Der Fall Reichelt bekommt für das Medienhaus Axel Springer eine internationale Dimension. Die Zivilklage, die eine ehemalige "Bild"-Mitarbeiterin bei einem Gericht in Los Angeles eingereicht hat, umfasst insgesamt elf Vorwürfe, unter anderem betreffen sie unfaire Entlohnung und Beihilfe zur Belästigung.
Es ist ein Vorgang, der für den Springer-Verlag noch weitreichende Probleme nach sich ziehen könnte. Immerhin wird im US-Recht in der Regel um deutlich höhere Summen gestritten als vor deutschen Gerichten - und Springer könnte mit neuen unangenehmen Vorwürfen in den USA konfrontiert werden, wo das Unternehmen derzeit eigentlich expandieren möchte.
Abhängigkeitsverhältnisse ausgenutzt
"Es wird heikel für Springer, weil jetzt die Frage geklärt werden wird, wann der Verlag wirklich erste, ernstzunehmende Hinweise auf mögliche Verfehlungen von Ex-'Bild'-Chef Reichelt erhalten hatte", erklärt Marvin Schade vom Portal "Medieninsider". "Dabei geht es auch darum, ob Verantwortliche unterhalb des Vorstands bei Axel Springer versäumt haben, rechtzeitig aktiv zu werden."
Die Vorwürfe sind im Kern nicht neu: Julian Reichelt soll als Chefredakteur der "Bild" Abhängigkeitsverhältnisse gegenüber Mitarbeiterinnen ausgenutzt haben. Im Oktober 2021 wurde Reichelt entlassen.(*)
Nun könnte auch aufgearbeitet werden, inwieweit die Verlagsleitung ihre Pflichten verletzt hat, indem sie nicht früher und entschiedener aufgeklärt hat. Es sei schon damals auffällig gewesen, wie lange die Verantwortlichen bei Springer an Julian Reichelt festgehalten haben, so Brigitte Baetz aus der Dlf-Medienredaktion.
Was wusste die Springer-Führung?
Im Februar 2022 berichtete die Financial Times, dass Verfehlungen von Julian Reichelt intern schon länger bekannt gewesen sein sollen. Der Vorstand soll versucht haben, Affären und Machtmissbrauch Reichelts zu decken, statt sie aufzuklären, hieß es.
FT-Journalist Olaf Storbeck, der an den Recherchen beteiligt war, sagte der Dlf-Medienredaktion damals, dass Springer nach einer Untersuchung des Falls durch die Wirtschaftskanzlei Freshfields ein Bild erzeugt habe, das so nicht stimmt: "Es wurde nicht erwähnt, dass Freshfields selber zu dem Schluss gekommen ist: auch wenn es kein strafrechtlich relevantes Verhalten gab, gab es schwerwiegendes Fehlverhalten von Herrn Reichelt."
Die arbeitsrechtlichen Vorwürfe, die nun in Kalifornien verhandelt werden sollen, beziehen sich auf Vorgänge in den USA. Dorthin war die Klägerin gewechselt und wurde nach eigener Aussage wegen ihrer Affäre mit Reichelt gemobbt. Eine Beschwerde von ihr wurde abgewiegelt, ihr Vertrag wurde schließlich nicht verlängert.
"Ein sehr besonderer Fall"
"Das ist vorerst eher eine Springer-Geschichte als eine Reichelt-Geschichte", so Medienjournalist Schade. Allerdings könne es sowohl dem Axel Springer Verlag insgesamt als auch Julian Reichelt im Besonderen schaden, sollten sich die Vorwürfe vor Gericht erhärten und belegt werden.
Einige der Vorwürfe sollen durch Chatverläufe belegt werden. "Für andere Vorwürfe, etwa die des Mobbings, bringt die Klägerin bislang keine Belege", erklärt Marvin Schade.
Ob sich weitere Frauen mit möglichen Vorwürfen gegen Julian Reichelt zu Wort melden oder sogar rechtliche Schritte gehen könnten, ist fraglich.
"Ich glaube nicht, dass man erwarten kann, dass sich jetzt reihenweise Frauen aus der Deckung wagen", so Schade. Zumal bei den meisten anderen Betroffenen auszuschließen sei, dass sie vor einem US-Gericht prozessieren können. "Das ist hier schon ein sehr besonderer Fall."
Imageschaden für Springer in den USA
Nach Einschätzung von Medienjournalistin Brigitte Baetz könnte sich die Klage vor einem US-Gericht auf die wirtschaftlichen Perspektiven, aber ebenso auf das Image des Medienhauses Axel Springer auswirken: "Unabhängig davon, ob da eine große Zahlung auf Springer zukommt - es schadet dem Unternehmen enorm."
Auch dass durch Recherchen der "Washington Post" nun eine Mail von Vorstandschef Mathias Döpfner bekannt wurde, in der er engen Mitarbeitern 2020 nahegelegt hatte, für eine Wiederwahl Donald Trumps zu beten, sei dem Ruf des Unternehmens nicht zuträglich.
Als Schlag ins Gesicht des Unternehmens bezeichnet Marvin Schade eine Passage der Anklageschrift, wonach Springer-Führungskräfte gar nicht ausreichend auf das US-Geschäft und die besonderen juristischen Gegebenheiten in den USA vorbereitet worden seien. "Da schwingt natürlich mit, dass Springer ohne Kenntnisse in einen Markt einsteigt und damit überfordert ist."
(*) Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle haben wir den Entlassungszeitpunkt Reichelts korrigiert