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Klagenfurter Lese-Show

Vier Tage dauert das Wettlesen um den renommierten Ingeborg- Bachmann-Preis in Klagenfurt. Und wenn man hört, dass eine Jurorin dieses Jahr gleich dem ersten Kandidaten erklärte, sein Stück entstamme offenbar dem neuen Genre "Blut und Kotze" - in ironischer Anspielung auf "Blut und Boden" - dann wird klar, dass mit den Kandidaten hier oftmals nicht zimperlich umgegangen wird.

Von Niels Beintker |
    Es ist eben doch nicht alles vorhersehbar beim Finale im Rennen um den Ingeborg-Bachmann-Preis. Zwei junge Autoren aus Berlin, Nina Bußmann und Steffen Popp, galten, nach Lesung und Kritikerdiskussion als die großen Favoriten bei den diesjährigen Tagen der deutschsprachigen Literatur. Ihre Texte wurden nahezu einhellig positiv von der Jury bewertet. Dann aber gewann die thematisch authentischste Geschichte: ein Auszug aus Maja Haderlaps demnächst erscheinenden Roman "Engel des Vergessens". Die Klagenfurter Lyrikerin und Schriftstellerin schreibt über die noch immer unbewältigten Traumata der Zeitgeschichte: Von der Gewalt, mit der die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs im heutigen Grenzland zwischen Österreich und Slowenien wüteten.

    "Wie viele Brüder sind eigentlich im Lager gestorben, fragt Jaki. Die älteren drei, der Jakob, der Johi, der Lipi, sagt Vater. Die Asche von Lipi ist aus Natzweiler gekommen, die anderen sind in Dachau gestorben. Ich höre den klingenden Namen Dachau, den ich schon kenne, Natzweiler aber ist neu und sogleich vergessen. Sein Onkel sei auch da oben gefallen, fällt Jaki ein."

    Maja Haderlap erzählt die Geschichte ihrer eigenen Heimat. Sie wurde 1961 im Süden von Kärnten geboren und gehört zur slowenischen Minderheit. 15 Jahre lang arbeitete sie als Chefdramaturgin am Stadttheater in Klagenfurt, daneben veröffentlichte sie mehrere Lyrikbände in ihrer slowenischen Muttersprache. Ihr Siegertext ist ein Auszug aus ihrem ersten Roman, geschrieben in der anderen, der deutschen Sprache. Eine Wanderung durch den Wald an der Grenze zu Slowenien wird zum Ausgangspunkt für einen beschwerlichen Weg in die Geschichte und ihre Grausamkeiten. Ein Mädchen begleitet seinen Vater, einen Holzarbeiter, in das dunkle Dickicht und erfährt mehr und mehr über das Leid der Menschen in dieser Region. Maja Haderlap sagt, sie wollte, aus der Perspektive ihrer jungen Ich-Erzählerin die noch immer gegenwärtigen Geschichten dokumentieren.

    "Ich habe das Gefühl, dass hier jeder mit seinen Erfahrungen alleine gelassen worden ist, dass sich diese Geschichten fern von einer Öffentlichkeit abspielen. Ich hatte das Gefühl, ich musste sie sammeln, um sie aus dieser Vergangenheit heraus zu reiß."

    Mit dem historischen Themenfeld ihres Textes nahm Maja Haderlap eher eine Außenseiterposition unter den insgesamt 14 Wettbewerbsteilnehmern ein. Der Großteil der Autoren widmete sich Familien und Paaren in emotionalen Ausnahmesituationen oder erzählte von Streifzügen durch vergessene Landschaften der Gegenwart, etwa, wie Steffen Popp in einem der sprachlich ungewöhnlichsten Texte, in der ostdeutschen Provinz. Auch große aktuelle Themen wie die Wirtschafts- und Finanzkrise oder Krieg in Afghanistan wurden berührt, allerdings ohne jede Aussicht auf einen Favoritenplatz. Insofern dominierten einmal mehr Innerlichkeit und familiäre Spannungen. Der Schriftsteller Burkhard Spinnen, Vorsitzender der Jury, bestand trotzdem auf einer großen thematischen Breite der Wettbewerbsbeiträge.

    "Familie ist ja nun ein sehr weit gespannter Begriff. Wir sind als Menschen alle eingebunden in unsere biologische Bestimmtheit. Und das erste, in dem sie sich äußert, ist Familie. Wir sind auch als Menschen eingebunden in soziale Bestimmtheiten. Das erste, worin sie sich äußert, ist Familie. Das heißt: gehen wir einmal durch die Weltliteratur hindurch, da werden wir gar nicht so viel drin finden, wo Familie nicht vorkommt."

    Zu den alljährlich wiederkehrenden beliebten Themen in Klagenfurt gehört die Kritik an der Kritik, am Lesen und Leiden der Jury. Die diskutierte in diesem Jahr auf hohem Niveau und mit einer braven Höflichkeit, auf verbale Zusammenstöße und Schmähattacken wartete man vergebens. Der letzte der 14 Beiträge, eine Satire über einen Kulturwissenschaftler in einer Existenzkrise, gab, als einer von ganz wenigen, Anlass für eine Kontroverse. Ein junger Mann verdingt sich als Teilnehmer an einem Forschungsprojekt über Internetpornografie und monologisiert fröhlich und frei über das Leben zwischen bizarren Bilderwelten und akademischer Tristesse.

    "Aber er hat doch ein Übercommittment. Aber nur in seinen zynischen ... Ich kann doch jetzt nicht das Alphabet von vorne durchgehen. Das ist ja irgendwie sein Auftrag. Und wir sind Zeugen dieser Bewegung in die komplett anonym funktionierende Welt hinein. Aber die Witze werden auch schlechter in diesem Text. Zum Schluss ist man beim Kaninchenzüchterverein."

    Die Zuhörer im ORF-Theater lachten herzlich, bedachten den von Deutschlandfunk-Literaturredakteur Hubert Winkels eingeladenen Autor Thomas Klupp mit fröhlichem Applaus und sprachen ihm den Publikumspreis zu. Längst vergessen war da ein kleiner Affront, mehr noch: der Tiefpunkt in der diesjährigen Diskussion über die aktuelle Literatur. Der Schweizer Schriftsteller und Juror Alain Claude Sulzer bekannte allen Ernstes öffentlich, er lese keine Gedichtbände. Im Fieber der Tage am Wörthersee ging das unter. Trotzdem ist es entlarvend peinlich.