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Klasse wiederholen ohne Sitzenbleiben

Vor einem Jahr kündigte der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) das sogenannte Flexibilisierungsjahr an. Schüler sollen damit freiwillig eine Klasse wiederholen können, um ihre Leistungen zu verbessern. Die Resonanz auf die Reform fällt zurückhaltend aus.

Von Susanne Lettenbauer |
    "Ich bin der Sören Decker, war vorher in der 10e, bin jetzt in der 10c und mach das Flexijahr."

    Der 16-jährige Sören Decker steht vor seinem neuen Klassenzimmer am Gymnasium Penzberg und wirkt ziemlich entspannt. Obwohl er die 10. Klasse im Sommer erfolgreich bestand und die Versetzungsbestätigung in die Oberstufe in der Tasche, hat er sich dafür entschieden, die 10. Klasse noch einmal freiwillig zu wiederholen:

    "Ja, also der Tag startete wie üblich. Man geht halt in die Schule, sitzt in der neuen Klasse, weil man ja die 10. noch mal machen muss, und neue Klassenkameraden. Man merkt halt, dass man das schon alles kennt, aber dann, wenn der Lehrer einen motivieren kann, dann merkt man, man kann es besser, das hab ich gleich in Geschichte heute gemerkt, dass ich mich da gesteigert habe, weil ich viel mehr wusste und viel mehr verknüpfen konnte."

    Einen lauen Lenz will und kann sich der Schüler trotzdem nicht machen, das hat er gleich am ersten Tag erfahren. Wie auch die normalen Sitzenbleiber bekommt er den normalen Stundenplan. Dass sich die Flexischüler ihren Stundenplan selbst zusammenstellen könnten, wie anfangs gemunkelt, ist nicht möglich. Von den 34 Wochenstunden können aber bis zu sieben Stunden abgewählt werden:

    "Es ist eigentlich völlig gleich, nur dass man halt, also bei mir ist es Latein, Physik, Informatik und Kunst, die Fächer, hab ich gesagt, mache ich in der Oberstufe nicht mehr und deshalb habe ich da jetzt frei, also wenn die anderen in den Unterricht gehen habe ich da frei und hab die Chance, entweder in die Bibliothek oder ein Lehrer, wenn ich ihn fragen kann, mich in den Fächern eben zu stabilisieren, die ich brauche und in den anderen kann ich eben noch Musik machen."

    Sören Decker ist der einzige von rund 450 Schülern der Mittelstufe am Gymnasium Penzberg, der das Flexibilisierungsjahr in Anspruch nimmt. Die Resonanz auf das Reförmchen fällt sehr zurückhaltend aus, sagt Schulleiterin Margit Mintzel, die seit zehn Jahren jede Neuerung aus dem Kultusministerium umsetzen muss:

    "Ja, die Annahme ist sehr zögerlich, also letzten Endes hatten sich drei Schüler dafür interessiert, geblieben ist einer, der Sören Decker, der gute Gründe geäußert hat, das zu machen, aber die Skepsis ist durchaus vorhanden."

    Im Kollegium wurde von einer Mogelpackung gesprochen, der Widerstand war anfangs groß. Warum sollten diejenigen Schüler gefördert werden, die die Versetzung sowieso geschafft hatten? Acht Extra-Stunden bekam ihre Schule vom Ministerium, erzählt Mintzel. Damit wurde ein Beratungsteam aus Fachlehrern und Sozialpädagogen gebildet. In den Freistunden können die Flexischüler die Fachlehrer ansprechen und Extra-Aufgaben bekommen:

    "Also, die Einführung des Flexibilisierungsjahres hat den Schulablauf nicht maßgeblich gestört, das kann ich ganz klar sagen, weil sehr deutlich begrenzt wurde, wie weit die Eingriffsmöglichkeiten gehen. Die zusätzlichen Stunden, die wir bekommen, können wirklich im Rahmen der Eigenverantwortlichkeit der Schulen so gestaltet werden, wie es die Ressourcen hergeben."

    Genaue Zahlen, wie viele Gymnasiasten im Freistaat das Flexijahr in Anspruch nehmen, gibt es bislang noch nicht. Eine Umfrage des Bayerischen Lehrer-und Lehrerinnenverbandes BLLV spricht von 15 Interessenten. Bis zum Halbjahr können sich Elftklässler noch für das freiwillige Wiederholen entscheiden. Doch die Erfahrung lehrt auch: Ein Extra-Jahr birgt die Gefahr, dass Schüler absacken in den Leistungen, sich nicht mehr bemühen, da die Versetzung ja nicht gefährdet ist, warnt die Schulleiterin.

    Sie fühlt sich derzeit kurz vor den bayerischen Landtagswahlen zwischen allen Stühlen, wie im Auge des Orkans. Befürchtungen, dass das Flexibilisierungsjahr nur ein Schnellschuss für ein Jahr werden wird, will sie sich dennoch nicht anschließen:

    "Ich denke, das wird die Politik nicht tun. Insofern habe ich mit dem Einjahresschritt erst mal kein Problem, das passt in mein Konzept. Danach davon gehe ich aus, dass diese Linie fortgeführt wird. Denn wie wir das Kind dann nennen, ob G9 oder gebundene Ganztagsschule oder Ähnliches, die Entwicklungen laufen alle in die gleiche Richtung."

    Und die heißen: Mehr Zeit für die Schüler, mehr Zeit für und in der Schule.