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Klage vor dem Verfassungsgericht
Letzte Chance für die "Ehe für alle"?

Beim Thema "Ehe für alle" wollen die Grünen mit einer Verfassungsklage eine Abstimmung im Parlament erzwingen. Reines Wahlkampf-Manöver, werfen ihnen die politischen Gegner vor. Karlsruhe muss sich bis Ende Juni äußern - dann tagt der Bundestag zum letzten Mal in dieser Legislaturperiode.

Von Barbara Schmidt-Mattern |
    Ein Demonstrant hält in Rom ein Gleichheitszeichen als Symbol für die Gleichberechtigung homosexueller Partnerschaften hoch.
    Wird die "Ehe für alle" noch in dieser Legislaturperiode durchgesetzt? 83 Prozent der Bürger befürworten die Gleichstellung. (imago stock / Pacific Press Agency)
    Markus Ulrich: 35 Jahre alt, geboren in Berlin-Friedrichshain, hat Ethnologie, Geschichte und Politik studiert, und lebt in einer festen Partnerschaft. Klingt alles total normal, das hier jedoch nicht:
    "Sehr wohl weiß ich sehr genau, wann ich Händchen halte, und wann nicht. Und ich weiß auch sehr genau, wann ich den Waggon wechsele und wann nicht."
    Das sind Ulrichs ganz persönliche "Vermeidungs-Strategien", wie er es nennt, um blöden Sprüchen oder gar Überfällen aus dem Weg zu gehen. Allein das Gefühl, anders zu sein und angeglotzt zu werden –das erlebt Markus Ulrich fast täglich. Selbst im Berliner Großstadtdschungel:
    "Für Heterosexuelle, die können mal dieses Gedankenspiel machen: Wie oft sie mit ihrem Mann oder mit ihrer Frau selbstverständlich im Hotelzimmer natürlich das Doppelbett bekommen. Wie in der Kaufhalle die Frau vor mir sagt, dass sie für ihren Mann jetzt aber gerne noch 100 Gramm Hack hätte."
    83 Prozent der Bürger befürworten Gleichstellung
    Und doch zeigt die Diskussion um die "Ehe für alle", wie stark sich die Haltung der Gesellschaft geändert hat. Ulrich, Sprecher des bundesweiten Lesben- und Schwulenverbandes LSVD, verweist auf neueste Untersuchungen der Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes: 83 Prozent der Deutschen befürworten demnach die rechtliche Gleichstellung von Lesben, Schwulen und Bisexuellen in einer Zweierbeziehung. Allein, im Deutschen Bundestag scheitert die Ehe für alle bisher vor allem an CDU und CSU:
    "Das Thema Ehe ist für viele in der Union noch ein sensibles Thema, weil damit verbunden wird nicht nur die Partnerschaft von zwei Personen zueinander, sondern auch, das, was damit mal gemeint war, verfassungsrechtlich – nämlich die Frage, eine Familie zu gründen."
    Markus Weinberg: ledig, aber in fester Partnerschaft lebend, ein Sohn. Der 49-Jährige ist familienpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Die Christdemokraten im Bundestag sind gespalten, sagt Weinberg, und fordert mehr Geduld:
    "Wir lassen uns da auch nicht treiben, darüber noch weiter zu diskutieren. Auch wenn es Einige nervt. Das finde ich, ist schon auch das Ansinnen einer Volkspartei, den breiten Meinungsprozess zu entwickeln."
    "Diese Blockade hat Methode", erwidert Britta Haßelmann. Der Parlamentarischen Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion reicht es jetzt:
    "Immer wenn Union und SPD sich nicht einig sind bei einer Sache, dann wird es vertagt in den Ausschuss. Der tagt nicht öffentlich, und dann stellt man dort wieder einen Antrag auf Beratungsbedarf oder Vertagung. So entzieht man sich einer politischen Positionierung und der Chance, darüber abstimmen zu können als Abgeordnete."
    Alte Wunden
    Ganze 28 Mal ist es dem Tagesordnungspunkt "Ehe für alle" jetzt so ergangen im Rechtsausschuss in den letzten dreieinhalb Jahren. Nicht einer, sondern gleich drei Gesetzentwürfe liegen vor:
    "Einer von den Grünen, einer aus dem Bundesrat und einer von den Linken", zählt Britta Haßelmann auf. Ihre Fraktion hat nun genug: Fraktionskollege Volker Beck hat beim Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag eingereicht. Mithilfe des höchsten deutschen Gerichts soll die Abstimmung zur Homo-Ehe im Bundestag erzwungen werden. CDU-Parlamentarier Weinberg hält das für ein Wahlkampf-Manöver, was wiederum Britta Haßelmann empört:
    "Hier geht’s darum, dass wir wollen, dass die Diskriminierung von Lesben und Schwulen beendet wird, und dafür streiten wir seit 30 Jahren als Grüne! Von mir aus kann die CDU/CSU noch 20 Jahre darüber diskutieren, wie sie sich zur Ehe für alle positioniert."
    Aber im Bundestag soll die Union endlich Farbe bekennen, fordert Haßelmann. Zumal auch alte Wunden nicht verheilt sind: Vor Jahren noch befand Unionsfraktionschef Volker Kauder, dass es den Schwulen nur um ihre Selbstverwirklichung gehe. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz kündigt hingegen an, die Ehe für alle einzuführen, sollte er die Wahl gewinnen:
    "Und ich bin auch dafür, dass, wenn wir eine Ehe für alle einführen, die ehelichen Rechte, und dazu gehört natürlich auch Adoption, mit einführen."
    So Schulz im März gegen über "ZEIT Campus Online". Ähnlich äußerte sich Justizminister Heiko Maas. Mitte Mai erklärte der Sozialdemokrat die Ehe für alle zur Bedingung für Koalitionsgespräche nach der Bundestagswahl. Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband bleibt jedoch skeptisch. Vor allem ist er verärgert, weil die SPD in der jetzt laufenden Legislaturperiode wie der Pudel der Union auftritt. Gemeinsam mit der Union haben sich die Koalitionspartner geeinigt, dass sie sich beim Thema Homo-Ehe nicht einigen. Grünen-Politikerin Britta Haßelmann:
    "Das nervt natürlich unendlich! Was nutzen mir Beteuerungen von Heiko Maas. Fakt ist, am Ende hat sich nichts getan, und dafür tragen Union und SPD gemeinsam die Verantwortung."
    Politisch-taktische Gründer der Koalition?
    Mitte Mai unternahmen die Grünen einen letzten Versuch und versuchten mit Anträgen zur Geschäftsordnung eine sofortige und endgültige Abstimmung über die "Ehe für alle" im Bundestag durchzusetzen. Christine Lambrecht, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, erhebt deshalb schwere Vorwürfe gegen die Grünen:
    "Sie wollten einen Keil in die Koalition treiben. Das hätte ein Ende der Koalition, einen Bruch auch der Koalition bedeutet, weil wir uns eben darauf verständigt haben, gemeinsam abzustimmen, und das Thema Ehe für alle, dazu war die Union noch nicht bereit."
    Es sind diese Worte der SPD-Fraktions-Geschäftsführerin, die die Grünen jetzt frohlocken lassen. Die Ablehnung der Abstimmung aus politisch-taktischen Gründen könnte die Verfassungsrichter zugunsten der Kläger entscheiden lassen, meint Volker Beck. Karlsruhe muss sich bis spätestens Ende Juni äußern, denn dann tritt der Bundestag zum letzten Mal in dieser Wahlperiode zusammen. Sollte bis dahin keine Abstimmung zustande kommen, fängt nach der Bundestagswahl alles wieder von vorne an.