Soviel steht fest: Es wird ein langer, harter Weg für Zenah, bevor sie ans Ziel ihrer Träume gelangt: Wer fleißig übt, erzählt die schmale Viertklässlerin mit den langen schwarzen Haaren, der hat bestimmt später auch Erfolg. Und ihr Ziel ist es natürlich, wenn sie groß ist, von Beruf Violinistin zu werden. Schon der erste Schritt auf dem langen Weg dahin war für Zenah schwieriger als für die meisten anderen Kinder, die denselben Traum haben.
Zenah ist nämlich ein Beduinenmädchen. Sie lebt in Rahat. In einer Stadt, die für Beduinen in der Negev-Wüste in Israel gebaut worden ist. Es ist eine trostlose, staubige Stadt. Riesige Arbeitslosigkeit, viel Kriminalität. Aber Rahat verfügt neuerdings über etwas Einmaliges. Nämlich über die erste und einzige Schule für Beduinen, an der es Musikunterricht gibt.
"Für mich war das immer eine halb persönliche und halb soziale Frage", sagt Omer Meir Wellber, der 1981 geborene Shooting-Star am Dirigenten-Himmel. Er stammt aus Beerscheba, der größten Stadt im Negev, die einst für jüdische Einwanderer gebaut wurde. Er weiß also um die soziale Lage der Beduinen, die in seiner Jugend seine Nachbarn waren. Sein Vater, erzählt er, sei immer ein großer Freund der Beduinen-Gemeinschaft gewesen. Und er war es auch der die Schule in Rahat gebaut hat, an der die Beduinen-Kinder jetzt erstmals Musikunterricht erhalten. Omer Meir Wellber:
"Die Beduinen-Kinder sind ein wenig vergessen in der israelischen Realität. Sie sind keine Palästinenser, aber sie fühlen sich auch nicht als Israelis. Und das ist ein Problem, wenn man keine eigene Identität hat."
Gründung des Musik-Projekts "Sarab"
Nach Rahat fährt man eigentlich nur, wenn man Drogen kaufen will, erzählt Omer Meir Wellber. Um dazu beizutragen, dass sich das ändert, hat er gemeinsam mit einer lokalen Hilfsorganisation und mit dem Konservatorium in Beerscheba das Projekt Sarab gegründet. Auf Deutsch: Oase.
Anna Arama ist die Musiklehrerin, die von Sarab engagiert wurde. Sie stammt aus Russland und hat von dort die resoluten Unterrichtsmethoden mitgebracht. Anna Arama muss mit allen Kindern bei Null beginnen, weil die noch nie in ihrem Leben Kontakt zu klassischer Musik hatten. Allzu hoch, das weiß sie, darf sie deshalb ihre Ziele nicht stecken:
"Es ist schwer zu sagen, wo das hinführen wird. Ich kann den Kindern keine Hausaufgaben geben, weil die meisten gar keine Geige zu Hause haben. Die kommen also nur einmal die Woche hier in den Unterricht. Und für jeden Jahrgang gibt es nur ein Jahr lang Musikunterricht. Ein allzu großes Ziel kann ich mir also gar nicht stecken. Aber ich hoffe, dass die, die zu mir kommen, anschließend den kulturellen Hintergrund der Musik verstehen."
Sarab ist zunächst an der Alsalem-Schule in Rahat gestartet, später sollen andere Schulen in das Projekt eingebunden werden. Die talentiertesten Kinder bekommen nach einem Jahr zusätzlichen Unterricht am Konservatorium in Beerscheba. Dort gibt es seit langem ein Streichorchester jüdischer Schüler, in das jetzt die Beduinenkinder integriert werden. Omer Meir Wellber:
"Das wird neu für das Orchester. Das heißt, die jüdischen Kinder bringen die europäische Tradition mit, die Beduinen kommen jetzt mit ihrer Tradition. Und dann spielen alle alles."
Beduinenkinder müssen erst wieder zur traditionellen Musik finden
Das ist aber noch Zukunftsmusik. Und zwar aus zwei Gründen. Zum einen wird es noch eine Weile dauern, bis die Beduinenkinder aus Rahat geübt genug sind, um im Orchester mit zu spielen. Und zum anderen muss Omer Meir Wellber die Beduinenkinder erst wieder an die ihre traditionelle Musik heranführen, bevor sie die mit ins Repertoire des Orchesters einbringen können.
Ortswechsel. In einem Hinterhof nur ein paar Straßen von der Alsalem-Schule entfernt sitzt Salam, ein Beduine, der älter aussieht, als er ist. Er ist ein stadtbekannter Musiker, der am Lagerfeuer von amerikanischen Touristen, die er durch die Wüste geführt hat, Englisch gelernt hat.
"Die Kinder heute gehen zur Schule und haben einfach ein anderes Programm. Manche von ihnen gehen sogar zur Universität und werden Arzt oder Lehrer. Deshalb hat meine Musik keine Zukunft. Aber ich bewahre sie für mich",
erzählt Salam, bevor er uns noch den Rhythmus seines Mörsers vorspielt, mit dem er für Gäste das traditionelle Kaffeeritual einleitet.
Das Kaffee-Ritual zeigt, wie tief die Musik im Leben der Beduinen verwurzelt ist. Einem Gast Kaffee aus dem Supermarkt anzubieten sei eine Schande, sagt Salam. Stattdessen bekomme jeder, der sein Haus besucht, drei kleine Tassen zubereitet, die Bohnen dafür zerstößt er jeweils mit seinem riesigen Mörser:
"Jede der drei Tassen hat einen Namen. Die erste heißt: Für den Gast. Die zweite: Für das Vergnügen. Und die dritte: Für das Schwert. Das heißt, dass jeder Gast nach der dritten Tasse Kaffee unter meinem Schutz steht."
Keine gedruckten Noten, kein Archiv, keine Aufnahmen
Die Beduinenkinder in Rahat haben aber den Kontakt zu dieser Kultur schon zum Teil verloren. Und auch zu der damit verbundenen Musik. Die droht deshalb völlig verloren zu gehen, denn es gibt keine gedruckten Noten, kein Archiv, keine Aufnahmen. Und auch das will Omer Meir Wellber mit seinem Sarab-Projekt ändern. Er möchte die Schüler mit Aufnahmegeräten losschicken, damit sie die Musik aufzeichnen, die jetzt noch manchmal in den Straßen von Rahat zu hören ist:
"Wir gehen nach Rahat, zu den Musikern, die kennt man alle, die sind einfach zu finden, und wir beginnen den Aufnahmeprozess."
Sarab ist also ein Projekt, für das die Unterstützer einen langen Atem brauchen werden. Und doch: Einige positive Resultate haben sie schon damit erzielt, sagt Omer Meir Wellber:
"Klassische Musik bringt zuerst Disziplin und Ruhe. Zum Beispiel sagen die Eltern in unserer Schule, dass die Kinder wirklich schon etwas anders geworden sind. Sie haben viel mehr Geduld, sie sind sehr ruhig, sie hören mehr. Das kann man wirklich nur mit klassischer Musik machen."