Die Rechtsanwältin Roda Verheyen vertritt unter anderem einen peruanischen Bauern, der gegen RWE klagt. Der Konzern trage mit dem Braunkohleausstoß dazu bei, dass in den Anden die Gletscher schmelzen und sein Dorf bedroht sei. Bei solchen Klimaklagen gehe es um die zentrale Frage, ob ein eigentlich erlaubtes Verhalten trotzdem Verantwortlichkeit auslösen könne, sagte Verheyen im Dlf. Es gebe mittlerweile eine statistische Auswertung, wie groß der Anteil von Großunternehmen am globalen Klimawandel ist, so Verheyen. Auch US-Präsident Donald Trump könnte sogar strafrechtlich für sein Leugnen des Klimawandel belangt werden, sagte die Rechtsanwältin.
Das vollständige Interview im Wortlaut:
Jule Reimer: Mit welchen Rechtsbegriffen können Sie überhaupt argumentieren?
Roda Verheyen: Die momentan anhängigen Klimaklagen beziehen sich eigentlich alle auf das Recht auf Gesundheit und Leben, und teilweise beziehen sich meine Mandanten auch auf das Recht auf Freiheit des Eigentums, Artikel 14 des Grundgesetzes, und die Berufsfreiheit, Artikel 12, denn natürlich sind gerade Landwirte in ihrer Berufsausübung erheblich eingeschränkt durch das, was wir heute schon beobachten.
Wir sind im Moment allerdings auch dabei, tatsächlich diese Rechte noch auszuweiten, und beziehen uns in unserer jüngsten Verfassungsbeschwerde sogar auf die Würde des Menschen, die in Artikel eins des Grundgesetzes niedergelegt ist, in Zusammenhang mit der Staatszielbestimmung Umweltschutz, weil wir meinen, dass den zukünftigen Generationen jedwede Kontrolle über ihr Leben entzogen wird.
"Was ist der gerechte Anteil eines jeden Staates?"
Reimer: Ursache und Wirkung sind bei der Klimaerhitzung aber hoch komplex. Wie will man denn dann Verantwortliche überhaupt benennen?
Verheyen: Ja, es ist eigentlich nicht mehr so schwierig. Wir haben inzwischen viele Gerichtsurteile. Wir haben sehr viel Wissenschaft und wir haben einige wenige Kriterien, die, ich sage mal, bei der Aufteilung von Verantwortlichkeit oder auch bei der Aufteilung des noch vorhandenen Treibhausgas-Budgets behilflich sein können. Wenn ich einmal ausgehe von den drei Instanzen in den Niederlanden, wo die Gerichte die Verantwortung des Staates Niederlande bestätigt haben, dann gilt es einfach zu ermitteln, was der gerechte Anteil eines jeden Staates ist, um dazu beizutragen, dass wir die Temperaturen und die Temperaturerhöhung vor allem eingrenzen auf ein verträgliches Maß. Das ist nun wiederum definiert durch das Paris-Übereinkommen von 2015 auf 1,5 bis deutlich unter zwei Grad, und auf diesem Weg befinden wir uns ja unstreitig im Moment überhaupt nicht, und zwar weder in Deutschland noch anderswo.
Reimer: Sie vertreten auch einen peruanischen Bauern gegen den Energiekonzern RWE, der vorwiegend mit Braunkohle die Energieversorgung bereitstellt. Das Dorf dieses Bauern wird durch die Gletscherschmelze in den Anden bedroht. Jetzt sind aber Regierungen diejenigen, die den Rechtsrahmen setzen, und Unternehmen bewegen sich in diesem. Warum sollte dann eine Klage gegen RWE möglich sein, wenn der Abbau von Braunkohle, die Nutzung von Braunkohle ein ganz übliches, auch gesetzlich abgesichertes Verfahren ist, mit Energie zu versorgen?
Verheyen: Ja, das war ganz zentraler Gegenstand dieses Verfahrens, was vor den deutschen Zivilgerichten seit 2015 geführt wird. Genau diese Frage: Kann ein eigentlich erlaubtes Verhalten trotzdem Verantwortlichkeit auslösen? – Das Oberlandesgericht Hamm hat diese Frage ganz klar mit Ja beantwortet. Die mündliche Verhandlung verlief sogar so, dass dort der Vertreter der Beklagten, der RWE AG sagte, wir haben doch hier Daseinsvorsorge betrieben, wir haben unsere Emissionen ja nicht zum Spaß erzeugt - daraufhin das Gericht, aber davon hat der peruanische Kläger nichts gehabt. Das fasst aus meiner Sicht die Misere eindeutig zusammen. Es ist fast irrelevant, welche Verhaltensweisen möglicherweise in Deutschland als erlaubt oder nicht erlaubt sanktioniert sind, wenn denn trotz alledem hier kumulativ die Klimakrise aufgeheizt wird und damit in den Anden auch zur Gletscherschmelze beigetragen wird.
