Sandra Schulz: Heute Nacht kam die Meldung: Das Bayer-Tochterunternehmen Monsanto muss einem an Krebs erkrankten Paar mehr als zwei Milliarden Dollar Schadenersatz zahlen. Die beiden hatten das Unternehmen verklagt, weil sie dessen Unkrautvernichtungsmittel Roundup für ihre Krebserkrankungen verantwortlich machen. Klemens Kindermann aus unserer Wirtschaftsredaktion – wie ist diese Gerichtsentscheidung einzuordnen?
Klemens Kindermann: Jetzt müssen bei Bayer alle Alarmglocken klingeln. Das ist eine in dieser Höhe unerwartete Strafzahlung. Es gab ja schon zwei Prozesse wegen des umstrittenen Wirkstoffs Glyphosat in Monsantos Unkrautvernichtungsmittel Roundup. Da ging es um Schadenersatz in Höhe von wenigen dutzend Millionen Dollar. Auch viel Geld. Aber die Milliarden-Höhe jetzt ist deshalb wichtig, weil sie anzeigt, dass Bayer sich auf gewaltige Kosten in den USA einstellen muss. Auch wenn es im Einzelfall am Ende nicht zu Milliardenzahlungen kommen sollte – Bayer will natürlich Rechtsmittel einlegen -, ist dennoch mit sehr hohen Aufwendungen für Bayer zu rechnen, wenn es zu juristischen Vergleichen kommt.
Schulz: Können die Prozesse in den USA den Bayer-Konzern destabilisieren?
Kindermann: Das ist wirklich eine berechtigte Frage. Volkswagen hatte zu Beginn der Dieselaffäre auch nicht mit so hohen Milliarden-Strafzahlungen in den USA gerechnet. Das Urteil jetzt ist erst das dritte zum Thema Glyphosat und Monsanto – mehr als 13.000 Klagen sind noch anhängig. Das wird an der Masse, an der Substanz von Bayer zehren. Früher mal eine Perle im DAX. Jetzt ist der Börsenwert von Bayer schon deutlich unter die 63 Milliarden Dollar des Kaufs von Monsanto gesunken.
Probleme mit anderen "Altlasten"
Schulz: Die Glyphosat-Klagen sind aber aktuell nicht das einzige Problem von Bayer?
Kindermann: Weiß Gott nicht. Erst am Wochenende musste sich Bayer mit einer anderen Altlast von Monsanto herumschlagen: die Amerikaner haben offensichtlich in Frankreich Listen angelegt, mit Kritikern und Unterstützern. Da sollen Wissenschaftler, Journalisten und Politiker darauf stehen, darunter beispielsweise Ségolène Royal, die Ex-Umweltministerin in Frankreich, bekannt als Gegnerin von Glyphosat. Gestern dann musste der neue Chef für Öffentlichkeit und Nachhaltigkeit – gibt es erst seit dem Wochenende – Matthias Berninger in einer ziemlich eiligen Telefon-Pressekonferenz zugeben: "Ich habe bisher keine gesicherten Informationen, gehe aber davon aus, dass diese Listen EU-weit erstellt worden sind." Jetzt also auch das noch: Monsanto hat die Listen wohl in der ganzen EU angelegt. In Frankreich laufen bereits Vorermittlungen wegen illegaler Erfassung privater Daten.
Schulz: Wie geht es jetzt weiter – was kann Bayer angesichts dieser Hiobsbotschaften tun?
Kindermann: Was die Reputation angeht: radikale Aufklärung. Matthias Berninger, den wir eben gehört haben, kennen Sie noch als ehemaligen Grünen-Politiker, Staatssekretär im Verbraucher- und Landwirtschaftsministerium. War dann Lobbyist für Mars – Schokoriegel - und jetzt hat ihn in der Not Bayer angeheuert, und der wird sicher offener kommunizieren.
Eine andere Frage ist das derzeitige Führungspersonal von Bayer, allen voran der Chef, Werner Baumann. Ich kenne eigentlich nur wenige Fälle, wo man geneigt ist, von einer solchen unternehmerischen Fehleinschätzung wie beim Kauf von Monsanto zu sprechen. Da ging es immer nur um wirtschaftliche Synergien. Aber unternehmerische Entscheidungen bestehen eben nicht nur darin, sich von teuren Unternehmensberatungen Excel-Dateien ausrechnen zu lassen. Da muss man schon auch die Unternehmenskulturen beurteilen, das ist bei ganz vielen Fusionen das Hauptproblem. Nicht umsonst haben die Aktionäre Baumann bei der der Hauptversammlung im April die Entlastung verweigert. Möglicherweise braucht es jetzt jemand anderen, der Bayer aus dem Tief wieder herausholt.