"Wir sollten eine vernünftige Diskussion führen," so Mädge. Das Gehaltsgefüge im öffentlichen Dienst sei sehr breit aufgestellt, man müsse immer abwägen, welche Gruppe eine Erhöhung bekommen könne. Für Streiks, wie sie die Gewerkschaften angedroht haben, zeigte Mägde kein Verständnis. "Wieso wird gestreikt, wenn wir uns ordentlich hinsetzen?" Er werde sich von Streiks nicht unter Druck setzen lassen.
Mägde kritisierte den Vergleich des Erzieher-Gehalts mit Gehältern in der freien Wirtschaft: "Ich kann mein Gehalt auch nicht mit dem von Martin Winterkorn vergleichen. Wenn man sagt, der VW-Arbeiter am Band verdient viel mehr als ich, dann muss man da hingehen."
Die Forderungen der Gewerkschaften müssten außerdem realistisch bleiben. "20 Prozent mehr werden nicht gehen, das kann keiner bezahlen." Es gebe allerdings eine Bereitschaft aufseiten der kommunalen Arbeitgeber, "graduelle Veränderungen" vorzunehmen.
Äußerungen der Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD), wonach in die frühkindliche Bildung viel mehr investiert werden müsse, nimmt er nicht ernst: "Beim Bund hört man immer das gleiche, egal wer Minister ist - das sind die üblichen Aussagen einer Bundesministerin."
Das Interview in voller Länge:
Silvia Engels: In den Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst in den Kommunen geht es nicht voran. Auch die gestrige dritte Runde blieb ohne greifbares Ergebnis. Die Erzieher verlangen eine Höhergruppierung ihrer Tätigkeit, was einer Gehaltssteigerung von bis zu oder durchschnittlich zehn Prozent gleichkäme. Die Gewerkschaften Verdi und GEW planen deshalb in den nächsten Tagen weitere Warnstreiks. Am Telefon ist nun Ulrich Mädge, er ist Oberbürgermeister von Lüneburg, gehört der SPD an und ist einer der Verhandlungsführer aufseiten der Kommunalen Arbeitgeberverbände. Guten Morgen, Herr Mädge!
Ulrich Mädge: Guten Morgen, Frau Engels!
Engels: Wo hakt es derzeit besonders in den Gesprächen?
Mädge: Na ja, erst mal ist die Sache sehr komplex, weil es um Erzieher geht. Es geht um Leitungskräfte, Sozialarbeiter, und es geht vor allem darum, dass wir alle die Erzieherinnen wertschätzen und die Arbeit auch gut schätzen, weil sie nötig ist und eine Bildungsaufgabe ist. Aber wir haben in unserem Kasten auch alle anderen Mitarbeiter, vom Müllwerker bis zur Mitarbeiterin im Ausländeramt und bis zur Krankenschwester, und die sagen: Wir wollen auch wertgeschätzt werden. Das heißt, das Gehaltsgefüge, was wir haben im öffentlichen Dienst, ist sehr breit aufgestellt, und wir können nicht nach 2009 eine Gruppe zum zweiten Mal höher bewerten so einfach, weil sonst bricht uns das alles auseinander. Und das ist die Problematik. Und das Zweite ist natürlich, dass die Forderung mit bis zu 20 Prozent völlig unrealistisch ist an dieser Stelle. Da liegen die Punkte also sehr weit auseinander.
Engels: Frühkindliche Bildung gilt ja als entscheidend für die Entwicklung eines Kleinkindes. Sehen Sie sich also in einer Abwägung, ob nun ein Müllwerker mehr verdient oder ein Kinderbetreuer?
Mädge: Das ist wie im normalen Leben privat auch: Wenn ich ein Budget X habe, muss ich genau sehen, wie ich alle möglichst in der Familie oder in meinem Umfeld gerecht behandle dabei. Das ist in der Tat eine Abwägung. Im Moment haben wir, man liest, hört es ja auch bei Ihnen, eine Flüchtlingswelle, und wir müssen Flüchtlinge unterbringen und suchen auch dafür Finanzen. Aber das ist unser täglich Brot. Hier geht es vor allem erst mal darum, dass wir diese Einordnung hinbekommen. Wir sind bereit, graduelle Verbesserungen vorzunehmen, dort, wo man nach 2009 erkennt, dass man noch zum Beispiel bei besonderen Qualifikationen etwas tun muss oder bei Gruppengrößen. Die Bildungslandschaft hat sich verändert. Aber sie ist ja nicht nur in der Kita, sie geht dann weiter in der Ganztagsschule, in der nachmittäglichen Betreuung bis zur Ferienbetreuung. All das müssen wir im Bildungspaket sicherstellen und auch finanzieren. Und da helfen auch keine Streiks, um Druck auszuüben, sondern wir sagen, wie gestern: Lasst uns hier vernünftig und in Ruhe diese Diskussion führen und dann sehen wir am Ende der fünf Verhandlungsrunden, die wir uns vorgenommen haben, wohin wir kommen. Wir sehen ja schon das Anliegen an der Stelle. Ich habe ja noch bei mir auch über 400 Erzieherinnen.
