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Klänge gegen die Zensur

Der Brasilianer Caetano Veloso, der im vergangen Monat 70 geworden ist, war Zeit seines Lebens eine erstaunliche Persönlichkeit. Der Geschmack der Masse, der Musikjournalisten oder der Musikindustrie hat ihn nie interessiert. Und während der Militärregierung hat er mit revolutionären Songs sein Leben riskiert.

Von Camilla Hildebrandt |
    Brasilien, 1967, drei Jahre nach der Machtübernahme durch das Militär: eine Gruppe von Musikern aus Bahía will die Repression, die Verfolgung von Regimekritikern, nicht länger unkommentiert lassen. Auch die strikte Trennung in hohe Kultur und Kultur für die Massen ist für sie untragbar. Ihre Songs sollen für sie sprechen. Die Tropicalismo-Bewegung ist geboren, die Künstler bis heute beeinflussen wird. Zwei der wichtigsten Köpfe: Gilberto Gil und Caetano Veloso.

    "Gegen den Wind laufend,
    Ohne Taschentuch, ohne Ausweispapiere,
    Fast schon unter einer Dezembersonne gehe ich.
    Die Sonne löst sich auf in Verbrechen, Raumschiffen, Guerillas (...) in großen Liebesküssen, in Zähnen, Beinen, Flaggen,
    Die Bombe und Brigitte Bardot."

    Ihre Musik wirft alles über den Haufen was bis dato gilt. Ihre Songs sind poetisch, sozialkritisch, politisch, aber wegen der Zensur getarnt durch Metaphern.

    "Wir wuchsen mit dem Bossa Nova auf. Aber dann kombinierten wir englischen Beat und amerikanischen Rock mit schwarzen Rythmen. Wir mischten Musik mit Fahrradklingeln und Pop mit sakraler Musik. Wir hatten für nichts Respekt, nicht für die Familie, das Vaterland, nicht einmal für den Karneval. Wir liebten Antonio Carlos Jobim und Cool Jazz, und daraus entstand dieses merkwürdige Phänomen, das man Tropicalismo nennt."

    Caetano Veloso und Gilberto Gil werden schlagartig berühmt. Aber viele verstehen ihre Musik nicht. Als Veloso 1968 auf dem legendären Musikfestival in São Paulo "É proibido proibir" – "Es ist verboten zu verbieten" spielen will, wird er massiv ausgebuht. Stattdessen hält er eine Rede:

    "Ist das etwa die Jugend, die sagt, sie will die Macht übernehmen? Ihr seid doch die, die morgen einen alten Freund töten, der schon gestern gestorben ist. Ihr versteht nichts, gar nichts!"

    Kurze Zeit später werden Veloso und Gil wegen Aufruhrs verhaftet und verschwinden für Monate im Gefängnis. Nach ihrer Entlassung 1970 geht Veloso nach London ins Exil. Aber in der brasilianischen Kulturszene bleibt er immer gegenwärtig. Lieder, die er in London schreibt, werden von anderen Musikern gesungen und veröffentlicht.

    Nach seiner Rückkehr 1972 läßt sich Veloso von niemandem vereinahmen, schon gar nicht von der Linken, die versucht, ihn zum Symbol des Widerstands zu ernennen. Caetano Veloso bleibt Zeit seines Lebens auf der Suche nach neuen Ausdrucksmitteln, ganz gleich, welcher Musikstil gerade angesagt ist oder was die Presse über seine Experimentierfreudigkeit sagt. Er entwickelt sich zur Ikone der Música Popular Brasileira, dieser neuen Musikrichtung, die so gut wie alles beinhalten kann. Und Veloso liebt Brasilien, seine Kultur, seine Widersprüchlichkeit.

    "Das klingt vielleicht widersprüchlich und paradox, aber es ist nunmal ein verrücktes Land. Viele Brasilianer schauen neidisch auf die USA und wären am liebsten US-Bürger. Vor allem die Journalisten in São Paulo, die über Musik schreiben. Die verachten die brasilianische Kultur und hassen Brasilien, und sie hassen alles, was von mir kommt."

    "Jeder kennt den Schmerz und die Freude der zu sein, der man ist", sagt Veloso.

    Caetano Veloso hat über 40 Alben veröffentlicht, Filmsongs für Michelangelo Antonioni und Pedro Almodóvar geschrieben. Für die junge Musik-Generation in Brasilien, die heute mehr denn je aus der Vergangenheit schöpft, den Tropicalismo huldigt, ist er das Vorbild schlechthin. Zu seinem 70. Geburtstag am 7. August kam gerade das Album "A Tribute To Caetano Veloso" heraus. Internationale Stars wie die US-Rocksängerin Chrissie Hynde, der Uruguayer Jorge Drexler, Seu Jorge oder die Newcomerin Céu interpretieren seine Songs. Veloso hat auch mit 70 noch immer seine weiche, unverkennbare Stimme.

    Wenn er Klassiker anstimmt, wie Ende 2011 auf dem Konzert mit Gilberto Gil und Ivete Sangalo, tobt das Publikum. "Vôce é linda" – "Du bist wunderschön" von 1983, einer seiner schönsten Liebessongs!