Beitrag gehört. Die Träger der Kindertagesstätten und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft fordern bundesweite Standards im Kita-Bereich. Am Qualitätsgipfel nächste Woche nehmen sie jedoch nicht teil. Am Telefon ist Norbert Hocke, Vorstandsmitglied bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Ich grüße Sie!
    Norbert Hocke: Guten Tag!
    Schulz: Welchen Erfolg hat denn ein Gipfel, bei dem Trägerverbände und Gewerkschaften außen vor bleiben?
    Hocke: Man muss sehen, dass der Gipfel ja zu einem Bund-Länder-Gespräch mit den Kommunen heruntergezogen wurde. Das ist vielleicht auch ganz gut, weil wir in letzter Zeit viele Gipfel hatten, und vielleicht kann man aus dem Tal heraus einiges klären. Wir hatten aber gestern mit der Bundesministerin Frau Schwesig ein Gespräch. Die Wohlfahrtsverbände und die Gewerkschaften haben vor dem Bund-Länder-Gespräch zusammengesessen und ihre Aspekte eines Bundeskitagesetzes eingebracht. Und der nächste Schritt wird dann sein, dass man vielleicht eine gemeinsame Arbeitsgruppe bildet aus Bund, Ländern, Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, um dann den Prozess eines Bundesqualitätsgesetzes zu gestalten.
    Schulz: Okay, jetzt haben Sie gestern Ihre Aspekte vorgetragen - was erwarten Sie denn, was fordern Sie?
    Hocke: Es geht bei einem Bundeskitagesetz um die Strukturqualität, das heißt Erzieher-Kind-Relation, mittelbare pädagogische Arbeitszeiten, also Vorbereitungszeiten und Nachbereitungszeiten. Wir wollen, dass die Leitungskräfte freigestellt werden von der Gruppenarbeit. Sie müssen Führungsqualität und Führungsarbeit übernehmen. Wir wollen eine Regelung haben, dass die Fort- und Weiterbildung festgelegt wird. Wir haben zurzeit in den Bundesländern dermaßen unterschiedliche Personalschlüssel. Wir haben unterschiedliche Freistellungen für Leitungskräfte. Es kann nicht sein, dass der Wohnort eines Kindes über die spätere Qualität in der Kita entscheidet. Das muss man bundesweit regeln.
    Ländern Zeit für die Umsetzung geben
    Schulz: Aber haben Sie denn die Hoffnung, dass sich 16 Bundesländer auf einheitliche Standards a) überhaupt werden einigen können oder b) dass sie sich dann am Ende auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, dass wir überall mittelmäßige Standards haben?
    Hocke: Es kann nicht um Mindest- oder mittelmäßige Standards gehen, sondern die Politik muss sich in der Frage, Zukunftsaufgabe Tageseinrichtungen für Kinder und Qualität von Tageseinrichtungen, endlich daran gewöhnen, dass wir wissenschaftliche Expertisen haben, die es vor 10, 15 oder 20 Jahren so nicht gab. Und diese wissenschaftlichen Expertisen besagen im Prinzip, dass wir an der Erzieher-Kind-Relation deutlich nach unten gehen müssen, damit Sprachverhalten, damit Bindung, damit entsprechende Qualitätsdinge aufgebaut werden können.
    Die Länder sollen nicht von heute auf morgen das alles umsetzen, das wäre eine Überforderung. Nein, wir sagen, der Bundestag beschließt, und dann haben die Länder sechs oder sieben Jahre Zeit. Wir hoffen, dass die Länder sehen, dass die Arbeit in den Tageseinrichtungen für Kitas nur eine Zukunft hat, wenn wir eine Qualitätsoffensive im Bereich der Strukturqualität hinbekommen.
    Schulz: Aber sechs bis sieben Jahre Zeit - das kann ja eigentlich nicht befriedigen, wenn in diesem Zeitraum, sechs bis sieben Jahre, eine ganze Menge an Kindern gewissermaßen dadurch trotzdem benachteiligt wird, weil sie sozusagen noch nicht in den Genuss dieser Qualitätsoffensive kommen kann.
    Hocke: Ja, der Punkt ist, wir müssen sehen, auch beim Rechtsanspruch haben wir den Ländern Zeit gelassen und haben einen Beschluss gefasst im Bundestag, und der wurde dann Stück für Stück umgesetzt. Es wird ein Prozess sein, weil einige Länder, zum Beispiel Bremen, ja in der Frage Erzieher-Kind-Relation im Krippenbereich schon bei eins zu drei liegt. Die könnten jetzt anfangen mit der Freistellung der Leitungskräfte oder mit der mittelbaren pädagogischen Arbeitszeit.
    Ein anderes Land im Osten muss, sagen wir mal, Mecklenburg-Vorpommern, bei der Krippe eins zu sechs, jetzt anfangen, die Erzieher-Kind-Relation im Krippenbereich runterzufahren. Wir wollen den Ländern nicht vorschreiben, mit welchen Schritten sie beginnen.
    "Ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die frühkindliche Bildung"
    Schulz: Wir müssen auch über Geld reden. In den vergangenen rund anderthalb Jahren ist ja viel Geld in die Kitas gesteckt worden, vor allem in den Ausbau. Und jetzt, für die laufende Legislaturperiode stellt der Bund rund eine Milliarde zur Verfügung. Reicht das?
    Hocke: Die eine Milliarde, die der Bund zur Verfügung stellt, gehen noch einmal zu einem überwiegenden Teil in den Ausbau. Wir sind ja noch nicht am Ende der Ausbauphase. Wir brauchen, um eine Qualitätsoffensive wirklich inhaltlich umzusetzen, jährlich circa neun bis zehn Milliarden Euro. Ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts soll für die frühkindliche Bildung ausgegeben werden. Wir liegen jetzt bei 16 bis 17 Milliarden. Wenn man die neun bis zehn Milliarden Euro dazu nimmt, würden wir das eine Prozent erreichen. Also, die 16 Milliarden ausgeben, sind ungefähr 0,6 Prozent.
    Schulz: Wir haben jetzt auch über strukturelle Standards gesprochen. Aber sollten nicht auch die inhaltlichen, pädagogischen Standards bundesweit geregelt werden?
    Hocke: Die Frage nach pädagogischen inhaltlichen Standards, die die Prozessqualität auch betreffen, sollten die Träger und die Länder dann in ihren jeweils unterschiedlichen Regionen sehr selbstbestimmt auch durchführen. Wir haben ja die Bildungspläne in den 16 Ländern, da haben wir sehr wohl schon eine große Übereinstimmung. 90 Prozent der Bildungspläne sind deckungsgleich, was die Ziele und die Aufgaben betrifft. Aber eine Prozessqualität hängt sehr von dem ganz genauen Einzugsgebiet einer Kita ab. Und es würde keinen Sinn machen, an dieser Stelle ein bundesweites Raster drüber zu legen.
    Schulz: Sagt Norbert Hocke, Vorstandsmitglied bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und Experte für den Bereich frühkindliche Pädagogik. Vielen Dank!
    Hocke: Gern geschehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.