Ein knappes Dutzend Frauen sitzt um einen großen gedeckten Tisch versammelt, heute ist Weihnachtsfrühstück in der Kindertagesstätte St Clemens in Essen Altenberg. Die Mütter hier nehmen am Rucksackprojekt teil, das AWO und Katholische Familienbildungsstätte in Essen betreiben. Viele tragen ein Kopftuch, die meisten sind Migranten. Sie treffen sich mit einer sogenannten Stadtteilmutter, die sie mit Ideen und Materialien zur Sprachförderung für ihre Kinder versorgt.
"Die Idee dahinter ist, dass die Mütter, die als Stadtteilmütter arbeiten, einen Rucksack mit guten Ideen und Materialien bekommen und das dann an die Mütter weitergeben, dass die dann wieder mit ihren Kindern sinnvolle Spiele machen, die der Sprachförderung dienen. Also eine Art Werkzeugkoffer eigentlich, aber in Rucksackform."
Art Werkzeugkoffer in Rucksackform
Erklärt Eugen Siepmann von der AWO in Essen. Die Stadteilmütter arbeiten sechs Stunden pro Woche für das Projekt, bereiten Treffen mit den Rucksackmüttern vor, bilden sich weiter, tauschen sich aus. Alle Arbeitsmaterialien sind zweisprachig, zum Beispiel Deutsch und Türkisch oder Deutsch und Arabisch oder Russisch. Alle drei Wochen gibt es einen neuen Themenbereich, über den gesprochen wird.
"Jahreszeiten, Feste, Kindergarten, der Körper, Ernährung - dass die Mütter mit ihren Kindern darüber sprechen können."
Zuhal Ziyansiz leitet als Stadtteilmutter eine Gruppe:
"Wenn wir die Familie haben, erst mal wir öffnen die Themen, wir reden darüber, was Familie für uns bedeutet, dann haben wir erste Woche: Wir lesen zusammen, weil einige können schon sehr gut reden, aber nicht so gut lesen, wir verbessern da auch, und ich gebe ihnen verschiedenes Material, wie man zuhause über Familie reden kann. Was Onkel ist, was Oma ist, was Enkelkind ist, wir reden gezielt über die Begriffe."
Rucksack-Projekt fördert Sprach-Anlässe
Denn in vielen Familien wird zu wenig gesprochen und zu wenig auf die Entwicklung der Sprache geachtet, in der Muttersprache und im Deutschen. Das Rucksack-Projekt fördert Sprach-Anlässe:
"Dann müssen die Eltern mit dem Kind einfach zuhause im Alltag - es muss nicht unbedingt, dass wir so zehn Minuten sitzen: Oma bedeutet das und das - so nicht! Die lernen so richtig Sprachförderung, das muss im Alltag sein, also am Frühstückstisch schon. Da machen wir auch kleine Rollenspiele, ich bin Mama, Eugen ist Kind- wie kann ich dann beibringen, was Oma ist? Dann machen wir, wie man mit dem Kind vor dem Schlafen ein Lied singen kann, wie man ein Buch lesen kann, alles über diese Familie."
Sicheren Umgang mit der Muttersprache lernen
Dabei geht es nicht unbedingt darum, dass die Familien zuhause Deutsch sprechen. Die Kinder sollen vor allem den sicheren Gebrauch ihrer Muttersprache lernen, also zum Beispiel Türkisch, erklärt Stadtteilmutter Ayla Dil:
"Also es wird im Unterricht überwiegend auf Deutsch gemacht, damit alle das verstehen und dann fragen wir, wisst ihr noch, wie das auf Türkisch oder Arabisch heißt, damit die zuhause auch wirklich zweisprachig das den Kindern beibringen können. Es ist auch so gedacht, dass die in der deutschen Sprache Probleme habenden Eltern es lieber in der eigenen Sprache beibringen, anstatt auf Deutsch etwas Falsches beizubringen."
Kinder können meist mehr als sie denken
Denn die Kinder, die eine Sprache richtig sicher beherrschen, tun sich mit der zweiten oder sogar dritten viel leichter. Wenn die Kinder in der muttersprachlichen Entwicklung gut gefördert werden, dann lernen sie Deutsch im Kindergarten sehr leicht. Viele Eltern unterschätzen aber ihre Kinder und wollen sie nicht überfordern. Im Projekt lernen sie, dass ihre Kinder meist mehr können als sie denken. So der zweisprachige Ansatz des Rucksack-Projektes. Gülseven Kandemir und ihren vier Kindern macht es Spaß:
"Wenn die schon das eine Lernbuch von uns sehen, dann sagen sie ah Mama, ich möchte das wieder mit dir zusammen machen, vor allem mein Sohn, der Effe. Ich mach auch sehr gern mit, manchmal ist das Zuviel mit allen Vieren, aber trotzdem ich mach das auch gerne."
Auch viele Mütter wachsen übrigens mit dem Projekt. Manche sind selbst nur sehr kurz zur Schule gegangen und hatten ein schlechtes Selbstbewusstsein. Bei den Rucksackmüttern blühen sie auf.
"Und ganz viele Eltern und Mütter gehen dann zu einem Deutschkurs, weil die dann sehen, aha, so komm ich nicht weiter, so kann ich meinem Kind nicht weiterhelfen mit der Sprache, also muss ich selber Deutsch sprechen, damit ich mein Kind in der Schule begleiten kann und so machen die selbst auch sehr große Fortschritte."