Miriam Zeh: Vor einer Woche haben einige der größten Literaturverlage der USA gegen Audible geklagt. Audible ist ein Tochter-Unternehmen von Amazon und produziert und vertreibt vor allem Hörbücher. Herr Ellenberg, Sie sind Rechtanwalt und spezialisiert auf Urheber- und Medienrecht. Worum ging es in bei dieser Klage?
Stefan Ellenberg: Im Rahmen der Klage geht es darum, dass die Verlage Audible die Einführung eines neuen Features untersagen lassen möchten. Das Angebot heißt Audible Captions. Audible Captions bietet dem Nutzer nicht nur die Möglichkeit, sich das Hörbuch anzuhören, sondern er kann sich parallel dazu auch den Text anzeigen lassen. Man muss sich das Ganze vorstellen wie die Untertitelung bei einem Film, deswegen auch der Name "Captions", also Bildunterschrift oder Untertitel. An der Stelle, an der ich mich gerade im Hörbuch befinde, wird mir ein kurzer Textauszug präsentiert, den ich dann lesen kann.
Der Unterscheid zwischen einem normalen E-book und der Wiedergabe über Audible Captions liegt darin, dass der Nutzer sich die Rechte für das E-Book nicht kaufen muss. Also anders als beispielsweise beim Immersion Reading, wo der Nutzer sowohl das Hörbuch als auch das E-Book gekauft hat und sich dann parallel vorlesen lassen oder anhören kann, ist es bei Audible Captions nicht so. Sondern die Textwiedergabe funktioniert über die Spracherkennungs-Software von Amazon. Das sehr zum Unmut der klagenden Verlage, weil der Nutzer natürlich zunächst einmal das E-Book nicht erwerben muss. Das heißt, es gehen Lizenzen verloren. Zum anderen funktioniert die Spracherkennungssoftware von Amazon – genauso wie jede andere Spracherkennungssoftware – noch nicht 100% korrekt. Das heißt, es kommt zu Wiedergabefehlern bei der Anzeige des Textes. In der Klage sind die mit in etwa 6% angegeben.
Audible schweigt, aber handelt
Zeh: Wie ist der aktuelle Stand in diesem Rechtsstreit?
Ellenberg: Der aktuelle Stand ist, dass die Klage erhoben worden ist. Die Klagebegründung liegt vor. Nach meinem letzten Stand hat Audible den Druck der Verlag insoweit schon mal nachgegeben, als dass sie die Bücher, um die es in der Klage geht, wohl aus dem Angebot von Audible Captions in den USA herausgenommen haben. Scheint also so zu sein, dass sie sich ihrer Rechtsposition dann doch selber nicht so ganz 100% sicher sind.
Zeh: Ein Autor oder eine Autorin tritt ja in der Regel die Rechte etwa zur Vervielfältigung seines Romantextes an einen Verlag ab. Wie kommt der Text dann überhaupt zu Audible?
Ellenberg: Was sie gerade gesagt haben, ist völlig richtig. Mit der Erschaffung eines Werkes wird der Autor kraft Gesetzes hier in Deutschland Inhaber des Urheberrechts und auch aller Nutzungsrechte. Die Nutzungsrechte werden dann dem Buchverleger eigentlich vollumfänglich eingeräumt. Der Buchverleger wertet einen Teil dieser Rechte, meistens natürlich die Abdruckrechte, selbst aus und lizensiert dann andere Rechte – wie beispielsweise das Hörbuchrecht – an Dritte. Das passiert schlicht aus dem Grund, weil viele Verleger nicht über die notwendigen Kompetenzen hinsichtlich der Produktion und dem Vertrieb von Hörbüchern verfügen und es deshalb im Rahmen dieser Sublizenz an Formen – wie insbesondere im Hörbuchbereich an Audible – vergeben.
Jede Vervielfältigung ist einwilligungspflichtig
Zeh: Spracherkennung wie dieses Text-to-Speech-Features von Audible dürften in Zukunft immer besser werden. Welche neuen Probleme bringen solche Funktionen mit sich?
Ellenberg: Man muss sagen, dass die Weiterentwicklung der Spracherkennungssoftware ein Problem in Zukunft sicherlich beheben wird. Das ist die angesprochene Fehlerlatenz. Das heißt, je hochwertiger die Wiedergabe des Textes ist, desto weniger wird der Rechteinhaber behaupten können, dass seine Rechte allein dadurch verletzt werden, dass die Wiedergabe des Textes nicht akkurat erfolgt und insoweit schon eine Rechteverletzung vorliegt.
Auf der anderen Seite muss man aber berücksichtigen, dass auch die Wiedergabe von literarischen Werken durch solche Speech-to-Text-Funktionalitäten natürlich eine Vervielfältigung des Werkes darstellt. Da macht es keinen Unterschied, ob ich das ganze am Fotokopierer fotokopiere, ob ich die berühmte schnelle copy-paste-Funktion am Rechner benutze oder ob ich eine Spracherkennungssoftware benutze. In allen Fällen liegt eine Vervielfältigung vor. Und grundsätzlich hat der Urheber oder der Nutzungsrechtinhaber das alleineige Recht, darüber zu entscheiden, wer sein Werk vervielfältigt.
Eine Ausnahme, die in diesem Zusammenhang vielleicht noch bedeutsam werden könnte, sind die Grenzen des Urheberrechts, die gesetzt werden beispielsweise durch Zwecke der Forschung und der Lehre oder auch für behinderte Menschen. Aber davon einmal abgesehen bleibt es dabei: Die Vervielfältigung ist einwilligungspflichtig.
Eine Ausnahme, die in diesem Zusammenhang vielleicht noch bedeutsam werden könnte, sind die Grenzen des Urheberrechts, die gesetzt werden beispielsweise durch Zwecke der Forschung und der Lehre oder auch für behinderte Menschen. Aber davon einmal abgesehen bleibt es dabei: Die Vervielfältigung ist einwilligungspflichtig.
Urheberrecht ist schutzlandbezogen
Zeh: Welche Auswirkungen hat diese Klage gegen Audible für deutsche Verlage? Hatte auch Audible Deutschland diese Funktion geplant?
Ellenberg: Man kann sagen, dass die Klage in den USA zunächst mal für die Rechthaber in Deutschland keine Auswirkungen haben wird. Das liegt daran, dass das Urheberrecht immer schutzlandbezogen ist. Das heißt, wenn ich als Urheber in den USA klage, dann gelten die Rechtswirkungen auch nur in den USA. Genauso wäre es hier auch, wenn ein deutscher Urheber dagegen klagen würde. Dass das notwendig ist, ist momentan nicht in Sicht. Audible Deutschland hat auf eine Anfrage des Börsenvereins erklärt, zunächst einmal Audible Captions in Deutschland nicht einführen zu wollen. Was "zunächst" bedeutet, müssen wir sehen. Vielleicht oder wahrscheinlich hat das auch mit dem Ausgang des Verfahrens in den USA zu tun.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.