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Kitaplatzmangel in Berlin
"1.000 Euro Prämie, wenn jemand einen Kitaplatz findet"

Eine Kitaleiterin erinnert sich nicht, in den letzten Jahren auch nur einen Platz frei gehabt zu haben, und Agenturen vermitteln Betreuungsplätze gegen hunderte Euro Provision. Irgendwas stimmt nicht in Berlins Kita-Betreuungswesen. Eltern erzählen von der Jagd auf den Kitaplatz.

Von Anja Nehls |
    14.04.2018, Berlin: Demonstration gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung: Ein Schild, das ein Teilnehmer trägt, soll eine Kita darstellen. Im Hintergrund ist ein Bürogebäude am Potsdamer Platz zu sehen. Foto: Wolfram Steinberg/dpa | Verwendung weltweit
    Immer wieder gehen Eltern in Berlin gegen den Kitaplatz-Mangel auf die Straße (picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg)
    Christine Kroke sitzt in ihrer Wohnung am Schreibtisch und kämpft sich durch Computertabellen, E-Mails und Anmeldebögen. Auf einer Krabbeldecke schläft Söhnchen Carl – acht Monate alt. Er ahnt nichts davon, dass seine Mutter seit seiner Geburt eine Art neuen Vollzeitjob hat. Und der heißt nicht etwa Windelnwechseln, Stillen oder Trösten, sondern Kitaplatzsuche:
    "Indem es wirklich Anrufe waren, Mails schreiben, Excel Tabellen aktualisieren, dann ist es ja so, dass man sich bei Kitas in regelmäßigen Abständen wieder melden muss, das heißt du musst dich dann auch daran erinnern, aha, Kita X möchte jetzt im April, Mai, Juni, die dritte Rückmeldung haben. Und so hat man dann quasi einen Tag von 16 Stunden zu einem neugeborenen Baby, und dabei ist bisher noch nichts herumgekommen."
    Dabei hat sie bereits während der Schwangerschaft mit der Suche begonnen. Zunächst im Kinderladen im Nachbarhaus. Aber dort hängt seit langem ein Schild im Fenster: "Leider haben wir keine freien Plätze mehr für 2018". Eigentlich wollten Christine Kroke und ihr Mann nach Carls Geburt beide wieder Vollzeit arbeiten, aber daraus scheint nichts zu werden, obwohl sie sich inzwischen bei mehr als 100 Kitas in der näheren und weiteren Umgebung beworben haben:
    "Ich wurde da schon vertröstet mit Mails, wo drin stand, ja, wir sind bis Ende 2019 belegt, wir sind bis 2020 belegt. Ich habe eine Mail bekommen von einer Kindergartenkette, wo drin stand, ja, bis 2020 können wir keinen Platz anbieten, derzeit warten 700 Kinder auf einem Platz bei uns und es werden zunächst auch erst mal die Geschwisterkinder berücksichtigt."
    Christine Kroke arbeitet inzwischen wieder in Teilzeit, ihr Mann kümmert sich um Carl. Dass er als Architekt einen Halbtagsjob bekommt ist unwahrscheinlich.
    "Jetzt möchte ich natürlich wieder Anschluss finden und das ist nun eben schwierig mit einer Teilzeitstelle und es ist schwierig, weil ab August fällt eben auch das Elterngeld weg, und was ist dann?"
    "Ich kann mich nicht erinnern, freie Plätze gehabt zu haben"
    Dann fehlen monatlich 1.500 Euro in der Kasse, ohne die es für die kleine Familie finanziell eng wird. Dabei gibt es eigentlich einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Und – laut Berliner Jugendverwaltung – auch 6.000 freie Kitaplätze in Berlin. Wer allerdings auf der Internetseite "Kitabörse" der Jugendverwaltung nach freien Plätzen sucht, wird in der Regel nicht fündig – kein Wunder, sagt diese Kitaleiterin aus dem Berliner Südwesten:
    "Ich kann mich in den letzten Jahren nicht erinnern, jemals in der Situation gewesen zu sein, freie Plätze zu haben. Ich sage mal, wenn, dann würde ich es auch erstmal im Schaukasten aushängen, damit der Kiez Bescheid weiß."
