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Klassik-CDs 2019
Tops und Flops

Besonders gelungene, enttäuschende und überraschende Klassik-CDs haben die Musikjournalisten Eleonore Büning, Bjoern Woll und Susann El Kassar für diesen Jahresrückblick ausgesucht. Nicht jede Einschätzung wird geteilt, dafür taucht eine Nationalität in den Highlights von 2019 unerwartet häufig auf.

Bjoern Woll und Eleonore Büning im Gespräch mit Susann El Kassar |
    Sechs Fotos sind zusammengestellt, darauf sind jeweils vier Frauen und zwei Männer. Alle sind Musiker bzw. Musikerinnen. Es sind: Sandrine Piau, Jodie Devos und Raphaël Pichon (oben) und Jordi Savall, Lise Davidsen und Schaghajegh Nosrati (unten).
    Sechs Künstler und Künstlerinnen, deren CDs im Jahresrückblick der drei Musikjournalisten besprochen werden. Sandrine Piau, Jodie Devos und Raphaël Pichon (oben) und Jordi Savall, Lise Davidsen und Schaghajegh Nosrati (unten). (Sandrine Expilly / Marco Borggreve / Piergab / Eduardo Gomez / Decca / Irène Zandel )
    Highlights
    Messe solennelle - Hector Berlioz
    Hervé Niquet
    Le concert spirituel, Chor und Orchester
    Adriana Gonzalez, Sopran
    Julien Behr, Tenor
    Andreas Wolf, Bass
    alpha classics
    Eleonore Büning:
    "Für mich das "Must-Have" dieses Berlioz-Jahres! Berlioz war gerade mal zwanzig Jahre alt, als er es komponierte, das Werk galt als verschollen, dann ist es in einer Bibliothek, in einer Abschrift wieder aufgetaucht. John Eliot Gardiner hat diese große Messe 1994 aufgenommen. Jetzt hat Hervé Niquet die Messe solennelle zum Berlioz-Jahr "wiederentdeckt". Seine Aufnahme ist lebendig, ein Wunder an Transparenz, mit schnellen Tempi: Hervé Niquet macht es besser als John Eliot Gardiner - und zwar um Längen!"
    Si j'ai aimé
    frz. Orchesterlieder aus der zweiten Hälfte des 19. Jhd.
    Sandrine Piau, Sopran
    Le concert de la Loge
    Julien Chauvin
    alpha classics
    Bjoern Woll:
    "Es gab dieses Jahr viele gute Aufnahmen… Ich bin aber meinem Herzen gefolgt, weil ich finde, dass Sandrine Piau eine in Deutschland viel zu wenig bekannte Sängerin ist. Ich liebe ihre Stimme; mittlerweile ist sie Mitte fünfzig, trotzdem hat sie sich diese Frische bewahrt. Das Spezielle an dieser CD ist, dass mit dem Concert de la Loge unter Julien Chauvin ein Orchester hinzukommt, das die Aufnahme für mich noch einmal aufregender macht, weil sie auf Instrumenten der Zeit spielen."
    Libertà!
    Mozarts Opernversuche vor den drei Da Ponte Opern und Werke seiner Zeitgenossen
    Raphael Pichon, Leitung
    Ensemble und Chor Pygmalion
    Sabine Deveilhe, Sopran
    u.a.
    harmonia mundi
    Susann El Kassar:
    "Diese CD stellt Bezüge her, macht Musikgeschichte und Musikwissenschaft begreifbar durch Musik, das hat mich beeindruckt! Raphael Pichon setzt Mozarts Opernversuche vor den drei Da Ponte Opern in Beziehung zu Werken seiner Zeitgenossen. Und wir erkennen: Es gärt in Mozart zwischen 1782 und 1786, auf der Suche nach dem passenden Libretto. Viele musikalische Ideen existieren aber bereits in dieser Zeit, in diesen Opern, die Fragment geblieben sind, oder in den Einzelarien.
    Eine neue, eine aufwändige Herangehensweise, die aber musikalisch hervorragend umgesetzt wird und uns Mozarts Art zu komponieren wirklich näher bringt!"
    Enttäuschungen
    Lise Davidsen mit Wagner und Strauss
    Philharmonia Orchestra
    Esa-Pekka Salonen, Leitung
    Decca
    Bjoern Woll:
    "Ich habe Lise Davidsen vor drei, vier Jahren zum ersten Mal gehört habe und war beeindruckt von diesem Naturwunder! Diese Aufnahme war dadurch bei mir mit immensen Erwartungen aufgeladen, ich habe mich unglaublich darauf gefreut. Und leider war ich dann enttäuscht. Zum einen gibt es kein Mikrofon auf dieser Welt, das in der Lage ist, den Reichtum dieser Stimme überhaupt auf Platte zu bannen. Zum anderen berühren mich die Vier letzten Lieder von Strauss nicht so, wie es schon andere Interpretinnen (Anja Harteros, Jessye Norman) mit ihren Aufnahmen geschafft haben."