"Aus unserer Sicht bezahlen wir unsere Mitarbeiter ordentlich"
Engels: Aber sehen wir mal auf diesen Streit, der immer bei knappem Geld geführt wird, auf eine andere Nebengeschichte, denn es sind ja immer wieder gehörte Politikeräußerungen, Investition in frühkindliche Bildung habe erste Priorität – das sind also nur Sonntagsreden?
Mädge: Nein. Also aus unserer Sicht bezahlen wir auch ordentlich unsere Mitarbeiter. Wenn Sie die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst miteinander vergleichen, dann werden Erzieher und Erzieherinnen auch ordentlich bezahlt. Natürlich möchte man immer mehr Geld. Hier geht es ja auch daneben noch um zum Beispiel Verfügungszeiten, hier geht es um Gruppengrößen, hier geht es darum, wie sieht eine Kita aus, um die Arbeit zu erleichtern, hier geht es um Gesundheitsprävention – all das läuft ja noch nebenher. Was man da bedenken muss: Es ist nicht so einfach, dass wir sagen: Bildung ist uns nichts wert. Wenn Sie sehen: Die Ausgaben der Kommunen in den letzten fünf Jahren sind erheblich in den Bildungsbereich hineingeflossen.
Engels: Es ist aber auf der anderen Seite ja auch eine Notlage, was Fachkräfte angeht. In den letzten Jahren wurden ja aufgrund des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz viele Kitas ausgebaut. Kann man genügend Fachpersonal überhaupt noch gewinnen, wenn man nicht besser zahlt?
Mädge: Im Moment bekommen wir genügend Kräfte und es wird ja ausgebildet an den Schulen. Auch da muss man sehen, ob dieses vier-, fünfjährige Ausbildungssystem ohne Geld, also dass die Kinder oder die Jugendlichen noch dort Schulgeld mitbringen müssen, das ist auch nicht mehr adäquat. Aber im Moment bekommen wir die Kräfte, sie sind da. Und von daher hätten wir da nicht die Probleme. Da müssen wir uns eher um Ausbildungsinhalte kümmern und, wie gesagt, dass – wie bei einem normalen Auszubildenden – auch vom ersten Monat an ein Azubigehalt gezahlt wird. Das sind Themen, die man dabei auch mit bearbeiten muss. Aber letztendlich einfach zu sagen, 10, 20 Prozent mehr, das wird nicht gehen und das wird auch keiner bezahlen können. Und die Eltern auf der anderen Seite, denen müssten wir ja sagen, ihr müsst mehr Beiträge zahlen. Da geht die Entwicklung in eine ganz andere Richtung, dass sie sagen, wir wollen nicht mehr zahlen beziehungsweise wir wollen überhaupt nicht zahlen.
Engels: Muss man die Eltern dann aber auch in die Pflicht nehmen, Ihrer Ansicht nach?
Mädge: Das ist immer eine schwierige Sache, weil die, genau wie Sie, ankommen und sagen: Zukunft unserer Gesellschaft sind Kinder, ist Bildung. Das ist das Gold in den Köpfen, das müssen wir heben. Wir haben keine Riesenrohstoffe wie an anderer Stelle. Und das wollen wir auch, und das muss mit Eltern und mit den Mitarbeiterinnen natürlich besprochen und auch vernünftig bezahlt werden. Das ist ja gar kein Unterschied: Ich kann mein Gehalt auch nicht mit Herrn Winterkorn vergleichen. Und wenn dann gesagt wird, wir vergleichen es mit dem Bandarbeiter bei VW, ja, dann muss man zu VW gehen. Ich muss im System des öffentlichen Bereiches bleiben, und es muss realistisch finanzierbar bleiben. Mit Schulden das zu bezahlen, das ist ja die einzige Lösung, die wir dann hätten, mit Schulden Gehälter zu zahlen, das ist nicht zukunftsfähig an der Stelle.