    Auch bei anderen Suchmaschinen oder Verzeichnissen im Netz sieht man zwar, welche Einrichtung sich wo befindet und welchen Schwerpunkt anbietet – ob zufällig ein Platz frei ist, sieht man aber nicht. Da hilft dann wieder nur hingehen, anrufen, anschreiben oder mailen. Gerd Landsberg, vom Deutschen Städte- und Gemeindebundes fordert vernünftige internetgestützte Verfahren:
    "Damit dann eben auch unter Effizienzgesichtspunkten nur dann die Plätze vergeben werden, die wirklich auch in Anspruch genommen werden und nicht dann drei oder vier oder fünf nicht besetzt werden können, weil man sich zu spät wieder abgemeldet hat. Und das hängt auch damit zusammen, dass sie unterschiedliche Trägerstrukturen haben und die Träger sich gegenseitig nicht gerne in die Karten schauen lassen und kooperieren, aber da sind die Gemeinden dran und da wird uns die Technik auch helfen."
    Eltern beklagen sich nicht nur – sie klagen auch
    Bisher allerdings nicht. Hier steht nicht nur Christine Krokes kleiner Sohn Carl auf fast 100 Wartelisten, sondern tausende andere Kinder ebenfalls. Um vielleicht doch früher einen Kitaplatz zu bekommen lassen sich Berliner Eltern einiges einfallen, erzählt diese junge Mutter:
    "Alle suchen und sind ein bisschen verzweifelt, und diejenigen, die einen gefunden haben haben, dann vielleicht einen Kuchen gebacken oder haben die Bereitschaft signalisiert in den Förderkreis eizusteigen. Also so verzweifelt sind wir Eltern jetzt schon. Wenn man bei Ebay-Kleinanzeigen guckt, ich habe gesehen: 1.000 Euro Prämie, wenn jemand einen Kitaplatz findet für eine Familie. Es gibt Agenturen, die damit jetzt Profit machen, 300 Euro Vermittlungsgebühr. Und das macht mich auch wütend, dass jetzt noch Leute da sind, die Kapital aus dieser Situation schlagen wollen.
    Sie selber hat inzwischen geklagt. Wie ein Dutzend weitere Berliner Eltern auch. Obwohl das Berliner Oberverwaltungsgericht kürzlich entschieden hat, dass ein Kitaplatz in Wohnortnähe zugewiesen werden muss, wäre eine Klage für Christine Kroke nur eine Notlösung:
    "Ich glaube, das ist fünf Wochen nach dem eigentlichen Wunschtermin – wenn man dann noch keinen hat, dann muss gehandelt werden und dieser Kitaplatz muss zugewiesen werden. Das ist eine kurzfristige Lösung, geht aber nicht an den Kern des Problems, weil es wird zur Folge haben, dass die Kitas überlastet sind. Das heißt, da werden jetzt noch mehr Kinder auf die gleichen Erzieher gesteckt, die Quote ist dementsprechend schlecht."
    Alle sind gleich, aber manche sind gleicher
    Einfacher haben es inzwischen Eltern, wenn sie bei Unternehmen wie etwa Zalando oder Daimler Benz arbeiten. Diese haben mit bestimmten Kitas Kooperationen abgeschlossen. Ein festes Kontingent der Plätze wird dann vorrangig an Mitarbeiterkinder dieser Unternehmen vergeben, ärgert sich Christine Kroke:
    "Die kaufen jetzt hier die Kitaplätze auf und da meistens für ihr gut verdienendes Führungspersonal, also für Leute, die sowieso schon in einer guten Position sind, aber was macht eine Krankenschwester, eine Zahnarzthelferin?"
    Das Verfahren sei aber rechtens, weil die Kinder sowieso einen Anspruch auf einen Kitaplatz hätten, heißt es aus der Berliner Verwaltung. Die Kitas verteidigen die Kooperationen, weil sie ohne die zusätzliche Einnahmen die in Berlin exorbitant gestiegenen Mieten und Immobilienpreise für ihre Einrichtungen nicht mehr tragen könnten.
    Christine Kroke, die für ihren Sohn beinahe eine Tagesmutter gefunden hatte, hat nun schon wieder eine Absage bekommen: Der Platz bei der Tagesmutter wird nicht frei, weil die Kinder, die von dort eigentlich in eine Kita aufrücken sollten, keinen Platz gefunden haben.