Friedbert Meurer: In Deutschland wird so viel gestreikt wie schon lange nicht mehr, hat man jedenfalls den Eindruck. In letzter Sekunde ist jetzt über das Pfingstwochenende ein neuer Streik der Lokführer abgeblasen worden. Bei der Bahn läuft jetzt die Schlichtung – immerhin. Viel weniger wird aber darüber geredet, dass jetzt schon in der dritten Woche die Kitas in Deutschland bestreikt werden. Hier bei den Kindertagesstätten bewegt sich fast nichts. Nur an den Nerven der Eltern wird immer mehr gezehrt. Sie wissen langsam nicht mehr, wie sie ihre kleinen Kinder betreuen lassen sollen. Ein Interview mit der Vorsitzenden der Gewerkschaft Verdi in Nordrhein-Westfalen, Gabriele Schmidt bei uns.
Es war eines der ganz großen Streitthemen der letzten Jahre: Für Kinder ab einem Jahr soll es einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz geben, den gibt es jetzt auch, um Eltern zu ermöglichen, besser als zuvor, Beruf und Kinder unter einen Hut zu bekommen. Damit geht einher, dass in den Kitas mehr geschehen soll, als nur Kinder zu verwahren. Kinder sollen gefördert werden, individuell, ganz nach ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen, und die Ansprüche an die Erzieherinnen steigen damit, ihre Gehälter nur eingeschränkt. Seit zwei Wochen streiken sie deswegen für mehr Geld und eine bessere Eingruppierung. Und der Streit geht damit in die dritte Woche.
Langsam verzweifeln die Eltern: Was sollen sie noch tun, wo sollen sie ihre Kinder hinbringen Gabriele Schmidt ist die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Verdi in Nordrhein-Westfalen. Guten Tag, Frau Schmidt!
Gabriele Schmidt: Guten Tag!
Meurer: Wie viele Kitas in Nordrhein-Westfalen werden bestreikt zurzeit? Haben Sie da einen Überblick?
Schmidt: Ja, wir haben in Nordrhein-Westfalen etwas über 1.000 Einrichtungen im Streik, Kindertageseinrichtungen. Wir haben allerdings auch in den Sozialdiensten, also Jugendämter, Gesundheitsämter, die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter im Streik.
Meurer: Wird in Nordrhein-Westfalen mehr gestreikt als in anderen Bundesländern?
Schmidt: Nein, das kann man nicht sagen. Der Eindruck ist natürlich – oder liegt vielleicht nahe, weil wir in Nordrhein-Westfalen natürlich auch ein starkes Einwohnerland sind und mit der Größe entsprechend natürlich auch viele Einrichtungen im Streik sind.
Meurer: Der Streik geht jetzt schon in die dritte Woche. Warum muten Sie den Eltern diese Belastung zu?
Schmidt: Ja, das ist eine Sorge, die uns und auch die Streikenden um sich treibt. Die Arbeitgeber sind ja bisher nicht bereit gewesen, ein Verhandlungsangebot zu machen, geschweige denn einen neuen Termin vorzuschlagen. Wir haben am 28. jetzt in dieser Woche eine Mitgliederversammlung. Wir warten alle mit Spannung auf das Ergebnis dieser Versammlung und hoffen, dass wir dann da auch einen ersten Schritt des Aufeinanderzugehens erleben.
Meurer: Über was wird denn auf dieser Mitgliederversammlung entschieden?
Schmidt: Da wird darüber entschieden, ob die Gruppe der Arbeitgeber ein Verhandlungsmandat hat, weil bisher bei den fünf Verhandlungsterminen, die wir hatten, gab es immer am Ende eine Erklärung, ein richtiges Verhandlungsmandat läge nicht vor, mit dem Verweis auf –
Meurer: Entschuldigung, es ist eine Mitgliederversammlung nicht von Verdi, sondern von den Arbeitgebern?
Schmidt: Ja, von den Arbeitgebern.
Meurer: Gehen Sie davon aus, dass diese Woche verhandelt oder miteinander gesprochen wird?
Schmidt: Ich habe ja gerade schon gesagt, wir warten alle mit Spannung und Erwartung darauf, was das Ergebnis dieser Versammlung ist, und hoffen mal im Sinne der Vernunft für den Blick auf den Streik und die Streikauswirkungen, dass es da echt einen Beschluss gibt, dann auf uns zuzugehen.
Meurer: Wenn es diesen Beschluss gibt, ist dann der Streik erst mal vorbei?
Schmidt: Wir haben verabredet bei einer Streikversammlung, die wir in der letzten Woche in Fulda hatten, eine bundesweite Streikversammlung, dass wir, wenn es ein Signal der Arbeitgeber gibt, wieder zusammenkommen, so schnell wie möglich, und dass dann die Delegierten – es sind ja Delegierte, die da bundesweit zusammenkommen, die Entscheidung treffen, wie es weitergeht.