"Eine Lösung finden, die nicht auf der Höhe der Verdi-Forderung ist"
Engels: Ich zitiere mal: "Generell bin ich fest davon überzeugt, dass wir nur den Fachkräftebedarf in diesem Erziehungsbereich stemmen können, wenn es zu einer besseren Bezahlung kommt." Das sagt nicht Verdi, sondern Ihre Parteifreundin, Familienministerin Schwesig von der SPD im vergangenen Jahr. Fühlen Sie sich vom Land, aber auch vom Bund im Stich gelassen, wenn hier immer wieder auf höherer Ebene mehr Geld für Bildung gefordert wird, aber Sie die Probleme mit der Finanzbeschaffung haben?
Mädge: Das Land Niedersachsen hilft uns sehr: Wir bekommen die dritte Kraft finanziert, wir finanzieren endlich Ganztagsschulen, sodass wir auch richtig Ganztagsschulunterricht dort anbieten können. Beim Bund hört man immer das Gleiche, da ist egal, wer Familienministerin ist. Und wenn es dann darum geht, uns Geld dafür zu geben, dann zieht man sich aufs Grundgesetz zurück. Insofern sind das die üblichen Äußerungen einer Bundesministerin an der Stelle, egal, von welcher Partei sie ist. Das habe ich vorher bei ihrer Vorgängerin genauso gehört. Wir fordern ja, dass der Bund sich mehr engagiert, nicht nur bei Investitionen, sondern auch bei den laufenden Kosten – das ist ja das Problem. Aber hier geht es, glaube ich, darum, eine richtige Einordnung zu finden, und deswegen sagen wir: Lasst uns hier die nächsten Verhandlungstermine vernünftig verhandeln und nicht durch Warnstreiks Eltern und Erzieherinnen in bestimmte Richtungen zu treiben und Druck auszuüben. Also ich habe jedenfalls nicht die Absicht, mich unter Druck setzen zu lassen, sondern hier eine Lösung zu finden, die nicht auf der Höhe der Verdi-Forderung ist, ist doch ganz klar.
Engels: Das heißt aber: Mittelfristig müssen sich die Eltern auch auf größere neue Streikwellen gefasst machen?
Mädge: Da müssen Sie Verdi fragen. Wir haben gestern gesagt: Wieso wird gestreikt, wenn wir ernsthaft hier uns hinsetzen? Wissen Sie, ich habe einen Job, einen Konzern mit 4000 Mitarbeitern zu führen, und fahre doch nicht nach Düsseldorf, um nur leere Worte oder ein paar höfliche Formeln auszutauschen. Ich möchte verhandeln, und meine Kollegen aus Potsdam und aus der Geschäftsstelle auch, und nicht dann bestreikt werden. Das passt nicht zusammen. Da muss ein Klima erst mal herkommen. Und darum versuchen wir, das hinzubekommen. Nur, man muss sehen, dass hier eben auch Mitgliederwerbung betrieben werden soll – das ist legitim für eine Gewerkschaft. Aber nur Druck auf uns auszuüben, das wird nicht gelingen, weil, wie gesagt, einfach die Finanzmittel nicht da sind.
"Der Bund muss den Kommunen helfen"
Engels: Dann schauen wir noch mal auf die Verantwortung des Bundes, Sie haben es eben angedeutet: Muss der Bund konkret Milliardengelder in die Hand nehmen, um den Ländern bei der Finanzierung letztlich zu helfen?
Mädge: Na ja, er muss den Kommunen helfen. Bei den Ländern bleibt es ja meistens auch für andere Dinge hängen teilweise.
Engels: Aber es muss ja über die Länder laufen, damit es die Kommunen erreicht, rein rechtlich betrachtet.
Mädge: Ja. Bevor es dieses Kooperationsverbot im Grundgesetz gab, ging es ja auch anders. Aber wenn die Gelder durchgereicht werden, ist ja kein Thema. Natürlich muss der Bund mehr auch in Bildung investieren, also wir alle als Gesellschaft, weil der Bund hat die höchsten Steuereinnahmen an der Stelle. Das ist unsere Forderung seit Jahren. Und da reden wir auch mit dem Bund. Das sehen Sie ja, wie bei der Flüchtlingshilfe, wo wir ja genauso im Regen sozusagen stehen, weil weder Bund noch Länder uns genügend Geld gibt. Wenn ich jetzt nächste Woche wieder 100 Flüchtlinge unterbringen muss, dann muss ich das finanzieren.
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