    Die letzten drei Mozart Symphonien
    Le Concert des Nations
    Jordi Savall, Leitung
    alia vox
    Susann El Kassar:
    "Savalls Mozart klingt viel zu metrisch, die dramaturgische Innenspannung fehlt. Vor allem, wenn man komplette Sätze hört, dann wirkt diese Musik plötzlich langweilig, dabei ist das mitnichten langweilig! Noch dazu ist die CD ungeschickt produziert, viel zu basslastig, mumpfig.
    Ich hatte von Jordi Savall einen anregenden Ansatz erwartet, weil er mit seiner Erfahrung aus der alten Musik vor Mozart darangehen kann, in meinen Augen ist ihm das aber nicht gelungen."
    Händel Variations
    eigene Bearbeitungen von Händel Arien oder Händel Klavierwerken
    Martin Stadtfeld, Klavier
    Sony classical
    Eleonore Büning:
    "Martin Stadtfeld hat Arien und Klavierstücke von Georg Friedrich Händel in Eigenbearbeitungen verklimpert, Fingerübungen am Schnürchen, ausdrucksneutral. Martin Stadtfeld ist nicht der einzige, der ausdrucksneutral vor sich hinklimpert - und das schon seit Jahren! Jetzt hat er angefangen, selbst zu komponieren. Es ist keine Barmusik, die dabei rauskommt, nichts zum Nebenbeihören, sondern Händel-Softporno-Klassik-Junkfood."
    Entdeckungen
    Charles Valentin Alkan: Concerto pour piano seul und Esquisses
    Schaghajegh Nosrati, Klavier
    Cavi music (Co-Produktion mit Dlf Kultur)
    Susann El Kassar:
    "Schaghajegh Nosrati hatte schon mit Bachs Kunst der Fuge auf sich aufmerksam gemacht, jetzt wagt sie an Alkan und macht es extrem gut! Sie scheint tatsächlich die erste Pianistin zu sein, also die erste Frau, die das Konzert für Klavier solo von Alkan aufgenommen hat. Schaghajegh Nosrati hat Alkan früh durch ihren Lehrer kennen gelernt, ist quasi damit aufgewachsen. Sie bringt die technischen Fähigkeiten für diese virtuose Musik mit und - besonders wichtig! - das musikalische Gestaltungsverständnis. Fingerübungen alleine machen ja noch keine Musik. Diese CD kann es ohne Weiteres mit so intellektuellen Virtuosen wie Marc-André Hamelin aufnehmen!"
    Haydn, Mozart & Others: Orchestral Works
    Hans Swarowsky
    verschiedene Orchester
    Profil - Edition Günter Hänssler
    Eleonore Büning:
    "Hans Swarowsky kennt man bisher eigentlich nur als Fußnote. Er ist ein berühmter Dirigentenerzieher, er hat Zubin Mehta, Claudio Abbado, Giuseppe Sinopoli, Mariss Jansons und viele andere ausgebildet und so ist er bekannt geworden. Für die Interpretationsgeschichte aber war er eine Fußnote, seine Aufnahmen waren nicht auf dem Markt. Jetzt haben Musikwissenschaftler der Wiener Musikuniversität in den Archiven recherchiert, haben beiläufig die Aufnahmen wiederentdeckt und das Label Profil Hänssler hat die Aufnahmen rausgebracht. Jetzt ist plötzlich dieser Dirigent, der bisher eine graue Eminenz war, live da. Sein Mahler (aus dem Jahr 1963) klingt sehr zugespitzt, sehr pointiert, und das lange vor der sogenannten Mahler Renaissance. Diese Interpretation zeichnen Transparenz, Schnelligkeit, und sogar sowas wie Swing aus."
    Offenbach Colorature
    Jodie Devos, Sopran
    Münchner Rundfunkorchester
    Laurent Campellone, Leitung
    alpha classics
    Bjoern Woll:
    "Das Offenbach-Jahr hat auf dem CD Markt nicht so richtig gezündet, dabei hat er 140 Musiktheaterwerke geschrieben, ein richtiger Fundus. Offenbach komponiert in "Robinson Crusoe" eine kleine Gemeinheit für die Sängerin: Das ist gespickt mit Höchstschwierigkeiten, unglaublich virtuos und Devos präsentiert das mit einer Nonchalance, mit einer stupenden Technik, trotzdem auch mit einem gewissen Augenzwinkern dabei, deswegen ist das für mich eine mitreißende Platte, die einen großen artistischen Reiz auf mich ausübt."