Sandra Pfister: Der Bundesgerichtshof hat gestern ein für Eltern von Kleinkindern ziemlich wichtiges und folgenreiches Urteil gefällt. Eltern können bei den Kommunen Geld einklagen, Schadensersatz einklagen, wenn ihr Kind keinen Kita-Platz erhält. Drei Mütter aus Leipzig, die mangels eines Kita-Platzes nicht Arbeiten gehen konnten, hatten geklagt, und jetzt können sie ihren Verdienstausfall geltend machen. Welche Folgen hat das für Eltern, und welche Folgen hat das für die Qualität der Betreuung? Das besprechen wir mit dem Fachmann der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Bernhard Eibeck. Herr Eibeck, bekommt jetzt jeder Geld, der keinen Kita-Platz bekommt?
Bernhard Eibeck: Nein, so wäre das Urteil des Bundesgerichtshofs gestern nicht zu verstehen. Das Urteil hat ja nur dem Grunde nach entschieden, dass Eltern einen Schadensersatzanspruch haben. Es muss nun in jedem Einzelfall geprüft werden. Das heißt, die Eltern müssen zunächst erst mal darlegen, dass ihnen tatsächlich ein Schaden entstanden ist, wie der entstanden ist und in welcher Höhe er sich darstellt. Und dann muss die Kommune erläutern, wie sie sich denn in den letzten Jahren darauf vorbereitet hat, den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz einzulösen. Und da kommt es nun darauf an, dass man der Kommune schuldhaftes Verhalten nachweisen kann, dass sie es eben einfach ich sage mal verschludert hat und nicht genügend energisch dem Thema nachgegangen ist.
Kein Schuldhaftes Versagen bei Mangel an Personal
Pfister: Und ob die Kommune Schuld hat, das ist nicht so ganz einfach. Wenn ich das richtig sehe. Wenn die Kommune Finanzprobleme hat, dann trifft sie eine Schuld, dann muss sie den Eltern Schadensersatz zahlen. Aber wenn sie zum Beispiel keine geeigneten Erzieher für eine Kita findet und deswegen nicht genug Plätze anbieten kann, dann trifft sie keine Schuld, und dann besteht auch kein Anspruch auf Schadensersatz.
Eibeck: Ja, also das ist richtig. Wenn der Haushalt einer Kommune so gestaltet wurde, dass für den Ausbau der Plätze an Kindertageseinrichtungen nicht genug Geld zur Verfügung stellt, dann ist das schuldhaftes Versagen. Eine andere Frage ist es, wenn durch andere Umstände nicht genügend Kita-Plätze entstanden sind. Da führen die Kommunen ja vor allem zwei Gründe an: Einmal der Mangel an Baugrundstücken – das betrifft vor allem Innenstadtbereiche der Großstädte. Das gleiche Problem ist bei dem Erziehermangel. Das ist ja allenthalben seit Jahren ein bekanntes Problem, da haben sich ja auch das Bundesfamilienministerium und die zuständigen Verbände und Ministerien mehrfach damit auseinandergesetzt und versucht, Maßnahmen zu ergreifen, den Beruf attraktiver zu machen. Und wenn sie glaubhaft machen kann, dass sie wirklich alles Menschenmögliche getan hat, dann würde man hier auch davon ausgehen können, dass sie keine Schuld trifft.
"Qualität der Betreuung ist gesunken"
Pfister: Das ist ein Indiz, dass, wenn man die Kommunen, so wie das geschehen ist, rechtlich dazu zwingt, ihnen Druck macht, mehr Plätze zur Verfügung zu stellen, dass der Schuss auch nach hinten losgehen kann, denn man versucht dann, möglichst viele Betreuungsplätze zu haben, aber kommt dabei nicht schlechtere Qualität raus?
Eibeck: Diesen Zusammenhang sehen wir in der Tat. Wir haben jetzt sehr viel Aufmerksamkeit gehabt, auch vonseiten der Politik, auch oft vonseiten der Finanzsteuerung, die Platzzahlen zu erhöhen, also mehr Plätze zu schaffen. Und in der Tat müssen wir beobachten, und wir sehen das mit großer Sorge, dass die Qualität der Betreuung gesunken ist. Dafür sind maßgeblich zwei Faktoren: Das eine ist, dass die Fachkraft-Kind-Relation, so nennen wir das, also wie viel Erzieherinnen sind für wie viel Kinder da, schlechter geworden ist. Der Einsatz von Hilfskräften, von schlecht ausgebildeten pädagogischen Fachkräften, ist gestiegen. Und man muss bedauerlicherweise auch sehen, dass die Werbung für den Beruf an einer Stelle sozusagen gefruchtet hat, wo wir doch Stirnrunzeln haben, nämlich bei vor allem jungen Frauen, die auf dem Arbeitsmarkt ansonsten, in anderen Berufen, keine Chance auf einen qualifizierten Abschluss gehabt hätten und die dann sagen, na ja, irgendwie komme ich als Erzieherin schon zurecht, ich mach da mal so einen Kurs, melde mich zu einer Prüfung an, und dann wird das schon hinhauen. Wir sehen hier auch, dass sich eine Menge neuer Fortbildungs- und Berufsbildungsinstitute gegründet haben, die auf die Schnelle vor allem junge Frauen für den Beruf qualifizieren und man dann irgendwie mit so nicht immer sehr seriösen Ausbildungsgängen da versucht, Personal zu gewinnen.
Pfister: Das heißt, es werden die Falschen Erzieherinnen?
Eibeck: Es werden immer mehr Personen Erzieherinnen, die für den Beruf nicht geeignet sind. Wir haben mittlerweile die kuriose Situation, dass sich viele Kita-Leiterinnen ausgerechnet an uns als Gewerkschaft wenden mit der Frage, wie schaffe ich es, einer ungeeigneten Erzieherin zu kündigen. Das ist ja nun wirklich an die Gewerkschaft eine sehr kuriose Fragestellung, weil wir ja eigentlich für den Kündigungsschutz zuständig sind und nicht dafür, Kita-Leitungen zu beraten, wie sie mit Personal umgehen, wo man nicht mehr verantworten kann, dass die mit Kindern den Tag verbringen.
Pfister: Herr Eibeck, ich danke Ihnen ganz herzlich. Das war Bernhard Eibeck, GEW-Referent, zuständig für Kita-Fragen. Danke Ihnen!
Eibeck: Danke auch!
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