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Klassenkampf mit der Palette

Conrad Felixmüller war ein multimediales Wunderkind im frühen 20. Jahrhundert. Seine expressive Malerei ging schon in seinen 20ern über in eine, wie Kulturredakteur Carsten Probst es nennt, romantische Sachlichkeit. Das Verdienst der Chemnitzer Ausstellung sei, dieses Werk als Einheit zu zeigen.

Carsten Probst über die Gesamtschau in Chemnitz | 25.11.2012
    Doris Schäfer-Noske: Er war ein Wunderkind, das mit zwölf Jahren am Konservatorium Musik studierte, mit 15 dann als Student an der Königlichen Kunstakademie in Dresden begann, und zwei Jahre später schon Meisterschüler von Carl Bantzer wurde. Die Rede ist von Conrad Felix Müller, oder Conrad Felixmüller, wie er sich auf Anraten eines Kunsthändlers später nannte. Zwischen 1915 und '33 gehörte Conrad Felixmüller neben Otto Dix zu den bekanntesten jungen deutschen Künstlern, und die Dresdner Jahre bestimmen bis heute meist die Ausstellungen über ihn. Dabei stand der Künstler selbst diesem Teil seines Werks später kritisch gegenüber und vernichtete sogar einige Gemälde und Grafiken aus dieser Zeit. Eine Ausstellung im Museum Gunzenhauser in Chemnitz versucht nun eine Neubewertung von Felixmüllers späterem Werk. - Frage an meinen Kollegen Carsten Probst: Herr Probst, wie erfolgt denn diese Neubewertung?

    Carsten Probst: Rein optisch sieht diese Neubewertung so aus, dass Arbeiten aus verschiedenen Werkphasen Felixmüllers unmittelbar zusammengefügt und vermischt werden. Man hat also Malereien, Zeichnungen, Druckgrafik aus seiner expressiven Frühphase bis ungefähr Mitte der 20er-Jahre vermischt mit Werken aus seiner Hauptphase, so wie Felixmüller sie selber auch begriff. Mitte der 20er-Jahre war Felixmüller als Frühbegabter gerade mal 27 Jahre alt, als er mit dem expressiven Stil und auch mit seiner Mitgliedschaft in der KPD damals gebrochen hat. Und dieses Hauptwerk, das dann beginnt, reicht dann bis in die 60er-Jahre und überdauert sowohl das Dritte Reich als auch sein späteres Leben in der DDR. Nach diesem Bruch malt Felixmüller überhaupt nicht mehr expressiv, sondern kehrt quasi zu den Wurzeln so einer, ich würde sagen, romantischen Sachlichkeit zurück. Vom malerischen Gestus kann er eigentlich nicht mehr so als moderner Avantgardist mit dieser Bildsprache gelten, und es ist eben das Verdienst dieser Ausstellung, nach wirklich jahrelanger Forschung endlich dieses Werk als Einheit zu zeigen, was vielen immer als unüberwindbare Zweiteilung erschien.

    Schäfer-Noske: Das Spätwerk ist ja eher unbekannt. Was ist denn auf diesen Bildern genau zu sehen?

    Probst: Das Interessante ist, dass er eigentlich von den Motiven her gar nicht so viel anders malt als in der Zeit der Weimarer Republik oder nach dem Ersten Weltkrieg. Er hat sich schon auch als überzeugter Kommunist in dieser Zeit in den frühen Werken der Arbeiterdarstellung gewidmet, das dann aber mit kubistischen, zackigen Formen, mit etwas grelleren Farben. Später hat er diese Motive eigentlich beibehalten mit einer durchaus sehr realistischen Darstellungsweise, die mitunter sogar an die neue Sachlichkeit ein bisschen erinnert, also fast gestochen scharfe Physiognomien von betreffenden Personen, die er malt, aber auch Landschaften sind darunter, sehr poetische Motive, sehr viele Liebesbilder, also das hat nicht mehr sehr viel mit dieser ersten Phase zu tun. Felixmüller selbst aber sah das als eine persönliche künstlerische Reifung, nur dass eben die Rezeption ihm darin nicht gefolgt ist.

    Schäfer-Noske: Woran liegt es denn, dass ihm die Rezeption nicht gefolgt ist?

    Probst: Ich denke, zum künstlerischen Verhängnis wurde ihm: Diese radikale Wende zum Unpolitischen hat man ihm nach seiner Zeit in der KPD und nach seiner expressiven Zeit eigentlich nicht mehr abgenommen und in der Nazi-Zeit wurde er gerade wegen dieses expressiven Frühwerks ganz oben auf der Liste der sogenannten Entarteten geführt. Er hat die Nazi-Zeit selber dann so als Porträtmaler gearbeitet, in einer Art, ja, inneren Immigration. Und 1949 scheint es dann für einen kurzen Moment zu sein, dass er als Maler wieder große Anerkennung erfährt, als ihm die DDR als dem Frühbegabten der Dresdner Jahre eine große Ausstellung in der Moritzburg in Halle an der Saale andient geradezu, um ihn für den sozialistischen Realismus zu gewinnen. Aber diese Ausstellung ist in der Rezeption auch in der DDR völlig daneben gegangen, weil niemand verstanden hat, wie dieser Maler mit diesem expressiven Frühwerk ein sozialistischer Realist sein soll, und wandte sich dann also auch als Künstler von ihm ab, und gab ihm kaum noch größere Ausstellungsmöglichkeiten dann in der DDR, in der er ja bis in die 60er-Jahre hinein lebte. Künstlerisch war er quasi damit in der Versenkung verschwunden.

    Schäfer-Noske: Warum ist er denn dann in der DDER geblieben?

    Probst: Er hat sich wohl gedacht, wenn er in den Westen geht, hat er dort als figurativer Maler keine Chance, weil ja, wie Sie wissen, im Westen seit Ende der 40er-Jahre die Abstraktion überall gegenwärtig war, während man in der DDR ihm zumindest eine Professur für Zeichnen an der Universität in Halle gewährt hat. Aber von großen Verkäufen war eben keine Rede mehr. Das hat er eine gewisse Zeit lang ertragen und sich dann aber als Emeritus doch dazu entschlossen, einen Ausreiseantrag zu stellen, ist dann nach Westberlin gezogen und hat dort dann auch noch zu Lebzeiten – er ist ja '77 gestorben – die eine oder andere größere Ausstellung erfahren, aber eben doch immer wieder nur als dieser Conrad Felixmüller der 20er-Jahre, und das hat ihn derart frustriert, dass er eigentlich fast dagegen war, mitunter Ausstellungen mit diesem Werk zu veranstalten, weil er sich selbst inzwischen völlig anders definierte, und das zeigt eben, wie einseitig gegen den Willen des Künstlers eine gewisse künstlerische Rezeption verlaufen ist, ohne zu akzeptieren, dass auch ein Avantgarde-Künstler mit einer Art künstlerischem Reifungsprozess sich durchaus gegen die ja fast klischeehaft geläufigen Formen der modernen Avantgarde künstlerisch entscheiden kann und dass auch dieses Werk zur Kenntnis genommen werden muss. Das wurde quasi einfach ausgeblendet bis heute und das ist das große Verdienst dieser Ausstellung, dass sie quasi diese Rezeptionsverschiebung aufarbeitet in diesem Werk und endlich einen kompletten Eindruck verschafft und damit natürlich auch die Rezeptionsgewohnheiten des Kalten Krieges noch einmal radikal offenlegt.

    Schäfer-Noske: Carsten Probst war das über eine Retrospektive auf Conrad Felixmüller in Chemnitz.

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