"Es ist ein Stückchen Glaskugellesen"
Meurer: Frau Schmidt, in den Zeitungen in Nordrhein-Westfalen steht schon, dass der Streik möglicherweise bis zu den Sommerferien dauert, also ab heute noch ungefähr zwei Monate. Könnte das passieren?
Schmidt: Es ist ein Stückchen Glaskugellesen, glaube ich. Die Streikenden sind wild entschlossen, weiter zu streiken, so lange, bis es ein Verhandlungsangebot der Arbeitgeber gibt, und auch eines, was signalisiert, dass man ernsthaft auch an einer Aufwertung arbeitet. Wie lange das dauert, ist sehr stark davon abhängig, inwieweit denn die Oberbürgermeister, die Landräte, die einzelnen Vertreter im Arbeitgeberverband jetzt Druck bekommen, um sich zu bewegen.
Wir haben das Gefühl, dass sie im Moment eher toter Mann spielen und das Gefühl haben, sie können diesen Streik aussitzen, weil sich der Frust und der Ärger der Eltern gegen uns richtet und nicht gegen die Arbeitgeber.
Meurer: In Köln hier sind die allermeisten städtischen Einrichtungen geschlossen. Warum hat Verdi diese Streiktaktik, und warum gehen Sie nicht hin und sagen zum Beispiel, wir bestreiken die eine Hälfte der Kitas und dann die andere und geben den Eltern ein bisschen Luft in der Zwischenzeit?
Schmidt: Also erst mal haben wir überall in Nordrhein-Westfalen auch Notgruppenplätze, die angeboten werden. Wir haben in der letzten Woche einmal ein Resümee gezogen, da war es so, dass die Notgruppenplätze, die wir anbieten, gar nicht komplett ausgelastet sind –
Meurer: Ja, weil die Eltern sagen, ich schicke mein Kind nicht in eine fremde Einrichtung, wo es niemanden kennt.
Schmidt: Ja, die Argumente sind da unterschiedlich. Es gibt ja auch Eltern, die Gott sei Dank auch sozusagen gute Möglichkeiten für sich selber organisieren konnten, auch zum Teil sich gegenseitig helfen. Also, wir haben Notgruppenangebote, auch in Köln sind 75 der Einrichtungen geöffnet.
Wir haben allerdings die Erfahrung aus dem Jahr 2009, als wir im Tarifkonflikt waren und die Streikenden gesagt haben, eine Rein-Raus-Taktik, das haben wir damals so favorisiert, also in einer Woche einen Tag, dann mal zwei Tage, dann mal drei Tage. Das macht so wenig Druck auf die Arbeitgeber, dass sie sich gar nicht bewegen.
Wir haben allerdings die Erfahrung aus dem Jahr 2009, als wir im Tarifkonflikt waren und die Streikenden gesagt haben, eine Rein-Raus-Taktik, das haben wir damals so favorisiert, also in einer Woche einen Tag, dann mal zwei Tage, dann mal drei Tage. Das macht so wenig Druck auf die Arbeitgeber, dass sie sich gar nicht bewegen.
"Arbeitgeber und Kommunen sollen vom Streik nicht profitieren"
Meurer: Die Arbeitgeber, liest man, empfinden das vielleicht gar nicht als Druck. Die Stadt Köln, Frau Schmidt, spart täglich 500.000 Euro Personalkosten, das heißt, die können eigentlich Däumchen drehen, und es geht doch nur zulasten der Eltern.
Schmidt: Ja, wir sind in der – da wir ja sehen, dass wir nach zwei Wochen sozusagen noch kein Angebot der Arbeitgeber haben, sind wir ab dieser Woche sehr stark auch in die Richtung unterwegs, dass wir an die Oberbürgermeister und Landräte und auch Fraktionsvorsitzende herantreten.
Wir haben vor, ein sogenanntes Einwohner-, einen Einwohnerantrag oder Bürgerbegehren, heißt halt unterschiedlich in den Kommunen, Wuppertal hat das gestartet, das wollen wir jetzt in Nordrhein-Westfalen als Beispiel überall nutzen. Die Wuppertaler haben den Antrag gestellt, also Bürgerinnen und Bürger haben den Antrag gestellt, das Geld, was jetzt an Personalkosten eingespart wird, als Investitionskosten anschließend in die Einrichtungen zu geben, die bestreikt werden, und haben da in der ersten zwei Tagen der letzten Woche schon richtig viele Unterschriften auch in der Bevölkerung sammeln können.
Das wollen wir jetzt machen, um auch sozusagen nicht dafür zu sorgen, dass die Arbeitgeber oder die Kommunen letztendlich davon profitieren, dass wir streiken.
Meurer: Gabriele Schmidt, die Landesvorsitzende Nordrhein-Westfalens der Gewerkschaft Verdi zu den Streiks bei den Kitas, die jetzt in die dritte Woche gehen. Frau Schmidt, Danke schön nach Düsseldorf, Wiederhören!
Schmidt: Ja, ich bedanke mich auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.