Fünf Jahre nach der Atomwende der Bundesregierung ist nur noch wenig von der damaligen Aufregung zu spüren. Um wie viel es geht, wird aber schon aus dem Zeitplan des Bundesverfassungsgerichts deutlich. Mehrere Stunden sind allein für die einleitenden Stellungnahmen von Vertretern aus Wirtschaft und Politik vorgesehen, ungewöhnliche zwei Tage für die Verhandlung. Eon, RWE und Vattenfall machen geltend, mit der Entscheidung zum beschleunigten Atomausstieg nach der Katastrophe von Fukushima habe die Bundesregierung die Grundrechte der Konzerne verletzt - vor allem Ihr Eigentumsrecht. Die Verfassungsbeschwerden sind Teil einer ganzen Klagestrategie gegen die Politikwende 2011. Der war bereits ein Hin und Her vorausgegangen. Erst die von der rot-grünen Regierungskoalition initiierte Ausstiegsnovelle 2002. Im Konsens mit den Konzernen wurden den vorhandenen Kernkraftwerken Reststrommengen zugeteilt. Die schwarz-gelbe Bundesregierung drehte diese Vereinbarung zurück, mit zusätzlichen Reststrommengen, die im Schnitt jedem Kernkraftwerk eine zwölf Jahre längere Laufzeit gewährt hätten. Bis zur Katastrophe von Fukushima. Drei Tage später kommentierte der damalige Umweltminister Norbert Röttgen in bemerkenswerter Offenheit die Rolle rückwärts:
"Wir befreien uns von allen Vorfestlegungen, selbst von der Gesetzeslage."
Eon: "Nicht die politischen Entscheidungen in der Sache revidieren"
Jetzt stehe die Sicherheit im Vordergrund. Der Konsens war beendet. Mit dem sogenannten Atommoratorium wurden acht Kraftwerke vorläufig stillgelegt. Es folgte der neuerliche Ausstieg. Wobei der Gesetzgeber den früheren Kompromiss noch verschärfte. Die 13. Novelle des Atomgesetzes kehrte zwar zu den 2002 vereinbarten Reststrommengen zurück - verankerte aber gleichzeitig erstmals feste Abschaltdaten. Die drei Konzerne greifen nun beides an: Die 2010 zusätzlich gewährten Reststrommengen habe der Gesetzgeber nicht einfach wieder kassieren dürfen. Neben dem Grundrecht auf Eigentum machen sie auch Rechte aus der Berufsfreiheit geltend. Und mit der zeitlichen Verschärfung werde außerdem gegen den Gleichheitssatz verstoßen. Von Anfang an hatten die Unternehmen betont, es bleibe ihnen gar nichts anderes übrig als zu klagen - wollten sie sich nicht selbst ihren Aktionären gegenüber schadenersatzpflichtig machen. Eon-Vorstandschef Johannes Teyssen sagte im Mai 2012:
"Es geht uns im Ergebnis nicht darum, die politischen Entscheidungen in der Sache zu revidieren, sondern die wirtschaftlichen Interessen und Rechte von Unternehmen, Kunden, Mitarbeitern und Ihnen, den Aktionären, durch faire Entschädigungsregeln durchzusetzen."
Altmaier: "Es gilt das Primat der Politik"
Auch ein Urteil aus Karlsruhe könnte den Klägern keinen Schadenersatz bescheren. Möglicherweise könnte aber der Gesetzgeber zur Nachbesserung verpflichtet werden. Oder ein Urteil könnte den Unternehmen die Grundlage für Klagen vor den ordentlichen Gerichten geben. Man sehe die Verfassungsbeschwerden sehr selbstbewusst, sagte der damalige Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion Peter Altmaier vor der Kabinettsentscheidung. Im Deutschlandradio Kultur betonte der spätere Umweltminister und heutige Kanzleramtschef:
"Hier gilt der Primat der Politik. Die Kernkraftwerke werden ja nicht von einem zum anderen Tag abgeschaltet. Das geschieht nur für die sieben ältesten Mailer in Deutschland. Und das bedeutet, dass Rechtssicherheit besteht und dass auch Eigentumsschutz gewährleistet ist für die Energiekonzerne."
Heute und morgen geht es in Karlsruhe nur um das Ausstiegsgesetz. Das Moratorium haben die Unternehmen in mehr als 20 weiteren Klagen bundesweit angegriffen. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat die Stilllegung von Biblis A und B für rechtswidrig erklärt, eine Entscheidung, die das Bundesverwaltungsgericht bestätigt hat. Vattenfall, dessen Grundrechtsberechtigung als schwedischer Staatskonzern infrage steht, hat außerdem vor einem US-Schiedsgericht Schadenersatz eingefordert. Unklar ist, ob die Verfassungsbeschwerden hinter den Kulissen in die Verhandlungen der Atomkommission einbezogen sind. Die wirtschaftlich kriselnden Konzerne sollen Milliardenbeträge für die spätere Entsorgung in ein staatliches Sondervermögen einzahlen. In der Verhandlungsmasse soll auch eine mögliche Rücknahme der Verfassungsbeschwerden liegen. Regulär würden die Verfassungsrichter in einigen Monaten entscheiden.