"Wir machen RWE auch nur für diese Teilschuld verantwortlich"
Reimer: Aber dann müssten Sie doch eigentlich alle Energieversorger, die mit Braunkohle arbeiten, vors Gericht ziehen.
Verheyen: Mein Mandant hat immer gesagt, dass dieses Verfahren das erste ist. Es gibt eine statistische Auswertung der Verantwortlichkeit von großen Unternehmen, Energiekonzernen, Ölextrakteuren, aber auch zum Beispiel Zementindustrie, wo in Prozent aufgetragen ist, welchen Anteil an Verantwortlichkeit diese Unternehmen haben am globalen Klimawandel.
Reimer: Geht das? Das sind doch historisch gewachsene Emissionen. Vor 50 Jahren hat man doch noch gar nicht so gemessen.
Verheyen: Das muss man auch nicht messen. Da geht es um Extraktionsdaten. Das sind Daten der statistischen Landes- und Bundesämter, die da ausgewertet worden sind, auch wissenschaftlich previewed. Die Arbeit nennt sich "Carbon Majors", die großen Carbon-Emittenten, und auf Grundlage dieser Daten wurde letztlich der Anteil von RWE ermittelt.
Und ja, es ist richtig: RWE hat nur eine Teilschuld. Aber wir machen RWE auch vor Gericht nur für diese Teilschuld verantwortlich und nicht etwa für alles, was der Klimawandel auslöst.
Reimer: Dann möchte ich an letzter Stelle noch mal über den Atlantik blicken. US-Präsident Trump hat ja während seiner Präsidentschaft immer die Klimaerwärmung geleugnet. Könnte er eines Tages vor Gericht landen?
Verheyen: Ja das ist eine interessante Frage. Er persönlich könnte ja gegebenenfalls sogar strafrechtlich belangt werden im Kontext des Internationalen Strafgerichtshofs, denn er leugnet ja tatsächlich wider besseres Wissen. Wenn man das belegen könnte, wäre tatsächlich eine persönliche Schuld nachweisbar. Fakt ist aber im Moment, dass die USA, glaube ich, andere Sorgen haben und das sehr progressive Programm von dem nächsten Präsidenten, nämlich Joe Biden, auf den Weg bringen müssen, damit wir uns nämlich über Gerichtsverfahren hoffentlich keine Gedanken mehr machen müssen.
"Grundsätzlich die USA anzuklagen ist möglich"
Reimer: Und grundsätzlich die Regierung der USA anzuklagen?
Verheyen: Ist möglich. Die Frage im internationalen Recht ist immer die der Jurisdiktion, gibt es überhaupt ein Gericht oder einen Gerichtshof, der die USA anklagen könnte, und wie wir ja wissen ist das immer sehr, sehr restriktiv gehandhabt worden. Anders als zum Beispiel die deutsche Bundesregierung ist die amerikanische Regierung sehr, sehr zurückhaltend dabei, sich der internationalen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. Aber möglich wäre es schon. Jetzt hier im Film "Ökozid" wird ja Deutschland angeklagt. Das zum Beispiel wäre möglich, denn die Jurisdiktion besteht in dieser Form.
Reimer: Deutschland ist am Internationalen Strafgerichtshof oder am Internationalen Gerichtshof beteiligt, an beiden Gerichtshöfen?
Verheyen: Ja, genau. An beiden.
Reimer: Noch eine letzte Frage. Spielt es dabei eine Rolle, ob die USA dem Pariser Klimaschutzabkommen beigetreten sind oder nicht? Denn Trump hat den Austritt verkündet und der ist ja am 4. November rechtswirksam geworden.
Verheyen: Der sogenannte Austritt der USA aus dem Pariser Klimaschutz-Übereinkommen spielt aus meiner Sicht rechtlich eigentlich gar keine Rolle, jedenfalls nicht für derartige Ansprüche aus internationalem Recht. Das internationale Recht besteht ja aus Vertragsrecht und Gewohnheitsrecht und im Völkergewohnheitsrecht ist anerkannt, dass Staaten nichts tun und unterlassen dürfen, was anderen Staaten schadet. Das ist das sogenannte No Harm Prinzip oder die No Harm Rule, richte keinen Schaden an, und von dieser Regel kann sich kein Staat durch eine Vertragsunterzeichnung oder Rückzug befreien.
Das bedeutet aus meiner Sicht sowieso keinerlei Veränderung im Hinblick auf die Verantwortlichkeit, weil ein Vertrag, der 2015 geschlossen wird, natürlich keine Aktivitäten und Unterlassungen davor rechtfertigen kann und wir außerdem seit 1992 das Klima-Regime haben. Das ist ubiquitär anerkannt von allen Staaten der Welt, auch von den USA, und bereits in der Klimarahmenkonvention von '92 ist verankert, dass wir den gefährlichen Klimawandel aufzuhalten haben – nach dem Maßstab der Menschenrechte sowieso.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.