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Klagen für mehr Tierschutz

Es ist das gute Recht jedes betroffenen Bauern oder Wissenschaftlers: Sie können gegen Tierschutzauflagen klagen. In Nordrhein-Westfalen und im Saarland sollen umgekehrt nun auch Tierschutzorganisationen ein Verbandsklagerecht erhalten. Landwirte fürchten Wettbewerbsverzerrungen.

Von Susanne Kuhlmann | 28.06.2013
    Mit dem neuen Verbandsklagerecht haben Tierschutzvereine in Nordrhein-Westfalen jetzt die Möglichkeit, sich schon im Vorfeld stärker an Projekten zu beteiligen. Zum Beispiel, wenn neue Mastställe oder Tierversuche geplant werden. Bedingung ist allerdings, dass die Vereine vom Düsseldorfer Verbraucherministerium anerkannt sind. Dazu müssen sie flächendeckend im Land vertreten und schon mindestens fünf Jahre aktiv gewesen sein. In dieser Woche hat auch das Saarland ein Verbandsklagerecht für Tierschutz beschlossen.

    "Bisher konnte man klagen gegen ein Zuviel an Tierschutz. Jetzt kann man auch klagen gegen ein Zuwenig an Tierschutz."

    Doch zu solchen Klagen soll es möglichst gar nicht erst kommen, hofft Johannes Remmel, grüner Verbraucherschutzminister in Nordrhein-Westfalen. Er erwartet vom neuen Verbandsklagerecht, dass Konflikte - beispielsweise zwischen Landwirten und Pharmaforschern auf der einen und Tierschutzvereinen auf der anderen Seite - erst gar nicht ausbrechen.

    "Nämlich dadurch, dass die Verbände frühzeitig zur Stellungnahme aufgefordert werden, dann ihre Stellungnahme abgeben und dann im Verfahren schon Dinge geklärt werden können, so dass es gar nicht mehr zu einer Klage kommen muss. Das finde ich den eigentlichen Charakter dieses Gesetzes, dass es präventiv wirkt."

    Tierversuche, Neubauten in der Landwirtschaft, Künstler, die mit Tieren arbeiten – jährlich gibt es rund 2000 Verfahren, bei denen Tierschutzbelange eine Rolle spielen. Hier sollen organisierte Tierschützer künftig verstärkt mitreden dürfen. Verbände und Vereine wollen sich dabei in nächster Zeit auf grundsätzliche Fragen konzentrieren, erklärt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes.

    "Die Frage, warum ist es geduldet, dass Millionen von männlichen Legeküken einfach getötet werden nach dem Schlupf, weil sie nicht brauchbar sind, aus wirtschaftlicher Sicht nicht brauchbar sind. Warum gibt es eine große Zahl von Tierversuchen, bei denen der Zweck und der Nutzen überhaupt nicht erklärt wird? Das muss vor Gericht hinterfragt werden, und darum geht es konkret."

    Im Naturschutz gibt es seit 2002 ein Verbandsklagerecht auf Bundesebene. So etwas wollen Tierschützer seit Langem auch für sich.

    "Das Grundgesetz bietet eine Freiheit von Lehre, Freiheit von Forschung, Freiheit von Beruf, Freiheit von Gewerbe, Freiheit von Kunst. Das Staatsziel Tierschutz wurde erst vor zehn Jahren eingeführt, und wir brauchen die Augenhöhe mit diesen Freiheiten des Grundgesetzes, damit vor Gericht abgewogen werden kann von einem Richter nach klarer Faktenlage: Welches Recht hat nun Vorrang?"

    Landwirte bewerten das neue Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine ganz anders. Neubaupläne für Ställe werden bisher bereits von der Tierärztekammer, sowie von Veterinär- und Bauämtern geprüft und beurteilt, sagt Christoph Ridder vom Rheinischen Landwirtschaftsverband. Er ist Kreisvorsitzender der Ruhrgroßstädte. Dass nun auch noch Tierschutzvereine Einsicht in die Bauakten bekommen sollen, gehe zu weit.

    "Auf jeden Fall könnten die Bauanträge verzögert werden. Es kann durchaus passieren, dass sich Tierschützer und Veterinäre vielleicht auch schon nicht einig sind und beide gegeneinander bei den Verwaltungsgerichten klagen. Und es könnte sein, dass einige Landwirte dann in der Phase, wo sie die Betriebe an die Nachfolger übergeben, wo meistens ein Stallneubau geplant wird, dass die dann quasi die Lust daran verlieren und dass die Wertschöpfung dann nicht mehr hier in Deutschland, sondern woanders stattfindet."

    Es verzerre den Wettbewerb, wenn nordrhein-westfälische Landwirte neben EU-Vorgaben zusätzlich mit verschärften Anforderungen beim Tierschutz zurechtkommen müssten. Christoph Ridder äußert zwar Verständnis dafür, dass Anwohner zum Beispiel gegen den Bau großer Mastställe protestieren, setzt aber auf die Bereitschaft aller Beteiligten zu Gesprächen schon bei der Planung.

    "Wir sind immer bemüht, jederzeit zu einem Gespräch zusammenzukommen, sind aber enttäuscht, dass die Front der sogenannten Tierschutzfreunde, die uns teilweise recht robust angehen, ein größeres Entgegenkommen beim Minister sehen als wir, die Landwirte, die die Ernährung der Bevölkerung sicherstellen."

    Nordrhein-Westfalen sieht sich als Vorreiter beim Verbandsklagerecht für Tierschützer. Bisher hat nur Bremen ähnliche Vorschriften, und auch das Saarland hat jetzt ein solches Recht beschlossen. Und andere Bundesländer ziehen nach, so der nordrhein-westfälische Verbraucherminister Johannes Remmel.

    "Andere Bundesländer haben es im Koalitionsvertrag und im Regierungsprogramm stehen. Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, sodass dann in der Folge ich davon ausgehen würde, dass wir hier eine Entwicklung über die Bundesländer hin zu einem dann einheitlichen Bundesrecht haben."